Forschungsreaktor geht ans Netz

Heu brennt besser

Der Atomforschungsreaktor im bayerischen Garching steht vor der Genehmigung. Hochangereichertes Uran aus Russland könnte den internationalen Handel mit Bombenmaterial anheizen.

Als Durchbruch zum endgültigen Ausstieg aus der Atomwirtschaft feierte die rot-grüne Bundesregierung im vergangenen Juni den so genannten Atom-Kompromiss mit der Atomwirtschaft. Dass das Ganze nichts weiter ist als ein Abkommen zum störungsfreien Weiterbetrieb der deutschen Kernkraftwerke, hat sich inzwischen herumgesprochen.

In den kommenden Monaten wird sich allerdings zeigen müssen, ob sich die Anti-Atom-Bewegung von ihren einstigen Mitstreitern, die jetzt auf Ministersesseln und Staatssekretärsposten in der Regierung hocken, nun ebenso abwickeln lässt wie zuvor die Friedensbewegung während des Kosovo-Krieges. Denn mit der Ruhe an der Atomfront ist es schon bald vorbei. Bereits im März sollen die ersten Castor-Transporte in die Zwischenlager nach Ahaus und Gorleben rollen. Und in Garching bei München soll zur Jahresmitte der erste deutsche Reaktor seit dem Gau von Tschernobyl in Betrieb gehen: der Forschungsreaktor München II (FRM II), betrieben mit hochangereichertem Uran-235 (Heu), einem Stoff, aus dem man auch Atombomben bauen kann.

»Der Einsatz von waffenfähigem Uran in Forschungsreaktoren ist hoch problematisch und außenpolitisch bedenklich. Deshalb wird die neue Bundesregierung überprüfen, ob Möglichkeiten einer Umrüstung des Forschungsreaktors München II vom Betrieb mit hochangereichertem auf niedrigangereichertes Uran bestehen.« So steht es im Koalitionsvertrag zwischen SPD und Grünen. Der Einsatz von Heu in Garching ist insbesondere deshalb pikant, weil die USA schon seit Jahren versuchen, die weltweite Verbreitung des Bombenstoffes einzudämmen. Bereits 1978 startete die Carter-Administration ein internationales Programm zur Reduktion der Anreicherung in Forschungs- und Testreaktoren (RERTR-Programm). Alle mit Heu betriebenen Forschungsreaktoren sollten auf weniger angereichertes Uran umgerüstet werden.

Bislang haben lediglich China und Libyen das Programm durchbrochen, mit dem Bau des FRM II setzt sich nun auch der Nato-Partner Deutschland über die US-Initiative hinweg. Und die Bundesrepublik heizt mit dem FRM II auch noch den internationalen Handel mit Bombenmaterial an, denn der Brennstoff für Garching soll aus Russland geliefert werden. Kein Wunder, dass das Garchinger Projekt in den USA großes Missfallen erregt und zu heftigen diplomatischen Verstimmungen führt.

Die rot-grüne Bundesregierung setzte denn auch sogleich eine Expertenkommission zum Garchinger Reaktor ein. Die sechs Gutachter kamen in ihrem im Juni 1999 vorgelegten Abschlussbericht zu dem Ergebnis, dass eine Umrüstung auf nicht bombenfähiges Uran tatsächlich möglich sei. Doch während man auf der Reaktorbaustelle im Münchner Norden täglich neue Fakten schuf und eine Umrüstung somit immer unwahrscheinlicher wurde, ließ man sich in Berlin viel Zeit. Erst über ein Jahr nach dem Abschlussbericht der Experten nahm die Bundesregierung mit der bayerischen Staatsregierung - einer vehementen Befürworterin von Heu - Verhandlungen auf.

Inzwischen ist der FRM II praktisch fertig. Allerdings steht die dritte Teilerrichtungsgenehmigung noch aus, die die atomrechtliche Genehmigung umfasst. Eigentlich hätte sie noch in diesem Monat erteilt werden sollen, wenn es nach dem Wunsch der Reaktorbauer von der Technischen Universität München und dem Siemens-Konzern gegangen wäre. Doch das Verfahren verzögert sich. Im Moment liegt die Angelegenheit beim Bundesumweltministerium, das den Antrag dem Vernehmen nach derzeit von der Kommission für Reaktorsicherheit und Strahlenschutz prüfen lässt. Die endgültige Entscheidung obliegt jedoch dem Bundesforschungsministerium. Und dort sieht man offenbar kaum noch Möglichkeiten, den Einsatz von Heu zu verhindern. Man habe keine rechtliche Handhabe, gegen den Freistaat vorzugehen, heißt es aus Berlin.

Die Atomgegner vor Ort haben die Hoffnung dennoch nicht ganz aufgegeben: »Es ist ein gutes Zeichen, dass sich das so lange hinzieht. Das heißt, dass gründlich geprüft wird«, sagt Ingrid Wundrak von der Initiative »Bürger gegen Atomreaktor Garching«. Viele Fragen seien noch ungeklärt, etwa die Endlagerung der verbrauchten Brennstäbe. Bislang haben die USA den Atommüll aus dem ersten Garchinger Forschungsreaktor, dem so genannten Atom-Ei, abgenommen. Mit dem Einsatz von Heu fällt diese Möglichkeit aus. »Solange nicht nachgewiesen ist, wo die Brennstäbe endgelagert werden, darf man den FRM II auch nicht genehmigen«, fordert Wundrak.

Derzeit deutet jedoch einiges darauf hin, dass der FRM II doch noch Mitte 2001 mit Heu in Betrieb gehen wird und dass die Bundesregierung den Betreibern lediglich die Zusage abringen wird, den Reaktor umzurüsten, sobald die Forschung ein entsprechend leistungsfähiges, aber nicht waffentaugliches Brennelement entwickelt hat - also am St. Nimmerleinstag.

»Der Forschungsreaktor ist Eigentum des Freistaates«, sagte der Staatssekretär im Bundesforschungsministerium, Wolf-Michael Catenhusen, der Süddeutschen Zeitung. »Wir können ja nicht einfach ein Land beliebig anweisen.« Ein Kompromiss mit der Staatsregierung könne indes noch im Januar erzielt werden, hofft Catenhusen. Die Gegner des FRM II scheinen das Vertrauen in die rot-grüne Bundesregierung dennoch nicht aufgegeben zu haben. »Der politische Wille, Heu zu verhindern, ist wirklich da«, versichert Ingrid Wundrak. »Es geht wohl tatsächlich aus rechtlichen Gründen nicht.«

Ob Rot-Grün bei den Anti-Atom-Aktivisten im Wendland und in Nordrhein-Westfalen ebenso viel Verständnis findet? Bundeswirtschaftsminister Werner Müller forderte vergangene Woche jedenfalls, dass die Atomgegner sich auch angesichts der anstehenden Castor-Transporte gefälligst ruhig verhalten sollten. Atomtransporte seien Teil des Ausstiegsprozesses, erklärte Müller den Badischen Neuesten Nachrichten. Ein wesentlicher Aspekt des Atomkompromisses sei es zudem gewesen, zu einer gesellschaftspolitischen Beruhigung des Widerstands beizutragen.

Doch so ungestört, wie es sich Atomlobby und Bundesregierung wünschen, wird die Atomwirtschaft wohl nicht zur Tagesordnung zurückkehren können. Die ersten Castor-Transporte seit drei Jahren werden wohl erneut nur mit einem Großaufgebot der Polizei durchzusetzen sein. Die Anti-Atom-Bewegung hat bereits heftigen Widerstand angekündigt, wenn im März die ersten von insgesamt fünf genehmigten Atommülltransporten aus Süddeutschland nach Ahaus rollen und wenig später auch in Gorleben sechs Castoren aus der französischen Wiederaufbereitungsanlage La Hague eintreffen. Beim letzten Castor-Transport nach Ahaus im März 1998 mussten 30 000 Polizisten die strahlende Ladung schützen. Kosten: 130 Millionen Mark. Billiger wird Rot-Grün den Atommüll sicherlich auch nicht los.