Sonntag, 01.09.2024 / 21:18 Uhr

Reaktionen auf den Terror des IS: Richtige Zeichen setzen

Rede, gehalten auf dem Veto-Camp gegen Abschiebungen von Jesiden aus Deutschland am 31.08:

 

Wie wir jüngst erst wieder in Solingen gesehen haben, schlägt der IS auch hierzulande zu, verübt feige und hinterrücks Anschläge auf ahnungslose Menschen. Und was fällt der Politik als Erstes dazu ein? Ein Messerverbot! Nach dem Mord am Frankfurter Hauptbahnhof merkten Zeitungen an, dass dieser trotz eines dort bereits bestehenden Waffenverbots verübt werden konnte. Offenbar halten sich Mörder immer weniger an Vorschriften. 

 

Nein, es wäre ja lustig, wenn es nicht so traurig wäre. Die Politik hat außer billigen populistischen Reflexen scheinbar wenig zu bieten, wenn es um innere Sicherheit geht. Zu diesen Reflexen gehört auch der immergleiche Ruf nach Abschiebung. Doch Abschiebung hat noch nie irgendein Problem gelöst. Viele völlig unbescholtene Jesiden müssen gegenwärtig in ständiger Angst vor Abschiebung leben, das ist unverzeihlich und nicht hinnehmbar und es gibt dafür überhaupt keinen einzigen nachvollziehbaren Grund. Im Gegenteil, die zugewanderten Jesiden sind in ihrer großen Mehrheit wirklich mustergültige Neubürger, denen nichts mehr am Herzen liegt, als sich hier mit ihren Familien zu integrieren und endlich etwas Frieden zu finden. Die vom Bundestag einstimmig beschlossene Schutzwürdigkeit der Jesiden muss, gerade auch angesichts der jüngsten dramatischen Entwicklungen im Irak, unbedingt respektiert werden. Jesiden ist Schutz vor Verfolgung zu gewähren, ohne Ausnahme, Punkt!

 

Aber - und ich verstehe und respektiere, wenn hier viele sind, die mir an diesem Punkt widersprechen möchten - auch Abschiebungen, für die es vermeintlich gute Gründe gibt, weil sie verurteilte Straftäter oder Terroristen betreffen, lösen kein Problem. Sie verschieben es bloß woanders hin. Was hilft es, wenn Terroristen, statt hier in Haft zu kommen, nach Afghanistan abgeschoben werden, wo sie als Helden gefeiert werden? Diese Typen braucht man auch im Nahen und Mittleren Osten nicht, wo sie gegebenenfalls weiteres Unheil anrichten und damit auch weitere Fluchtbewegungen auslösen! "Straftäter" wiederum ist ein weiter Begriff, und auch für Straftäter gelten Menschenrechte. Deshalb verstößt es selbstverständlich gegen sämtliche Menschenrechts- und Flüchtlingsrechtskonventionen, sich mit brutalsten Folterregimen zu arrangieren, um dorthin Menschen abzuschieben. Wird aber von dieser Regierung mit Stolz praktiziert und soll nun sogar ausgebaut werden. Assad und die Taliban werden sich über solche Aufwertung freuen. Es würde mich kaum wundern, wenn diese Regime ministeriumsintern schon wieder als "Stabilitätsanker in der Region" gehandelt würden - um mal den leidigen Jargon zu bemühen, der seit Jahrzehnten die deutsche Außenpolitik prägt und der auch dazu beigetragen hat, dass der Nahe Osten heute so aussieht, wie er eben aussieht.


 

Wir müssen zwei Dinge verstehen: 

 

1. Deutschland ist keine Insel, Entwicklungen anderswo holen uns immer irgendwann ein, (Deshalb kann es uns übrigens auch nicht egal sein, was in Shingal weiter passiert. Deutschland engagiert sich da viel zu wenig.) 

 

2. Der islamistische Terrorismus hat sich längst in Deutschland etabliert, er ist insofern nichts "Fremdes" mehr, das man einfach so aus dem Lande, aus dem Sinn schaffen könnte. Menschen, die islamistischen Ideen anhängen, sind keine "Fremden" mehr, sie sind Teil dieser Gesellschaft, haben teilweise die deutsche Staatsangehörigkeit, ob einem das passt oder nicht. Die Jesiden wissen sehr genau, dass nicht nur sie in Deutschland Zuflucht gefunden haben, sondern auch ihre Todfeinde. Wir haben es mit einem enormen innergesellschaftlichen Problem zu tun. Das muss man verstehen. Jeder Versuch, Islamismus als Bedrohung von außen darzustellen, ist billigster Populismus. Von dem gibt es schon viel zu viel. 

 

Woran es fehlt? An klarer, unbeirrbarer Haltung und einer eindeutigen Positionierung an der Seite der Opfer des Terrors. Eine mächtige Antwort auf die Morde von Solingen wäre beispielsweise gewesen, nun zu beschließen, dass angesichts der fortgesetzten Bedrohung durch den IS die Abschiebungen von Jesiden in den Irak mit sofortiger Wirkung beendet werden. Solch eine glasklare Botschaft von der Politik und aus der Gesellschaft heraus hätte Stärke und Entschlossenheit vermittelt. Parteilichkeit im besten Sinne, im Sinne unserer Werte, und - ganz wichtig - in keiner Weise gegen Muslime gerichtet. Denn genau auf so eine Spaltung der Gesellschaft setzt ja der IS, und darauf setzt auch die AfD. Diese Kräfte eint die Vorstellung, dass sie die inneren Widersprüche, die freiheitliche Gesellschaften zweifellos durchziehen, so weit anheizen können, dass diese daran zerbrechen, um dann ihre jeweilige Version autoritärer Herrschaft zu etablieren. Dagegen wäre ein Abschiebestopp für Jesiden ein starkes Signal, dass wir zusammenstehen, jenseits ethnischer oder religiöser Zugehörigkeiten. Für Freiheit und Menschenrechte, gegen Terror. Das ist es, was unsere Feinde beeindruckt. Nicht kleingeistige Messerverbotsdebatten, Leistungskürzungen für Asylbewerber oder symbolische Charterflüge nach Afghanistan (die darüber hinaus enorm teuer und aufwendig sind). 

 

Uns bleibt nicht mehr, als diese furchtbaren Fehlleistungen und Versäumnisse der Politik immer wieder zu benennen und auf Änderung zu drängen und auf Einsicht bei Entscheidungsträgern zu hoffen. Dazu sind wir hier.