Hades sucht Pluto

Kleine Geschichte des Münchener Plutonium-Schmuggels

Die Inszenierung war perfekt: Monatelang hatten staatliche Stellen und Massenmedien zuvor eine regelrechte Panikstimmung erzeugt. In zahlreichen Interviews hatten Regierungsvertreter Deutschland zum Eldorado für Dealer und Käufer von Atombombenstoff hochstilisiert. Heerscharen von Kamerateams von Spiegel TV bis Vox waren durch die Republik gezogen, um mittels fingierter Kaufangebote den Beweis für die Behauptungen der Politiker zu liefern, es gebe einen Schwarzmarkt für Plutonium.

Natürlich wurde auch etwas aufgetrieben, wenn auch nur in minimalen Mengen: mal 0,8 Gramm hochangereichertes Uran im niederbayerischen Landshut, mal 5,6 Gramm Plutonium 239 in einer Garage bei Konstanz. Alles durchaus gefährlich, aber zum Bombenbauen entweder zu wenig oder ungeeignet.

Am 10. August 1994 war es dann endlich soweit. Keiner konnte mehr an der Existenz eines atomaren Schwarzmarktes auf dem Boden der Bundesrepublik zweifeln. Sechs Wochen vor der bayerischen Landtagswahl, ebenso knapp vor der Bundestagswahl und kurz vor der Verabschiedung des neuen Verbrechensbekämpfungsgesetzes im Bundestag platzte am Münchener Franz-Josef-Strauß-Flughafen die Bombe: Der Kolumbianer Justitiano Torres Ben'tes, der soeben mit dem Flugzeug aus Moskau eingetroffen war, wurde von einem Großaufgebot von Beamten des Bayerischen Landeskriminalamtes (LKA) erwartet und in Handschellen abgeführt, seine in München wartenden Komplizen Julio Oroz Eguia und Javier Bengoechea wurden ebenfalls festgenommen. Im Gepäck des Kolumbianers fanden die Polizisten neben 100 Gramm Lithium 6 auch 560 Gramm eines Pulvergemischs aus Plutonium und Uran, das 363,4 Gramm bombenfähiges Plutonium 239 enthielt. Der Beweis war erbracht.

Ärgerlich, daß die Inszenierung acht Monate später durch Recherchen des Spiegel aufflog. Ebenso ärgerlich, daß sich die Akteure und Drahtzieher des Coups anschließend jahrelang mit parlamentarischen Untersuchungsausschüssen herumschlagen mußten, von denen der eine - der Untersuchungsausschuß des Bayerischen Landtags - soeben seinen Abschlußbericht vorlegte, während der andere - der des Bundestages - seine Untersuchungen noch einmal bis ins neue Jahr hinein verlängert hat.

Ärgerlich das alles, aber ansonsten nicht weiter tragisch. Denn die Ziele der von einem feinsinnigen Beamten so benannten "Operation Hades" wurden allesamt erreicht: Auf dem Boden der Nicht-Atommacht Bundesrepublik war bewiesen worden, daß die Atommächte ihre nuklearen Vorräte nicht ausreichend unter Kontrolle hatten. Rußland als offensichtlicher Lieferant des Bombenstoffs war diskreditiert.

Nebenbei hatten sich CSU in München und Koalitionsregierung in Bonn mit ihrer repressiven Sicherheitspolitik profilieren können - die Wahlen wurden gewonnen. Und: Das umstrittene Verbrechensbekämpfungsgesetz passierte den Bundestag. Das Gesetz erschloß unter anderem dem Auslandsgeheimdienst BND, der nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes so gut wie überflüssig geworden war, neue Aufgabenfelder: Der Dienst sollte sich ab sofort auch um internationale "Nuklearkriminalität" kümmern.

Wen stört es heute noch, daß es ausgerechnet V-Leute des Hauptnutznießers des Atomschmuggels waren, die den Deal in Gang brachten? Denn, wie der Spiegel aufdeckte, waren es die V-Leute des BND, Rafael Ferreras Fern‡ndez, Deckname "Rafa" und Karsten Uwe Schnell, Deckname "Roberto", sowie Fern‡ndez Martin, mutmaßlich V-Mann der spanischen Polizei, die die "Operation Hades" in Madrid einfädelten. Im Juni 1994 hatten die drei im Untergrund der spanischen Hauptstadt eifrig nach Plutonium-Dealern gesucht. Schließlich fanden sich drei kleine Gauner, denen das Angebot so verlockend erschien, daß sie das zu erwartende Risiko auf sich nahmen und sich selbst auf die Suche nach Plutonium-Quellen machten. In Moskau wurden sie Anfang Juli 1994 fündig - wie genau ist bis heute ungeklärt.

Obwohl das BKA, das vermutlich von "Roberto" informiert worden war, weitere Verhandlungen über einen Plutonium-Import nach Deutschland ausdrücklich untersagte, lotste BND-"Rafa" die Dealer direkt nach München. Bereits am 11. Juli trafen Oroz und Torres mit einer Plutonium-Probe in der bayerischen Landeshauptstadt ein. Spätestens jetzt nahm Pullach das Spiel in die Hand. Am 25. Juli kam es zu einem ersten Treffen der beiden Dealer mit "Rafa" und dem verdeckten Ermittler des Bayerischen Landeskriminalamtes (LKA), Walter Boeden, der als potentieller Käufer auftrat. Ebenfalls anwesend: BND-Agent "Adrian" alias Willi Liesmann vom BND Referat 11 A (Drogen und Geldwäsche). Er fungierte offiziell nur als Dolmetscher, in Wirklichkeit aber war er es, der die Fäden zog. Als sich herausstellte, daß die ursprünglich angepeilte Menge von vier Kilogramm Plutonium nicht sofort beschafft werden konnte, gab Liesmann nach eigenen Angaben "Rafa" die Order: Lieber weniger, dafür bald, "das wäre ein guter Punkt für die Partei bei den Wahlen" - gemeint war die CSU. Gesagt, getan. Zwei Wochen später war der Stoff in München, mitten im Wahlkampf.

Was zuerst zu einem großen Erfolg für deutsche Behörden hochgejubelt und schlagzeilenträchtig vermarktet wurde, entpuppte sich bald als Staatsaffäre: Nicht nur BND und LKA waren in die Aktion verstrickt sondern auch die bayerische Justiz. Das BKA, die Umweltministerien in Bonn und München und das Bundesfinanzministerium waren vorab zumindest informiert. Kaum anzunehmen, daß Gerd Schmidbauer, der Geheimdienstkoordinator und Kanzleramtsminister, und sein Kanzler Kohl, von allem nichts mitbekommen haben.

Als erstes durchschauten die Russen das falsche Spiel der deutschen Behörden. Kirill Sidorow, Abteilungsleiter beim russischen Spionageabwehrdienst, stellte bereits unmittelbar nach der Verhaftung der drei Plutonium-Schmuggler fest: "Die deutsche Polizei tanzt zunehmend nach der Musik jener Leute, die mit Superpreisen russische Nuklear-Offerten erst richtig lostreten wollen. Unsere kriminellen Strukturen hören davon und bieten sich prompt an. Erst die Nachfrage regelt das Angebot." Diese Sichtweise wurde ein Jahr später auch vom Landgericht München untermauert. In seinem Urteil gegen die drei Schmuggler stellte die 9. Strafkammer im Juli 1995 fest, bei dem Plutoniumfall habe es sich um eine "klassische polizeiliche Tatprovokation" gehandelt.

Da die deutschen Behörden sowohl vor als auch nach dem 10. August 1994 eine Zusammenarbeit mit der russischen Polizei tunlichst unterließen, wurde auch nie aufgeklärt, woher das Plutonium genau stammte. Die Deutschen überließen den Russen nicht einmal Proben, um die Herkunft des Stoffs zu ermitteln. Nicht nur, daß die deutschen Ermittler offensichtlich kein Interesse an einer Aufdeckung der Quelle hatten. Um den Plutonium-Deal medienwirksam in München auffliegen zu lassen, hatten sich Polizei und BND sowohl über das Kriegswaffenkontrollgesetz hinweggesetzt als auch über eine nur drei Wochen vor der Tat erlassene Richtlinie des Bayerischen Innenministeriums, in der es ausdrücklich heißt, polizeiliche Maßnahmen dürften "grundsätzlich nicht dazu führen, daß im Ausland befindliches Material nach Deutschland gebracht wird".

Mit einer regelrechten Desinformationskampagne versuchte der BND unter seinem damaligen Chef Konrad Porzner (SPD) sein Vorgehen zu rechtfertigen. Es sei nicht sicher gewesen, daß das Plutonium erst aus Rußland beschafft werden mußte. Man habe von einem Lagerort in Deutschland ausgehen müssen oder diesen zumindest nicht ausschließen können, so die Argumentation. Ein Teil des Plutoniums lagere in Brandenburg oder sei gar auf einem Münchener Friedhof vergraben, wurde lanciert. "Fest steht, daß alle Hinweise, daß die Ware bereits in München sein könnte, vom BND und dessen V-Mann 'Rafa' gekommen waren und nicht von den Tätern selbst", stellen dazu die Bayerischen Landtags-Grünen in ihrem Minderheitenbericht zum Münchener Untersuchungsausschuß fest.

Auch BND-Agent "Rafa" widersprach vor dem Untersuchungsausschuß des Bundestages der Lesart des BND und widerrief seine ursprüngliche Aussage: Schon Monate vor der Aktion sei klar gewesen, daß der Stoff erst in Rußland habe beschafft werden müssen. Spätestens am 2. August 1994 hätten alle Beteiligten gewußt, daß das Plutonium im Flugzeug aus Moskau kommen würde. "Wir alle wußten, was wir taten", so "Rafa". "Eure Regierung wußte Bescheid."

Zu dem Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz gesellen sich noch einige weitere Skandale: Etwa daß es die deutschen Behörden in Kauf nahmen, daß das Plutonium im Gepäckraum einer Lufthansa-Linienmaschine transportiert wurde - mit unabsehbaren Folgen bei einem Flugzeugabsturz oder auch nur einer unsachgemäßen Behandlung durch das Flughafenpersonal. Oder daß der eigentlich ausschließlich für Auslandsaufklärung zuständige BND die Aktion wie eine innerstaatliche Polizeibehörde leitete.

Und nicht zu vergessen das Verhalten des BND und seines Aufsehers Schmidbauer bei der Aufklärung der Vorfälle: Monatelang verzögerten die Regierungsparteien in den Untersuchungsausschüssen die Vernehmung von Schmidbauer, Kohl und anderen wichtigen Zeugen, so daß diese sich ausreichend auf ihre Aussagen vorbereiten konnten. Der BND erhielt laut Spiegel Einsicht in Anklageschriften und Unterlagen der Staatsanwaltschaft, fertigte Unterlagen nachträglich an. BND-Mitarbeiter logen vor Gericht (zwei wurden mittlerweile wegen Falschaussage verurteilt).

Als "Rafa" aus Enttäuschung über nicht eingehaltene Zahlungsversprechungen seine ursprünglichen Zeugenaussagen widerrief und den BND schwer belastete, lancierte der Dienst Gerüchte, "Rafa" werde von der Russenmafia erpreßt. Überhaupt die Russen: Die sind an allem schuld, auch an den Spiegel-Enthüllungen, behauptete zumindest Staatsminister Schmidbauer: Moskau habe die Spiegel-Geschichte "regelrecht placiert".

Ein Deal mit den drei Atomschmugglern verhinderte schließlich, daß deren Verteidiger vor dem Landgericht München allzusehr im Trüben fischten und dabei unangenehme Tatsachen zutage förderten: Torres, Oroz und Bengoechea wurden zwar zu Gefängnisstrafen verurteilt, jedoch schon nach der Hälfte der Haftzeit wieder entlassen. Daß in den Untersuchungsausschüssen in Bonn und München nicht allzu viel ans Tageslicht geholt wurde, das garantierte die Ausschußmehrheit der Regierungsparteien und das Desinteresse der Öffentlichkeit dreieinhalb Jahre danach. Da stört es auch wenig, daß der Untersuchungsausschuß des Bundestags seine Arbeit vorerst doch noch nicht beenden wird.

Eigentlich sollte am vergangenen Freitag die Beweisaufnahme abgeschlossen werden, doch ein überraschend aufgetauchter Vermerk aus dem bayerischen Justizministerium verhinderte dies vorerst. Der Vermerk liefert einmal mehr einen Hinweis darauf, daß die Behörden bereits vor dem 10. August über den Herkunftsort des Plutoniums informiert waren.