EU will das Transfersystem abschaffen

Bosman tritt nach

Die EU will in einem Grundsatzurteil das bisher gültige Transfersystem abschaffen, die Fußball-Verbände reagieren darauf mit Nichtstun.

Nein, erklärten die Verantwortlichen des italienischen Seria A-Vereins Perugia im Sommer dieses Jahres den wahrscheinlich sehr verdatterten Managern der Züricher Grashoppers, Ablöse werde man für den Spieler Lombardo nicht bezahlen. Denn damit werde schlicht das Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes verletzt.

Nun wird sich bald der Europäische Gerichtshof mit dem Fall Perugia beschäftigen und am Ende wahrscheinlich ein Präzedenz-Urteil fällen. Denn das bisherige im Profifußball gültige Wechselsystem, nach dem Spieler, die ihren Club verlassen wollen, vom neuen Verein erst für viel Geld freigekauft werden müssen, möchte die EU schon seit langer Zeit abgeschafft sehen.

Ein erster Schritt war 1995 das Bosman-Urteil, seitdem darf für einen Spieler nach Ende der Vertragslaufzeit keine Ablösesumme mehr gefordert werden. Während Vereine und Verbände das Ende der Fußballwelt herannahen sahen, änderte sich trotz der düsteren Prognosen zunächst nicht viel. Man schloss einfach längere Verträge, was zur Folge hatte, dass den Kickern ein Vereinswechsel erschwert wurden, weil die neuen Clubs sehr viel Geld für den Transfer aufbringen mussten. Emersons vorzeitiger Wechsel von Bayer Leverkusen zum AS Rom kostete den italienischen Club beispielsweise 36 Millionen Mark.

Mit Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt hatte dies jedoch immer noch nicht viel zu tun, wie die EU rasch feststellen musste - obwohl nach dem Bosman-Urteil klar gemacht worden war, dass den offiziellen Verbände nur eine Übergangsfrist eingeräumt werden würde.

In einem Brief vom 31. Juli forderte die EU den europäischen Fußballverband Uefa daher ultimativ auf, endlich Vorschläge für diese lange geplante Anpassung des Wechselsystems an das EU-Arbeitsrecht zu machen. Bisher hatten die Verbände in mehreren Gesprächen gegenüber der EU immer nur darauf bestanden, den Status quo aufrechtzuerhalten. Die offizielle Antwort kam zunächst vom Weltfußballverband Fifa. Dessen Generalsekretär Michel Zen-Ruffinen beklagte sich darüber, dass die EU die bisherigen Gespräche des internationalen Verbandes mit verschiedenen europäischen Gremien nicht zur Kenntnis genommen habe, man sei darüber »sehr enttäuscht«. Die EU müsse, so Zen-Ruffinen weiter, »endlich begreifen, dass Spieler ihre Verträge zu erfüllen haben, denn sonst ist die Integrität des Fußballs ernsthaft in Gefahr«.

Die Trainer und Verantwortlichen der Vereine bewiesen da mehr Realitätssinn, ihnen war schon früh klar, dass das alte System bald außer Kraft gesetzt werden würde. So gab Coach Arsene Wenger von Arsenal London bereits zu, dass ihn das drohende Urteil bei seiner Entscheidung, keine 50 Millionen Mark für den Spitzenkicker Sylvain Withold auszugeben, beeinflusst habe. »In meine Strategie für diese Saison ist das sehr wohl eingegangen. Ich fürchte mich tatsächlich vor dem Richterspruch, der einen enormen Knall auslösen wird - und das schon sehr bald.« Auch Karl-Heinz Rummenigge, Vizepräsident von Bayern München, bezeichnete das »Perugia-Urteil« als »enorm wichtig, momentan das Wichtigste überhaupt im Fußball«. Und der Uefa-Vizepräsident Per Ravn Omdal erklärte bereits, es handele sich hierbei »um eine Tragödie«.

Solche Äußerungen machen jedoch nur wenig Eindruck auf die EU, ebenso wenig wie die offensichtliche Verschleppungstaktik von Uefa und Fifa. Zumal andere Verbände durchaus willig mitarbeiteten. Die internationale Spielervereinigung Fifpro, die sich selbst als Gegengewicht zu Fifa und Uefa versteht, hatte bereits vor einigen Monaten ein Diskussionspapier erarbeitet und der EU vorgelegt. Die Spieler begreifen die geplante Änderung ihres Arbeitsrechts schließlich »als Chance«. »Es wird mehr Macht für die Spieler geben, auch wenn ich persönlich glaube, dass das Lohnniveau dadurch begrenzt wird. Insgesamt kann das dem Fußball aber nur gut tun«, sagte beispielsweise Morgan Andersen von der Fifpro. Im Übrigen hätten Fifa und Uefa absolut Unrecht, wenn sie die EU immer wieder als Totengräber des Fußballs bezeichneten, »das erledigen die internationalen und die nationalen Verbände ganz allein«.

Zu den Vorschlägen der Fifpro soll die Uefa bis zum 1. September Stellung nehmen. Eine begründete Ablehnung dürfte den Offiziellen schwer fallen, denn die Spielervertreter haben ganz ausdrücklich auch Maßnahmen zu Gunsten kleiner Clubs vorgesehen.

Alle Spieler unter 18 sollen so mit ihren Vereinen Dreijahresverträge abschließen - falls vor Ablauf dieser Frist gewechselt wird, stehen dem Club Kompensationszahlungen zu. Diese Regelung soll besonders die unterklassigen Vereine belohnen, die im Gegensatz zu den Großen gute Jugendarbeit leisten - bisher oft ohne angemessene Entschädigung.

Die erwachsenen Spieler sollen nach dem Willen der Fifpro wie normale Arbeitnehmer ihre Verträge zu jedem Zeitpunkt einseitig aufkündigen können. Der neue Verein oder auch der Kicker selbst müssen in dem Fall jedoch eine Kompensation bezahlen, die jedoch nur einen Bruchteil der bisher üblichen Summen beträgt. Ein Teil des Gehalts soll an den abgebenden Club bezahlt werden, im Falle eines Spielers mit Fünfjahreskontrakt, der jährlich zwei Millionen Mark verdient, müssten vier Jahre vor Vertragsablauf acht Millionen Mark bezahlt werden. Damit möchte man dem alten Verein die Suche nach gleichwertigem Ersatz ermöglichen. Ein Wechsel mitten in der Saison soll jedoch nach wie vor nicht möglich sein.

Der international anerkannte Experte für Sportrecht, Jean Luc Dupont, erklärte bereits, es habe nie ein Zweifel daran bestanden, dass das heutige Transfersystem und die Spielerverträge einer genauen rechtlichen Prüfung nicht werden standhalten können. Was sich jedoch die Fußballverbände selbst zuzuschreiben hätten, denn es habe nie den ernsthaften Versuch gegeben, Bestehendes zu verändern.

Unerwartete Unterstützung erhalten EU und Spielervereinigung dabei von den Spielervermittlern und -agenten. »Das Urteil wird nichts anderes bedeuten, als dass die Fußballspieler mit anderen Arbeitnehmern gleichgestellt werden. Die Transfergelder werden verschwinden«, sagte z.B. der Fußballagent Gunnar Martin Kjenner, der Stars wie Tore André Flo betreut. Er könne nicht verstehen, dass sowohl der europäische als auch der internationale Fußballverband nach wie vor so tun, als ob sie von den neuen EU-Forderungen überrascht worden seien. Denn immerhin habe jeder gewusst, »dass das Bosman-Urteil vor fünf Jahren erst der Anfang« gewesen sei. »Die Fußball-Organisatoren müssen endlich mit der EU arbeiten und nicht gegen sie«, erklärte er weiter. Um die eigenen Jobs müssen die Spielervermittler dabei anscheinend nicht fürchten: »Der Bedarf an qualifizierter Betreuung wird zwar größer sein als zuvor, wenn sich auch unser Job wohl ganz anders gestalten wird.«

Während den Fans von Seiten der Fifa und der Uefa gezielt Angst gemacht wird, dass die guten Spieler sich in Zukunft alle den großen Vereinen zuwenden werden, sieht Kjenner die Sache eher gelassen: »Die Zahl der Kicker, die bei Bayern, Chelsea oder Manchester United spielen können, ist nun mal einfach begrenzt.«