Des Teufels zerstörte Glotze

In Afghanistan bekämpfen sich die Islamisten gegenseitig. Ausländische Mächte mischen dabei kräftig mit

Die Afghanen sollen den ganzen Tag beten. So wollen es die islamistischen Taliban ("Theologiestudenten"), die etwa drei Viertel des Landes kontrollieren. In ihrem Einflußbereich gibt es keine Kinos, der Besitz von Satellitenschüsseln, Fernsehern und Fotoapparaten sowie Kartenspiele, Tanz und nicht-religiöse Musik sind verboten.

Überwacht werden die Vorschriften von Einheiten des Ministeriums zur Förderung von Tugend und Verhinderung von Sünden. Vergangene Woche gingen sie in Kabul gegen Besitzer und Verkäufer von Fernsehern vor und zerstörten die diabolischen Geräte. Außerdem kontrollieren sie die Verschleierung von Frauen, die weder arbeiten noch Schulen oder Krankenhäuser aufsuchen dürfen und sich überhaupt nur in männlicher Begleitung in der Öffentlichkeit bewegen dürfen. Die Gegner der Taliban werden ausgerechnet von der Islamischen Republik Iran unterstützt. Ahmed Schah Massud, Anführer der sogenannten Nordallianz verschiedener islamistischer Milizen und Truppen des usbekischen Generals Raschid Dostum, kann sich nicht nur auf einen etwa 200köpfigen iranischen Beratungsstab verlassen: Auch Waffen, Benzin und andere Ausrüstungsgegenstände werden von Iran an Massud geliefert. Die Nordallianz ist nämlich nicht ganz so technologiefeindlich: Ein Sprecher der Allianz berichtete der Nachrichtenagentur Associated Press am vergangenen Wochenende per Satellitentelefon live von Kämpfen gegen die Taliban-Milizen.

Massud war in den achtziger Jahren vom US-Geheimdienst CIA im Kampf gegen die bis 1989 von der Sowjetunion protegierte Regierung der Demokratischen Volkspartei unterstützt worden - zu seinen Verbündeten gehörten damals auch die so gut wie unbedeutenden Taliban.

Unterstützung bekommen Massud und seine Verbündeten aber auch aus dem Norden. "The Russians are back" meldete vergangene Woche beispielsweise die New York Times. Knapp zehn Jahre nach dem Rückzug der sowjetischen Armee am 15. Februar 1989 sei Rußland längst wieder in das Geschehen involviert, liefere schwere Waffen, stelle militärische Berater zur Verfügung und habe in der früheren Sowjetrepublik Tadschikistan direkt an der Grenze zu Afghanistan über 25 000 Soldaten stationiert. Auf einem tadschikischen Militärflughafen soll sich auch das Hauptquartier der Massud-Truppen befinden.

In Moskau bemühte man sich zwar noch am selben Tag um ein Dementi und verwies darauf, daß Pakistan die meisten Waffen nach Afghanistan einschleuse - und zwar für die Taliban. Für die russische Tageszeitung Segodnya ist es jedoch ein "längst bekannter Fakt, daß Rußland die Anti-Taliban-Allianz unterstützt". Bereits 1995 hatten die Taliban ein russisches Transportflugzeug zur Landung gezwungen, das Waffen für die damals noch Kabul kontrollierende Nordallianz an Bord hatte.

In Moskau fürchtet man offenbar politische Instabilität und ein weiteres Vordringen des politischen Islam in Zentralasien, sollten sich die Taliban in Afghanistan ganz durchsetzen. Insbesondere die früheren Sowjetrepubliken Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan sieht man in Moskau von internen Spannungen bedroht.

Paradoxerweise setzt der Kreml daher auf andere islamistische Kräfte und steht damit auf derselben Seite wie die Islamische Republik Iran. Teheran fürchtet die politisch-religiöse wie die wirtschaftliche Konkurrenz der Taliban. An einem rivalisierenden Gottesstaat als östlichen Nachbarn haben die schiitischen Mullahs Irans kein Interesse, zumal die Taliban der sunnitischen Glaubensrichtung angehören.

Außerdem verhindert der andauernde Krieg den Bau geplanter Pipelines durch Afghanistan (Jungle World, Nr. 45/97). Je länger die Kämpfe dauern, desto wahrscheinlicher wird, daß Erdöl und -gas via Iran oder Rußland vom rohstoffreichen Kaspischen Meer in den Westen gelangen. Für beide Länder eine gute Gelegenheit, die eigene Wirtschaft anzukurbeln.

Auch die ökonomische Basis der Taliban ist allerdings alles andere als prima. Neben dem Mohnanbau - in der islamistischen Moral eigentlich verwerflich - funktioniert in ihrem Herrschaftsgebiet wirtschaftlich kaum etwas. Nach Meinung des Handelsblattes ist das vor allem auf einen "Mangel an Fachkräften" zurückzuführen, weil die Taliban "neben der Kenntnis des Korans und dem Umgang mit Waffen kaum etwas gelernt haben". Nach über 20 Jahren kontinuierlichen Krieges liegt die Infrastruktur des Landes brach, die wenigen Industrieanlagen sind nur noch Ruinen. Afghanistan ist eine vorindustrielle feudale Gesellschaft, in der Großgrundbesitzer und warlords das Geschehen bestimmen und alte Traditionen fortleben, die sich mit dem politisierten Religionsbegriff der Islamisten vermischen.

Ohne Gelder von außen würde das System nicht mehr funktionieren. Die internationalen Hilfsorganisationen sind am 20. Juli allerdings größenteils aus Kabul abzogen, nachdem die bisher nur von Pakistan, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten anerkannte Taliban-Regierung von ihnen verlangt hatte, in das größtenteils zerstörte Gebäude der Universität Kabul umzuziehen, wo es weder Strom noch Wasser gibt. Hatte die Regierung von Mohammad Omar noch im April eingestanden, ohne ausländische Nahrungsmittelhilfe nicht auszukommen, so muß sie jetzt darauf verzichten. Allein die Europäische Union hat mehr als sieben Millionen Mark an Hilfsgeldern gesperrt.

Aus Pakistan und Saudi-Arabien dürfen die Gotteskrieger aber weiterhin auf Hilfe hoffen - und zwar nicht nur finanzieller Art: Prinz Turki al-Feisal, Chef des saudi-arabischen Geheimdienstes, ist in Kabul ein gern gesehener Gast.