Gewinn aus dem Scheitern

Wenn die SPD bis April nächsten Jahres warten will, dann kann sich der Kanzler ruhig auf jene Qualität zurückziehen, die ihm in früheren Jahren gerne nachgesagt wurde: Bis Jahresende will Kohl die Entscheidung aussitzen, mit welcher Mannschaft er in den Bundestagswahlkampf geht. Da mag Finanzminister Waigel noch so drängeln, der für seine CSU einen Ersatz für das wegprivatisierte Postministerium fordert, und der FDP-Wahlkampfmanager Westerwelle mag noch so dringlich auf ein Ministeramt für seinen bläßlichen Parteichef drängen: Kohl wird stur bleiben.

Nicht die Stärke seiner momentanen Regierungsmannschaft zwingt den Kanzler dazu, sondern deren offensichtliche Schwäche. Keines der sogenannten Großen Reformvorhaben, aus denen die Regierung fast schon ihre Legitimation bezogen hat, konnte verwirklicht werden, und das peinlichste ist: Sie muß der Opposition sogar noch dankbar sein, daß die Gesetzeswerke gescheitert sind, die unter dem Strich nur eine Verschärfung der Verschuldungskrise gebracht hätten. Das Tief der Regierung Kohl ist nicht personell bedingt, sondern strukturell. Würde der Kanzler seine Pferde jetzt wechseln, so würde dies nur zu einer Personalisierung von Beschränkungen führen, die mit Personen nichts zu tun haben. Ein Theodor Waigel, der sich Hoffnungen auf das Außenamt macht, würde dort trotz aller markigen Rhetorik ("Kamerad, es wäre schön gewesen, aber jetzt müssen wir die neue Mannschaft bilden.") keine gute Figur abgeben, hinge ihm der Makel des gescheiterten Finanzministers an.

Doch Kohl rechnet noch weiter: Die Beschränkungen werden bleiben, egal wer sie verwaltet. Nur, wenn er Gras über die Niederlagen des laufenden Jahres wachsen läßt, kann der Kanzler die Illusion erwecken, mit einem unverbrauchten, dynamischen Kabinett anzutreten. Wer dieser Regierungsmannschaft letztlich angehören wird, ist dann ziemlich egal; mit ziemlicher Sicherheit wird der ungeschickte FDP-Mann Schmidt-Jortzig nicht mehr dabeisein, auch Innenminister Kanther wird seiner Partei zur vorübergehenden Freude vieler Linker wohl nur noch als "Alter Kamerad" dienen können. Töpfers Bauministerium gilt schon längst als Schleudersitz, und auch die Rochade um Waigel dürfte schon programmiert sein.

Doch letztlich wird sich dadurch äußerst wenig ändern: Zwischen den wirtschaftlichen Beschränkungen einerseits, die jede Art von Steuergeschenk ausschließen und andererseits dem unbedingten Willen, die Wähler mit gnadenlosem Populismus und - wer weiß - vielleicht auch noch der einen oder anderen Verschärfung des Ausländerrechts zu mobilisieren, bleibt nur noch ein schmaler Pfad. Und den wird Helmut Kohl gehen, egal mit wem.