Der Stolz des Ghettos

Dana Rosenblatt, ein junger Boxer aus Massachusetts, wird mit einer Boxlegende der dreißiger Jahre verglichen

"Das könnte der Benny Leonard der neunziger Jahre werden", behauptete 1996 ein Boxfachblatt über den US-Kämpfer Dana Rosenblatt und hatte mit dieser Prophezeiung zweierlei im Sinn. Zum einen hat Leonard, Profi von 1911 bis 1932 und Weltmeister von 1917 bis 1923, eine bis heute beeindruckende Kampfbilanz von nur fünf Niederlagen in 212 Kämpfen, und mit 69 K.o.-Siegen zeigt sich auch, daß er das seltene Exemplar eines harten Punchers in einer niedrigen Gewichtsklasse war.

Rosenblatt, Benny Leonards nun ausgerufener Nachfolger, ist zwar ein bißchen schwerer, aber der Kampfrekord des 26jährigen aus der Nähe von Boston klingt schon beeindruckend: 29 Siege, davon 22 durch K.o., und nur eine Niederlage hat er bislang aufzuweisen. Am 25. Juni boxt Rosenblatt um den IBF-Titel im Superweltergewicht gegen Luis "Yori Boy" Campas. Die Vermutung "Das könnte der Benny Leonard der neunziger Jahre werden" verweist aber auch darauf, daß Benny Leonard (Kampfname: "The Ghetto Wizard") noch heute als einer der besten jüdischen Boxer gilt, die je im Profibereich aktiv waren. Und Dana Rosenblatt schickt sich nun an, es ihm gleichzutun.

Mit Leonard hatte eine kurze und heute beinahe wieder vergessene Phase begonnen, in der Boxen ein jüdischer Sport war. Faktisch endet die Geschichte des Profiboxens als überwiegend jüdischer Sport mit Kämpfern wie Solly Krieger, dem Mittelgewichts-Weltmeister von 1938 /1939, Barney Ross ("The Pride of the Ghetto"), der zwischen 1933 und 1938 in drei Gewichtsklassen Champion war, und Maxie "Slapsie Maxie" Rosenbloom (Halbschwergewichts-WM 1930 bis 1934).

"Es gab um 1928 herum mehr prominente jüdische Boxer als in jeder anderen Bevölkerungsgruppe", schreibt der Wissenschaftler Jeffrey T. Sammons in seinem 1990 erschienenen Buch "Beyond the Ring", "der Erfolg war von den Iren zu den Juden übergegangen und sollte zu den Italienern, den Schwarzen und letztlich zu den Latinos weiterwandern, woran man die Aufstiegsstrategien der ethnischen Gruppen erkennen kann, die jeweils am Ende der sozioökonomischen Leiter angesiedelt waren." Eine andere Studie, "When Boxing Was a Jewish Sport" von Allen Bodner (1997), nennt als weiteren Grund für das jähe Ende der jüdischen Präsenz im Profiboxen den Umstand, daß die meisten jüdischen Boxer im Zweiten Weltkrieg in die US-Armee eintraten. Da endeten dann die Sportkarrieren ganz einfach. Zum anderen aber erlebten, so argumentiert Bodner, die städtischen New Yorker Juden einen kulturellen Schock, als sie plötzlich das ländliche Amerika kennenlernten: "Der Krieg verschaffte ihnen (den jüdischen Boxern; M.K.) auch eine neue und unerwartete Erfahrung von Antisemitismus." Dieses Erlebnis hinderte nach Bodners Einschätzung die meisten Sportler daran, nach dem Krieg ihren Beruf wieder aufzunehmen.

In der Tat gibt es seit den vierziger Jahren kaum noch jüdische Profiboxer, und einen Weltmeister schon überhaupt nicht mehr. Als prominenter jüdischer Boxer ist jedoch den meisten Sportinteressierten nicht Benny Leonard in Erinnerung geblieben, sondern einer, der gar kein Jude war: der Schwergewichtler Max Baer. So heißt es etwa in dem 1984 von Heribert Faßbender herausgegebenen "Sporttagebuch des 20. Jahrhunderts" , Baer sei "Sprößling deutsch-jüdischer Einwanderer", und auch Buddy Robert S. Silverman listet Baer in seinem Buch "The Jewish Athlete's Hall of Fame" (1989) auf. Doch Baers Mutter war eine schottisch-irische Katholikin, und er selbst hatte eine Katholikin geheiratet.

"Obwohl Max Baer einen jüdischen Stern auf seinen Hosen trug, war er kein Jude", schreibt Bodner. Peter Levine, der in "Ellis Island to Ebbets Field" (1992) die Bedeutung des Sports für die jüdische Amerikaerfahrung untersucht hat, glaubt, daß Baer, der 1933 Max Schmeling, der überall als Repräsentant Nazideutschlands wahrgenommen wurde, in der zehnten Runde k.o. schlug, sich solcher Insignien wie des Davidsterns nur bedient hat, um seine Solidarität mit den Juden auszudrücken: "Was Baers Geschichte interessant macht, ist nicht die Frage, wie 'jüdisch' er war, sondern die Art und Weise, wie er andere ermutigte und wie sie ihn als Symbol gegen antisemitische Stereotype, egal ob sie aus Amerika oder von den Nazis herrührten, wahrnahmen."

Doch die Abwehr von Antisemitimus ist für Juden eben nicht mit dem Erlebnis vergleichbar, das die schwarze US-Bevölkerung hatte, als Jack Johnson oder Joe Louis ihre großen Erfolge feierten. Johnson war 1908 der erste schwarze Schwergewichts-Weltmeister der Geschichte, und Joe Louis hatte durch seinen Erstrunden-K.o.-Sieg über Max Schmeling 1938 die von den Nazis angekündigte Demonstration der überlegenen weißen Rasse blamiert. Während die Dominanz der schwarzen US-Boxer im Profigeschäft anhält, sind weiße jüdische Boxer kaum noch vertreten. Ob Dana Rosenblatt am 25. Juni im Kampf gegen Luis "Yori Boy" Campas wirklich an die große Tradition, die mit Benny Leonard begann und Ende der dreißiger Jahre endete, anknüpfen kann, gilt den meisten Box-Experten als unwahrscheinlich. So bleibt wahrscheinlich auch nach Ende der neunziger Jahre Benny Leonard, der 1896 an der East Side von New York geboren wurde und schon 1947 starb, der beste jüdische Boxer des Jahrhunderts.