Privatisierung der Bildung

Lebenslang werben

Die Ausstattung von Schulen mit Computern beschleunigt die Privatisierung der Bildung. Selbst Automobilhersteller profitieren davon.

Pech gehabt. Wer trägt auch ein Pepsi-Cola-T-Shirt, wenn an der Schule ein Coca-Cola-Tag begangen wird? Der 19jährige Schüler Mike Cameron aus Georgia/USA flog dafür glatt von der Highschool. Denn deren Sponsor, die Coca-Cola-Company, fand das gar nicht lustig und der Direktor der Schule folglich auch nicht.

Die Hamburger Erziehungswissenschaftlerin Ingrid Lohmann hat viele solcher Beispiele gesammelt, die zeigen, wohin die viel gelobten Public-Private-Partnerships (PPP) im Bildungssystem führen können. Auch dieses: Der US-amerikanische private Fernsehkanal Channel One schließt Verträge mit Schulbezirken und stattet die Schulen kostenlos mit Fernsehern, Videorekordern und Satellitenschüsseln aus. Im Gegenzug verpflichten sich die Schulen, allen Kindern während ihrer Schulzeit täglich ein zwölfminütiges Channel-One-Programm zu zeigen, bestehend aus zehn Minuten Nachrichten - vorwiegend Sport - und zwei Minuten Werbung. Die Werbekunden sind vor allem Hersteller von Kleidung, Süßwaren und Aknemitteln. Sie zahlen Spitzenbeträge für die Gelegenheit, die Jugendlichen im Klassenzimmer direkt zu erreichen. »In den USA hat die warenförmige Umgestaltung der Bildung Dimensionen angenommen, die man noch vor 25 Jahren als reelle Subsumtion der Schulen unters Kapital bezeichnet hätte«, resümiert Lohmann.

Aber auch in Deutschland drängt die Wirtschaft immer mehr in die Schulen und Universitäten vor, während sich gleichzeitig der Staat aus der Bildung zurückzieht. »Es herrscht Goldgräberstimmung«, beschreibt die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) die Lage in einem aktuellen Bericht.

In Brandenburg zum Beispiel hat der Automobilkonzern Rolls-Royce die Patenschaft für eine Realschule in Ludwigsfelde und für eine in Rangsdorf übernommen. Eine andere Schule in Ludwigsfelde wird von DaimlerChrysler, eine dritte von MTU betreut. Rolls-Royce bietet seinen Schulen eine Spende von 2 500 Mark im Jahr und Praktikumsplätze in seiner Niederlassung in Dahlewitz an, später angeblich auch Jobs. Lehrer werden kostenlos in Wirtschaftskunde und Englisch weitergebildet.

So wird Ausbildung, eigentlich Aufgabe der Unternehmen, ausgelagert in öffentliche, von Steuern finanzierte Schulen. Und spätestens bei der Lehrerfortbildung durch die Privatwirtschaft wird klar, dass es hier nicht nur um Outsourcing der Ausbildung, sondern auch um Einfluss auf den Lehrplan geht. »Der Lehrplan muss auf die Anforderungen des Berufsalltags hin gestaltet werden«, weiß denn auch die Rangsdorfer Schuldirektorin nachzubeten, was ihr vermutlich jemand von Rolls-Royce eingebläut hat.

Die GEW warnt davor, »dass private Anbieter nicht nur auf die Art der Ausstattung der Schulen Einfluss nehmen, sondern zunehmend auch auf die Inhalte.« Dabei ist die Behauptung, leere Kassen seien Schuld am Rückzug des Staates aus der Bildung, offensichtlich vorgeschoben. Vielmehr wird die Krise als Chance begriffen, die Bildung endlich mehr an die Bedürfnisse der Wirtschaft anzupassen.

Motor dieser Entwicklung ist die Ausstattung der Schulen mit Computern und Internetzugängen. Unbestritten eine wichtige Aufgabe, damit die Kompetenz im Bereich der Neuen Medien nicht Kindern aus sozial besser gestellten Haushalten vorbehalten bleibt, bei denen die Technik in der Wohnung herumsteht. Der Staat sieht sich jedoch außerstande, diese Ausstattung zu bezahlen. Dabei würde es bei rund zehn Millionen SchülerInnen und einem Computer-Preis von je 3 000 Mark nur etwa 30 Milliarden Mark kosten, alle SchülerInnen mit einem Gerät zu versehen. Die üblichen Rabatte bei größeren Bestellungen sind dabei noch nicht einkalkuliert.

Tatsächlich sind bisher nur 85 Prozent der Schulen online. Auch wenn Staatssekretär Siegmar Mosdorf aus dem Bundeswirtschaftsministerium damit rechnet, bis zum Ende des Jahres bei 100 Prozent zu sein, muss berücksichtigt werden, dass in vielen Fällen nur ein einziger - oft veralteter - Computer in der ganzen Schule herumsteht, und Lehrer fehlen, die kompetent das nötige Wissen vermitteln können. Und auch dieser bescheidene Erfolg kam nur Dank Initiativen wie D 21 zustande. In dieser PPP-Initiative haben sich über 100 große Unternehmen zusammengeschlossen, Schirmherr ist Bundeskanzler Gerhard Schröder.

Die Bundesregierung feiert diese Initiative, als wäre sie ein Gottesgeschenk. Telekom, AOL, IBM, Siemens und Intel mussten nicht lange gebeten werden. Sie bieten Geräte, Internetzugänge, Software und Kurse freigiebig an. Hat man sich über Jahre an einen von der Autorität Schule abgesegneten Provider gewöhnt, wird man vermutlich auch im privaten Bereich per AOL oder T-Online ins Netz gehen. Werbung in der Schule gilt nicht umsonst als besonders effektiv.

Dabei begibt sich nicht nur der Staat in eine absolute Abhängigkeit von der Wirtschaft, ohne die in Deutschland vermutlich kaum eine Schule am Netz wäre. Auch die einzelnen Schulen sind von ihren Sponsoren abhängig. Denn Pflege, Reparatur, Service, Aufrüstung, laufende Kosten, Software können die Schulen in der Regel nicht aus ihrem Budget bestreiten. Und vom Staat ist ebenfalls nichts zu erwarten.

Die Bundesregierung begründet ihren Rückzug aus der Bildung nicht nur defensiv mit leeren Kassen, sondern auch offensiv mit der Parole vom »lebenslangen Lernen«. Im IT-Aktionsprogramm wird netzbasierte Wissensaneignung als »unverzichtbarer Baustein eines lebenslangen Lernens« beschrieben, »das selbstverantwortetes, individuelles Lernen in neuen Kooperationsformen nach sich zieht«. Das bedeutet nichts anderes, als Sponsoren und private Finanziers zu den neuen Bildungsträgern zu erklären und damit eine Abkehr vom Prinzip der Allgemeinbildung für alle zu vollziehen. Ingrid Lohmann kritisiert: »Seit eh und je gilt: Wer die Musik bezahlt, bestimmt auch, was gespielt wird. Unternehmen werden sich an Schulen nur engagieren, wenn sie vom erlernten Know-how der Schüler und künftigen Arbeitnehmer wieder profitieren können.« Oder wenn sie neue treue Kunden gewinnen.