Cobi Benatoff

»Schüssel hat keine Chance«

Die Kritik von jüdischer Seite kam als erste. Lange bevor die Europäische Union diplomatische Schritte gegen die neue Wiener Regierung aus Österreichischer Volkspartei (ÖVP) und der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) einleitete, warnten Vertreter der jüdischen Gemeinden Europas vor einer Regierungsbeteiligung der Partei Jörg Haiders. Cobi Benatoff ist Präsident des Europäischen Kongresses Jüdischer Gemeinden.

Was denken Sie, wenn Sie die Demonstranten sehen, die gegen die neue Regierung in Wien auf die Straße gehen?

Es macht mir Mut, wenn in Österreich anständige Menschen gegen eine Regierung der moralischen Unanständigkeit protestieren. Es ist die moralische Verpflichtung der Österreicher und besonders der österreichischen Juden, gegen diese Regierung mit friedlichen Mitteln zu demonstrieren. Ich hoffe sehr, dass die Bilder von den Demonstrationen auch in Österreich zu einem Lernprozess führen. Das wird nicht von heute auf morgen geschehen, aber mittelfristig wird es zum Erfolg führen.

Oder auch nicht. Viele Österreicher lehnen die Sanktionen der EU als Einmischung in die inneren Angelegenheiten ihres Staates ab. Ist das der Lernprozess, den Sie sich wünschen?

Europa hat jetzt die Chance, seine Glaubwürdigkeit zu retten. Man muss ja nicht immer den USA die moralische Richtlinienkompetenz anvertrauen. Alle in Europa haben eine gemeinsame moralische Verantwortung, und Österreich ist dafür ein Testfall. Denn was in Österreich vorgeht, ist einzigartig und noch nie dagewesen.

Aber überall in Europa gibt es doch die kleinen Haiders. In Italien ist es Fini von den Neofaschisten, in Belgien der Vlaams Blok, in Frankreich Le Pen mit seinem Front National. Warum sollte Haider so einzigartig sein?

Erstens ist einzigartig, dass er von einer christdemokratischen Partei in eine Regierung geholt wurde. Außerdem muss man endlich verstehen, warum Haider überhaupt so erfolgreich werden konnte: Seine Partei hat bloß deshalb so viele Stimmen gewonnen, weil das gesamte Parteiprogramm der FPÖ auf Xenophobie basiert. Und Xenophobie darf einfach nicht zu Europa passen.

Zu Österreich passt es: Schüssel und Haider haben sich auf eine Null-Quote für Zuwanderung geeinigt.

Eben. Europa muss auch allen anderen Haiders klar machen, dass es hieraus keinen anderen Ausweg als eine multikulturelle Gesellschaft gibt. Es ist eine Realität in Europa, dass Immigration schon alleine wirtschaftlich notwendig ist. Bisher hat die EU die Bevölkerung nicht darauf vorbereitet, aber durch den Fall Österreich könnte das beschleunigt werden. Eine multiethnische Gesellschaft ist auch der europäische moralische Standard der Zukunft.

Es gibt international auch Stimmen, die der neuen Regierung eine Chance geben wollen: Schließlich habe diese eine Präambel unterschrieben, in der demokratische Grundwerte und ein Ja zu Europa bekräftigt werden.

Die beiden Herren können alle möglichen Papiere unterschreiben, aber man kann Haiders Herkunft und seine wirklichen politischen Interessen dadurch nicht ändern. Herr Haider kommt aus einer Familie, die während Hitlers Zeiten zu dessen Anhängern gehörte. Das hat ihn geprägt. Dieser Mann ist jetzt angetreten, Bundeskanzler zu werden. Deshalb geht er auch nicht in diese Regierung, sondern wird von Kärnten aus auf der Lauer liegen. In zwei Jahren ist es dann soweit.

Wird Schüssel Haider im Zaum halten?

Schüssel hat keine Chance gegen diese geschickten Extremisten.

Inzwischen plädieren einige europäische Politiker dafür, dass gegen Haider ein Einreiseverbot verhängt wird. Würden Sie das begrüßen?

Ich kann die Vergangenheit nicht vergessen. Zwar hat Haider, soweit ich weiß, gegen keine Gesetze verstoßen, aber ein solcher Schritt wäre schon eine Sache der Moral. Das gilt auch für jedes andere Mitglied der neuen Bundesregierung.

Sollte Europa gegen Österreich einen Wirtschaftsboykott verhängen?

Vor einigen Jahrzehnten passierten Dinge, weil niemand etwas unternommen hat. Es ist besser, gegen solche Entwicklungen mit allen Mitteln anzukämpfen, auch wenn man hin und wieder Fehler macht. Wenn die EU wirtschaftliche Sanktionen plant, würde ich nicht dagegen sein. Je stärker die Botschaft, desto besser wird sie verstanden.

Kurz nach dem Wahlerfolg Haiders haben Mitglieder der israelischen Regierung den österreichischen Juden geraten, das Land zu verlassen. Würden Sie das auch tun?

Nein. Die österreichischen Juden haben die Verpflichtung, die österreichische Regierung und besonders Haider immer wieder mit präzisen Fragen zu konfrontieren. Juden sollten gezielt in Österreich ihre Kongresse abhalten und aktiv sein, um Österreich endlich zu einer aktiven Vergangenheitsbewältigung zu bringen. Österreich muss sich jetzt mit seiner Vergangenheit näher beschäftigen.

Auch unsere Organisation wird die österreichische Regierung ständig mit präzisen Fragen konfrontieren. Denn als Juden haben wir eine besondere Verpflichtung, gegen xenophobe Tendenzen und deren Instrumentalisierung aufzutreten.

Ist die derzeitige Situation mit der während der Waldheim-Krise vergleichbar?

Nein, keineswegs. Man sollte sich keinen Hoffnungen hingeben, dass diese Isolation so schnell aufhört. Bei Waldheim ging es um einen einzigen Mann und um dessen Gedächtnislücken. Außerdem fing der ganze Ärger erst an, als Waldheim schon Präsident war. Das ist kein Vergleich. Hier geht es um eine ganze Regierung und die moralischen Werte eines Kontinents.