Finnen, Baseball und die PKK

Der Palme-Mord bleibt ohne Motiv und Mörder. Dabei haben die schwedischen Ermittler einen verwirrten unpolitischen Einzeltäter und neun andere Spuren zur Auswahl

Eifrig nach dem Mörder des früheren Ministerpräsidenten Olof Palme suchend, wollten die Ermittlungsbehörden in Stockholm unbedingt eine Wiederaufnahme des Verfahrens gegen den Verdächtigen Christer Pettersson erwirken. Damit scheiterten sie jedoch Mitte Mai, weil nach Auffassung des Obersten Gerichtshofes die Beweise nicht ausreichten. Schon bei zwei vorangegangenen Verfahren war dies nicht gelungen, weil sich eine Tatbeteiligung nicht nachweisen ließ.

Dabei waren sich die Ermittler im Dezember letzten Jahres sicher, daß sie ausreichend Beweise zur Hand hätten: Ein illegaler Waffenhändler namens Sigge Cedersen hatte kurz vor seinem (natürlichen) Tod ausgesagt, Pettersson die Mordwaffe gegeben zu haben. Auch Lars Tingström - der von Schwedens Presse nur "der Bombenmann" genannt wurde, weil er wüst Briefbomben verschickte - benannte in seinem Testament Pettersson als jenen, der am 28. Februar 1986 den damaligen Ministerpräsidenten ermordete. Der 1993 verstorbene Tingström erklärte in seinem schriftlichen Nachlaß außerdem, er selbst hasse den Staat und habe die Ermordung des Königs sowie Palmes geplant und Pettersson dafür als Täter auserwählt. Zudem will ein Taxifahrer Pettersson in der Mordnacht dreimal in der Straße Sveavägen, dem Ort des Mordes, gesehen haben, und Lisbet Palme, die Witwe des einstigen Regierungschefs, hatte Petterson in einer Gegenüberstellung wiedererkannt. Obwohl perfekt in das Polizei-Konzept vom einsamen, verrückten Einzeltäter ohne politisches Motiv passend, mangelte es am Tatwerkzeug, das bisher nicht sichergestellt wurde. Der alkoholkranke, vorbestrafte Pettersson selbst beharrt jedenfalls darauf, unschuldig zu sein. Der Tageszeitung Aftonbladet sagte er auf die Frage nach seiner Tatbeteiligung: "Ruf Gott an und frag den!"

Über zwölf Jahre nach der Tat stehen die Ermittler so ohne Täter da, dafür aber vor einem riesengroßen Chaos von verschiedenen Motiven und Spuren. Verdächtige stehen den Ermittlungsbehörden ausreichend zur Verfügung, an Zeugen mangelt es ebenfalls nicht, die meisten meldeten sich aber erst Jahre nach dem Mord. Neben dem Einzeltäter Pettersson haben die Ermittler bereits neun weitere Spuren aufgetan - alle bisher erfolglos.

So fiel der Verdacht zunächst auf Miro Baresic, ehemaliger Ustaschakämpfer und langjährige Hauptfigur der kroatischen Faschisten in Schweden. Der hätte einen sehr guten Hauptverdächtigen mit einem Motiv für einen Mord am schwedischen Ministerpräsidenten abgegeben, wenn er für den Tatzeitpunkt nicht ein lückenloses Alibi hätte - er saß wegen Mordes am jugoslawischen Botschafter Vladimir Rolovic im Gefängnis.

Außerdem wurde Victor Gunnarsson verdächtigt, der den Mordabend in einem Stockholmer Café verbrachte. Dort gab er sich in akzentfreiem Schwedisch drei Frauen gegenüber als Amerikaner aus und hielt ihnen einen Vortrag über Politik, wobei er "Rückenschüsse für Palme" erwähnte. Als der Verbaltäter das Café verließ, war es allerdings schon so spät, daß er den Tatort nicht mehr hätte erreichen können.

Nummer drei war die "Baltemannen"-Spur. Sie weist auf einen aus dem Baltikum kommenden Verdächtigen hin. Zum Verhör zwangsvorgeführt, weigerte er sich jedoch vehement, ein Alibi anzugeben, sondern verzog wenig später kurzerhand ins Ausland.

Die "PKK-Spur" als vierte Möglichkeit wurde zuerst vom ehemaligen Leiter der Nachforschungskommission, Hans Holmer, ins Spiel gebracht, der fest an einen ausländischen Mörder mit einheimischen Helfern glaubte. Einige Zeugen wollen zwar Aktivisten der kurdischen PKK in der Nähe des Tatorts gesehen haben, an einem relevanten Motiv mangelt es jedoch. Überdies war die PKK nach Erkenntnissen der schwedischen Polizei zuvor nie durch politische Morde aufgefallen.

Dagegen hätte Lyndon La Rouches Europäische Arbeiter Partei (EAP) ein deutlicheres Motiv für den Mord gehabt, zumal die Partei eine regelrechte Haßkampagne gegen den "sozialistischen" Ministerpräsidenten Palme betrieben hatte. Einer von La Rouches US-amerikanischen Sicherheitsmännern sagte dem Sender NBC, "daß Palme ein Verräter an den USA ist, den man erschießen" müsse. Darüber hinaus ließ sich aber kaum ein Indiz für die Verwicklung der EAP finden.

"VŒpenmafia", die Waffenmafia, war die sechste heiße Spur. Palme versuchte nämlich, im damaligen Iran-Irak-Krieg zu vermitteln. Beide Länder beschuldigten gleichzeitig explizit die schwedische Rüstungsindustrie, einer der waffenhändlerischen Konfliktverdiener zu sein. Einen Friedensstifter und Handelsunterbinder zu ermorden, hätte sich daher durchaus kurzfristig gelohnt, auch wenn an Krisengebieten und Kriegsregionen sicherlich kein absatzgefährdender Mangel bestand.

Die Mittlerrolle Palmes auch im Ost-West-Konflikt brachte die Ermittler auf die KGB- und CIA-Spur. Während der sowjetische Geheimdienst den Schweden als Teil des Westblocks begriff, war seinem US-amerikanischen Pendant die Haltung des Ministerpräsidenten viel zu undurchsichtig. Daß KGB und CIA den Sozialdemokraten unabhängig voneinander und dennoch zeitgleich oder gar gemeinsam ermorden wollten, glaubten selbst die Ermittler nicht ernsthaft und verwarfen diese Spur.

Die achte sogenannte "Finskesporet" - Finnenspur - begründete sich auf einen Vorfall wenige Minuten vor dem Mord. Von zwei aus dem Kino kommenden jungen Frauen, erkannte eine auf der Straße einen alten finnischen Schulkameraden wieder. Sie sah, daß er bewaffnet war, woraufhin er Sekunden später aufgeregt "Ich bin erkannt worden, was soll ich machen?" in ein Walkie-Talkie sprach. Die schwedische Untersuchungskommission wertete sie jedoch als "erfunden" - unter anderem, weil sich die Zeuginnen erst 1993 bei den Ermittlern meldeten.

Überhaupt soll es in der Umgebung des Kinos, das Olof und Lisbet Palme spontan und ohne Sicherheitsbeamte aufsuchten, von konspirativen Walkie-Talkie-Flüsterern nur so gewimmelt haben. Das könnte auch auf die neunte, die Polizei-Spur, hindeuten. Im schwedischen Polizeiapparat gibt es schließlich eindeutige rechtsextreme Tendenzen. Die als "Baseball-League" bekanntgewordenen Keulenschwinger und von der Politik deswegen unter Druck gesetzten und gerügten Einheiten sahen offenbar nur noch eine Lösung: den polizeikritischen Palme umzubringen. So würden sich dann auch die seltsamen Funksprüche erklären, die verhinderten, daß Erste-Hilfe-Kräfte und Ermittler frühestmöglich am Tatort erschienen. Kurz nach dem Mord jedenfalls veranstaltete die Baseball-League eine ausgelassene Olof-ist-tot-Polizei-Party.