Satan oder Gott

Populistische Polarisierung: Venezuelas Präsident Chávez lässt über eine neue Verfassung abstimmen.

Venezuelas Präsident Hugo Chávez Friás ist auf dem besten Weg, die erste Etappe seiner »friedlichen Revolution« zu erreichen. Die »dem Tode geweihte Verfassung«, auf die er am Jahresanfang seinen Amtseid geschworen hat, ist nahezu entsorgt, die neue Verfassung steht am 15. Dezember zur Abstimmung.

Der populäre Präsident hat gute Chancen, die neue, ganz nach seinen Wünschen erarbeitete Magna Charta durchzubringen. Zwischen 70 und 80 Prozent der 23 Millionen Venezolaner unterstützen Meinungsumfragen zufolge den Kurs des 45jährigen Präsidenten, der für mehr soziale Gerechtigkeit, für ein Ende der Korruption und ein humaneres Wirtschaftssystem eintritt.

Ein weiterer Abstimmungserfolg scheint somit wahrscheinlich, und der würde dem ehemaligen Fallschirmjäger Chávez zahlreiche neue Befugnisse und, quasi nebenbei, noch ein neues Abgeordnetenhaus bringen. Am Mittwoch steht nämlich nicht nur die Verfassung zur Abstimmung, auch über die Durchführung von Wahlen zur Neukonstituierung des Parlaments und über die Neubesetzung des obersten Staatsamts soll das Wahlvolk befinden.

Chávez, nach altem Recht immerhin noch vier Jahre im Amt, möchte sich parallel zur anvisierten Ausrufung der »Bolivarischen Republik Venezuela« - so der in der Verfassung festgelegte neue Name des Staates - als deren erster Präsident neu legitimieren lassen. Sechs Jahre hätte er dann Zeit, die Bolivarische Republik aus der wirtschaftlichen Krise zu führen und Korruption durch soziale Gerechtigkeit zu ersetzen. Eine direkte Wiederwahl, die der populistische Präsident bereits ins Auge gefasst hat, wäre bei einem positiven Referendum obendrein möglich.

Ganz so sicher scheint sich Chávez seiner Sache allerdings nicht zu sein, denn in den letzten Wochen verging kein Tag, an dem er nicht gegen die Opposition wetterte. Die hat eine Kampagne gegen die in der Rekordzeit von gut drei Monaten erarbeitete Verfassung initiiert, sodass sich Chávez bemüßigt fühlte, den Urnengang als »Wahl zwischen Gott und Satan« zu stilisieren. Der Frieden und das Leben des Landes seien in Gefahr, wenn die Verfassung nicht angenommen werde. Die Opposition wolle das korrupte neoliberale Modell erhalten, welches das Land seit 40 Jahren dominiere, mahnte der in den Armenvierteln von Caracas als Messias gefeierte Präsident.

Auffällig ist allerdings die Eile, mit der Chávez zu Werke geht. Die Verfassung wurde in Rekordgeschwindigkeit durch die Verfassunggebende Versammlung gebracht, die mit 121 zu zehn Sitzen von seinen Anhängern dominiert wird. Wäre es nach dem Ex-Putschisten gegangen, hätte das Referendum bereits im November stattgefunden, woran sich die Neuwahlen im Dezember hätten anschließen sollen. Diesen Zeitplan hat der das kubanische Modell schätzende Chávez allerdings nicht durchsetzen können - dafür sind die wichtigsten Verfassungsänderungen jedoch ganz in seinem Sinne.

An die Stelle des ungeliebten Zwei-Kammer-Systems mit Senat und Abgeordnetenhaus soll die so genannte Nationalversammlung treten, die nach den anvisierten Neuwahlen eine Zusammensetzung aufweisen könnte, die dem Präsidenten entgegenkommt. Damit entfällt in den Augen von Verfassungsrechtlern ein Regulativ in der Arbeit der Legislative, was zur Dominanz der Exekutive wie in Peru führen könnte. Außerordentlich bedenklich ist auch das vorgesehene Ende jedweder parlamentarischen Kontrolle über die Armee. Personalentscheidungen werden nun im Präsidentenpalast getroffen, sodass Chávez fortan keine Widerstände gegen die Beförderung von Offizieren, die 1992 an seiner Seite gegen die Regierung putschten, zu befürchten hat. Erst vor einigen Monaten hatte das Parlament eine Initiative des Präsidenten blockiert, 32 am Putsch beteiligte Militärs zu befördern.

Nationale und internationale Kritik der »Constituyente« hat auch die überaus unkonkrete Definition des Ausnahmezustandes eingebracht. Am Ende obliegt es dem Präsidenten, wann er es für angemessen hält, den Ausnahmezustand zu verhängen - Kontrollmechanismen und mögliche Einschränkungen wurden von der Verfassunggebenden Versammlung nicht definiert, sodass sich die Erklärung des Ausnahmezustandes nicht auf Extremsituationen zu beschränken braucht.

Auf heftige Kritik der Unternehmer stieß hingegen die im neuen Grundgesetz verankerte nationale Kontrolle über den wichtigen Erdölsektor. Die Absage an die Privatisierung des ineffizienten Riesen Petr-leos de Venezuela SA und die Beschränkung der Autonomie der Zentralbank durch Kontrollen und Mitbestimmungsrechte des Parlaments sei kontraproduktiv und würde die derzeitige Wirtschaftskrise nur verschärfen, so der Unternehmerdachverband Fedecámaras. Die zentralistischen und interventionistischen Tendenzen würden sich angesichts einer globalisierten Weltwirtschaft katastrophal auswirken, und die anvisierten Reformen im Sozial- und Arbeitsrecht wären schlicht nicht zu finanzieren. An der Umsetzung der garantierten Gesundheitsversorgung, dem Zugang zu den Bildungseinrichtungen für alle Bevölkerungsschichten und sozialer Sicherheit wird sich Hugo Chávez aber genauso messen lassen müssen wie an der Schaffung neuer Arbeitsplätze und der Wiederbelebung der Konjunktur.

Die Auswirkungen der globalisierten Wirtschaft und der von Korruption geprägten nationalen Wirtschaft sind in dem erdölexportabhängigen Venezuela allerdings deutlich. Rund 500 000 Arbeitsplätze gingen im laufenden Jahr verloren, die Arbeitslosenquote hat die Rekordmarke von 20 Prozent überschritten und das Bruttosozialprodukt dürfte in diesem Jahr um etwa sieben Prozent schrumpfen. Zudem gilt die Landeswährung als stark überbewertet, sodass mit einer Erholung der Ökonomie kurzfristig kaum zu rechnen ist.

Dies umso weniger, da Chávez bisher keine kohärenten Konzepte für den Umbau der Wirtschaft und die Finanzierung der Sozialreformen vorlegen konnte. Von der bolivarischen Revolution ihres Präsidenten allein werden die verarmten Venezolaner jedoch nicht satt werden.