Samstag, 03.08.2024 / 10:29 Uhr

Austausch des Tiergartenmörders - Yahyar Sinwar zum Vorbild?

Bild: Jeffrey Beall, Flickr

Der Gefangenaustausch zwischen Russland und dem Westen ist nicht nur rechtlich bedenklich, sondern erinnert auch an vorhergegangene im Nahen Osten.

Dem Stellvertretender Vorsitzender des Sicherheitsrates der Russischen Föderation Dimitry Medwedew ist moralische Integrität wichtig, kommentiert er auf X in Englisch: 

No comment on the Paris Olympics: a disgusting sight. Macron-led France’s turned into a slut grimacing to ululations of a mad, ungodly crowd. Total disgrace. Compare this to the Russia-held brilliant 2014 Sochi Olympics and 2018 FIFA World Cup. Stop watching the ugly freak-show.“

Zur Durchsetzung seiner Moral kündigt er auch schon auf Telegram die nächsten Morde an: 

„Lassen Sie die Verräter jetzt fieberhaft neue Namen auswählen und sich aktiv im Rahmen des Zeugenschutzprogramm tarnen.“

Die Grundlage für diese Ankündigung wurde durch den Deutschen Justizminister Marco Buschmann gelegt. Dieser hatte dem Generalanwalt im Rahmen seines Weisungsrechtes befohlen, von der weiteren Strafvollstreckung bei dem zu lebenslanger Haft mit Annahme der besonderen Schwere der Schuld verurteilten Auftragsmörder Wadim Krassikow abzusehen. Wadim Krassikow hatte im Auftrag Russlands am 23.08.2019 den Georgier Selimchan Changoschwili im Tiergarten erschossen. Als er auf einem Fahrrad flüchten wollte wurde er festgenommen.

Knapp fünf Jahre danach steigt er als erster, von Straubingen aus abgeschoben, in Moskau aus einem Flugzeug. Ein roter Teppich ist ausgerollt, militärische Ehren aufgereiht und der von Botoxbehandlungen gezeichnete Wladimir Putin schüttelt ihm die Hand.

Wie ist Buschmann rechtlich vorgegangen, um Krassikow trotz Verurteilung frei zu lassen?

Auch Rechtsstaat besteht aus Menschen

Rechtsstaatlichkeit ist erstmal ein formelles Prinzip. Es bedeutet, dass staatliche Gewalt nicht willkürlich ausgeübt werden soll, sondern in von Personen unabhängigen Verfahren. So soll sich an gerechte Entscheidungen angenähert werden. Da aber auch ein Rechtsstaat aus Menschen besteht und einzelne Situationen einer individuellen Entscheidung bedürfen, gibt es in bestimmten Rahmen Ermessensentscheidungen.

Wenn ein Ausländer zu einer Haftstrafe verurteilt wird, kann durch die Staatsanwaltschaft gem. § 456a Strafprozessordnung von einer weiteren Vollstreckung abgesehen werden, wenn er dann von der Ausländerbehörde abgeschoben wird. Bei Rückkehr in die BRD wird er erneut festgenommen und die Vollstreckung wird fortgesetzt. Das ist etwas anderes als eine Gnadenentscheidung, die es auch noch gibt, um den Rechtsstaat im Einzelfall human zu halten. Hintergrund eines Absehens der Vollstreckung ist in erster Linie die Entlastung des deutschen Strafvollzuges. 

Gesetzlich ist ein Zeitpunkt, wann diese Entscheidung von der Staatsanwaltschaft getroffen werden darf, nicht festgeschrieben. Dazu gibt es in jedem Bundesland ähnlich ausgestaltete Richtlinien, welche das Ermessen der Staatsanwaltschaft binden. Als frühestmöglicher Zeitpunkt der Abschiebung aus der Haft gilt allgemein die Hälfte der verbüßten Strafe. Bayern sieht vor, dass bei Schwerkriminalität, aber erst nahe am 2/3tel Zeitpunkt durch die Ausländerbehörde ausgewiesen und abgeschoben werden darf. 

Bei lebenslanger Haft darf frühestens nach 15 Jahren eine Bewährung geprüft werden. Ein ermessensmäßiges Absehen von Strafe nach 456a StPO mit Abschiebung darf nach den meisten Richtlinien der Länder erst nach 12 Jahren erfolgen. 

Genau so sah es wohl auch die Bundesanwalt bei dem Auftragsmörder des FSB. Krassimov sollte nicht besser behandelt werden als verurteilte, nach dem Betäubungsmittelgesetz oder andere, die so genannte schwere Straftaten begangen haben.

Rechtsbeugung

Die Bundesregierung gab wohl mit Zustimmung der CDU die Weisung an die Bundesanwaltschaft, dass mindestens sieben Jahre vor der üblichen Abschiebung einer solchen zugestimmt werden sollte. Mit dem Austausch wurde zwar kein innerstaatliches Gesetz gebrochen. Aber es wurde mit der Weisung, Ermessen völlig anders als gewöhnlich auszuüben, das Recht zumindest mehr als gebogen.

Keiner der für Krassikow ausgetauschten hatte Blut an den Händen. Wahrscheinlich waren einige nur deshalb in Russland festgenommen worden, um damit den russischen Patrioten und Mörder Krassikow freizupressen. Joe Biden äußerte, die BRD habe mit der Entscheidung gegen ihre eigenen Interessen gehandelt. 

Angesichts dessen, dass russische Geheimdienste in den letzten Jahren in Spanien, Großbritannien und der BRD Morde begangen haben, hätte eine weitere Vollstreckung von zukünftigen Morden wohl nicht abgehalten. Aber es wurde gezeigt, dass es sich lohnt, irgendwelche Leute, die z. B. Cannabisgummibärchen haben oder Journalisten sind, in Haft zu nehmen, um dann einen mit Blut an den Händen frei zu bekommen.

Cannabisgummibärchen

Schon 2022 wollte Russland Krassikow in einem Deal mit den USA freipressen. Damals ging es um eine Basketballspielerin, mit der er ausgetauscht wurde. John Kirby wies darauf hin, dass die USA das nicht machen könnten, da der Betroffene in Deutschland in Haft saß. Am 01.08.2022 wurde noch mit dem Titel „warum der Tiergartenmörder nicht ausgetauscht wird“ berichtet:

„Doch auch wenn Präsident Joe Biden um die Freilassung der Landsleute ringt und Außenminister Antony Blinken erstmals seit Kriegsbeginn ein Telefongespräch mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow führte - ein Austausch, der Krasikov einbezieht, kommt für die US-Regierung offensichtlich nicht in Betracht: "Zwei zu Unrecht inhaftierte Amerikaner als Geiseln für die Freilassung eines russischen Mörders in Gewahrsam eines Drittlandes ist kein ernsthaftes Gegenangebot", sagte zum Beispiel Adrienne Watson, eine Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrates, dem Sender CNN. Es sei ein "böswilliger Versuch" Russlands, das Angebot der USA zu umgehen.“ 

Böswilligkeit ist nicht immer unerfolgreich. Im Januar 2024 wurde dann z. B. ein Mann aus Hamburg wegen sechs Cannabisgummibärchen in Russland in Untersuchungshaft genommen. Auch er ist nun gegen den Mörder vom Tiergarten freigekommen.

Geiselaustausch im Nahen Osten

Es war wohl auch eine Überlegung, Nawalny gegen dns FSB-Mörder auszutauschen. Nawalny verstarb aber dann im Februar 2014 doch zu plötzlich. Damals wurde berichtet:

„Die Nawalny-Unterstützer aber sind überzeugt davon, dass Putin seinen schärfsten Kritiker aus dem Weg habe räumen lassen, weil er ihn um keinen Preis in Freiheit sehen wollte. Was den Tiergartenmörder angehe, so habe der Kreml nun trotzdem die Gewissheit, dass der Westen grundsätzlich zu einem Gefangenenaustausch bereit sei, meint Pewtschich. «Das ist das absolut unlogische, irrationale Verhalten eines verrückten Mafioso», sagt sie.

Dimitry Medvedev kennt sich auch mit dem Nahen Osten aus. Die Ermordung Hanyas von der Hamas läßt ihn am 31.07.24 folgendes auf X verbreiten: 

„The knot is tightening in the Middle East. Sorry for the innocent lives lost. They are but hostages of a disgusting state: the USA. Meanwhile, it’s clear to everyone that a full-scale war is the only way to a shaky peace in the region.“

Die wie immer moralisch besorgte russische Regierung, die am 02.08.24 Krassikow als Eliteagenten des FSB bezeichnete, verurteilte noch am 31.07.2024 die Ermordung von Yahyar Haniyeh in Teheran als „unakzeptablen politischen Mord“. Haniyehs Hamas hatte zuvor allerdings auch sehr gute Erfahrungen mit einem Gefangenenaustausch gemacht. Gegen den israelischen Soldaten Gilad Schalit wurde 2011 unter mehr als eintausend anderen auch Yahya Sinwar ausgetauscht. Dieser plante sodann das Massaker vom 07.10.2023. Wobei wohl insbesondere die Geiselnahmen von seinem eigenem Austausch 2011 motiviert waren.