Warten auf die »Zweite Revolution«

Der Terror geht weiter

Es herrscht wieder Ruhe im Iran, vorläufig jedenfalls. Nach mehrtägigen, teils militanten Demonstrationen, hat sich die studentische Opposition entschieden, der Konfrontation auf der Straße auszuweichen. Viele der Beteiligten verstecken sich jetzt, um der Rache des Regimes zu entgehen, das mit Todesurteilen gegen die "Konterrevolutionäre" gedroht hat.

Die Auseinandersetzungen machten noch einmal die Grenzen der Reformpolitik Khatamis deutlich. Das gesellschaftliche Klima hat sich ein wenig liberalisiert, in der Presse ist ein bißchen mehr Kritik erlaubt. Das Treiben der Schlägertrupps und Todesschwadrone wird jetzt öffentlich diskutiert - aber der Terror geht weiter.

Die Mordserie an Oppositionellen Ende 1998, das Todesurteil gegen den deutschen Geschäftsmann Helmut Hofer wegen angeblicher sexueller Beziehungen zu einer Muslimin, die willkürliche Verhaftung einer Gruppe iranischer Juden als "zionistische Spione", Verbotsverfügungen gegen kritische Zeitschriften - immer wieder nutzte die islamistische Rechte ihre Macht in den Institutionen, um Khatamis Reformkurs zu torpedieren.

Zu all dem lächelte Khatami milde und versuchte es mit neuen Initiativen. Das trug ihm die Bewunderung westlicher Kommentatoren ein, die sich Demokratisierung als staatlich gelenkten, geordneten Reformprozeß vorstellen.

Auch im Iran hoffen viele, Khatami werde einen langsamen, aber tiefgreifenden Wandel durchsetzen. Das islamistische System soll durch die Reformpolitik jedoch nicht abgeschafft, sondern erneuert werden. Alle Reformen finden ihre Grenzen dort, wo die Macht der Geistlichkeit grundsätzlich in Frage gestellt wird.

Angesichts der mageren Erfolge in seiner nunmehr fast zweijährigen Amtszeit hat Khatami das Vertrauen eines Teils seiner Wähler verloren, seine Distanzierung von den Demonstrationen hat ihn ebenfalls Sympathien gekostet. Noch aber dominiert auch unter den Protestierenden eine kompromißbereite Haltung.

Die Auseinandersetzungen wurden von Schlägertrupps der islamistischen Rechten provoziert, die am 8. Juli eine Versammlung in einem Studentenwohnheim angriffen. Den belagerten Studenten blieb kaum etwas anderes übrig, als sich gegen Khameneis Messerstecher zu verteidigen. In den Tagen darauf explodierte die Wut auf der Straße. Der massive Protest hatte immerhin zur Folge, daß sogar Khamenei sich von der Beteiligung der Polizei am Überfall auf das Studentenwohnheim distanzierte.

Anhaltende Unruhen könnten die islamistische Rechte jedoch dazu bringen, trotz der politischen Risiken Khatami abzusetzen und die Repression weiter zu verschärfen. Die Opposition hätte dem wenig entgegenzusetzen, es sei denn, bedeutende Teile der Bürokratie und des Repressionsapparates würden sich gegen das Regime wenden. Das aber ist unwahrscheinlich, und mit der Massendemonstration am 14. Juli bewies die Khamenei-Fraktion noch einmal ihre Mobilisierungsfähigkeit.

Obwohl sich auch andere Bevölkerungsgruppen an den studentischen Protesten beteiligten, gibt es keine "Volksfront" verschiedener sozialer Schichten, wie sie sich 1978/79 gegen das Schah-Regime zusammenfand. Der Repressionsapparat ist effektiver, das Regime ist weniger isoliert, als der Schah es am Ende seiner Herrschaft war.

Das Regime wird jedoch wachsende Schwierigkeiten haben, die Gesellschaft zu kontrollieren. Es ist nicht gelungen, die Jugend - zwei Drittel der Bevölkerung sind jünger als 25 Jahre - für den Islamismus zu gewinnen. Die städtischen Unterschichten haben immer wieder durch Aufstände auf ihre miserable Situation aufmerksam gemacht, die intellektuelle Mittelschicht, die wichtigste Basis jeder islamistischen Bewegung, wendet sich mehr und mehr vom Regime ab, und auch in den Fabriken gärt es. Selbst in den Moscheen und religiösen Bildungseinrichtungen gibt es dissidente Strömungen.

Die hier und da prognostizierte "Zweite Revolution" wird noch eine Weile auf sich warten lassen. Doch jede Konfrontation zwischen der Reformbewegung und der islamistischen Rechten macht den Widerspruch zwischen Republik und Islamismus deutlich, der im Rahmen des Systems nicht auflösbar ist.