Freitag, 02.08.2024 / 15:15 Uhr

Israel und die aktuelle Konfliktsituation im Nahen Osten nach den Attentaten auf Haniyeh und Shukr

Iranische Rakete, Bildquelle: Farsnews

Die jüngsten Attentate auf führende Persönlichkeiten der Hisbollah und Hamas haben die geopolitische Lage im Nahen Osten weiter kompliziert und könnten zu einer Eskalation der militärischen Auseinandersetzungen führen. Obwohl diese Aktionen die Gefahr eines groß angelegten Krieges zwischen Israel und dem Iran sowie seinen Verbündeten wie der Hisbollah und seinen Proxies wie der Hamas erhöhen, haben sie zugleich das Ansehen des israelischen Premierministers gestärkt und ihm neue Handlungsspielräume verschafft.

 

Am 30. Juli 2023 wurde Fuad Shukr, ein hochrangiger Kommandant der Hisbollah, bei einem Luftangriff in Beirut getötet. Dieser Angriff war eine Reaktion auf einen Raketenangriff der Hisbollah auf Majdal Shams, bei dem 12 Kinder und Jugendliche getötet und 20 weitere verletzt wurden. Am folgenden Tag wurde Ismail Haniyeh, der Führer der Hamas, in Teheran ermordet. Diese Angriffe sind Teil der laufenden israelischen Militäraktionen zur Bekämpfung terroristischer Aktivitäten und zur Kontrolle über Gaza. Bereits im Vormonat wurde der Chef des militärischen Flügels der Hamas, Mohammed Deif, in Khan Yunis in Gaza getötet.

Diese Tötungen von Fuad Shukr und Ismail Haniyeh haben heftige Reaktionen ausgelöst. Die Hisbollah und andere pro-iranische Gruppen haben Vergeltung angekündigt. Hassan Nasrallah, der Führer der Hisbollah, betonte, dass Rache unausweichlich sei. Auch die Hamas drohte mit Vergeltung und erklärte, Israel würde es „bereuen“, Haniyeh getötet zu haben. Der Iran reagierte ebenfalls scharf auf die Tötungen. Ayatollah Ali Khamenei drohte mit einer „harten Strafe“ und betonte die Notwendigkeit der Vergeltung.

Iranische Verbündete wie die Hisbollah und Proxies wie die Hamas oder der Islamische Dschihad sind entschlossen, ihren Widerstand gegen Israel fortzusetzen. Dies zeigt sich besonders in der Unterstützung der Houthi durch iranische und Hisbollah-Ausbilder im Jemen, die Angriffe gegen Saudi-Arabien und israelische Ziele koordinieren. Diese breitere koordinierte Reaktion könnte auf eine intensivere militärische Konfrontation hinweisen.

Israel muss sich auf anhaltende Angriffe und mögliche Vergeltungsmaßnahmen einstellen. Die Biden-Regierung versucht, die Situation zu deeskalieren, indem sie Munitionslieferungen als Mittel zur Kontrolle der Kämpfe einsetzt. Washington hofft, genügend Zeit für eine vorübergehende Regelung zu gewinnen, während es gleichzeitig seine Verbündeten in der Region unterstützt.

Die jüngsten Ereignisse könnten weitreichende Konsequenzen für die Region haben. Während Israel kurzfristige militärische Erfolge erzielt hat, bleiben Iran und seine Verbündeten entschlossen, die niedrigschwelligen Angriffe auf Israel fortzusetzen. Die internationale Gemeinschaft ist tief gespalten, und die unterschiedlichen Interessen in der Region erschweren die Suche nach einer langfristigen Lösung.

Trotz der Gefahr einer Eskalation hat gerade die Ermordung des Politbürochefs der Hamas das Ansehen des israelischen Premierministers verbessert. Diese Entwicklung könnte von ihm genutzt werden, um Verteidigungsminister Yoav Gallant, der einen Kompromiss mit der Hamas und den Netanyahu-kritischen Demonstrierenden in Israel unterstützt, abzusetzen. Die gezielten Tötungen von Hisbollah-Kommandeur Fuad Shukr, Hamas-Führer Ismail Haniyeh und die Bestätigung des Todes von Mohammed Deif haben zeitgleich zu neuen regionalen Aufruhr in den Palästinensischen Autonomiegebieten geführt. Die Tötungen wurden im gesamten Nahen Osten als israelische Erfolge gewürdigt, auch wenn sie den Ruf Israels nach dem Massaker am 7. Oktober nicht vollständig wiederherstellen konnten.

Israel bereitet sich darauf vor, Vergeltungsschläge aus Teheran, Beirut und anderen Regionen zu verhindern, abzuwehren oder abzufedern. Die Chancen auf ein Geiselnahmeabkommen sind aufgrund der veränderten regionalen Ordnung drastisch gesunken. Die Rachedrohungen aus Teheran und Beirut haben die entsprechenden Einheiten der israelischen Streitkräfte in Alarmbereitschaft versetzt, und es wurden Maßnahmen ergriffen, um die Soldaten auf mögliche Angriffswellen vorzubereiten.

Es wird angenommen, dass die selbsternannte „Achse des Widerstands“ militärische oder strategische Einrichtungen angreifen wird, insbesondere im Zentrum und Norden Israels. Die Wahl von Zielen in den Metropolregionen Haifa oder Tel Aviv könnte als angemessene Reaktion angesehen werden. Die Ausschaltung von Shukr und Haniyeh, die der Iran Israel zuschreibt, innerhalb von nur sieben Stunden löste zwei recht heftige Kontroversen aus. Die eine beschäftigt sich mit der Frage, ob die Tötung in Teheran, die Israel zugeschrieben wird, gerechtfertigt war. Die zweite hat die anhaltende Debatte über einen Geiselhandel wiederbelebt – stärker denn je.

Auffallend ist, dass sich, außer der Hisbollah selbst, fast niemand sonst an der Ausschaltung Fuad Shukrs in Beirut gestört hat. Die Hisbollah wusste, dass sie die ungeschriebenen Spielregeln verletzt hatte, als ihre Rakete 12 Kinder und Jugendliche im drusischen Dorf Majdal Shams tötete. Die schiitische Hisbollah hat sich durch den Angriff auf das drusische Dorf Majdal Shams zudem in eine missliche Lage gegenüber der drusischen Gemeinschaft im Libanon gebracht (und log deshalb und leugnete die Verantwortung für den Angriff). Ein gezielter israelischer Angriff auf ein eindeutig militärisches Ziel, den Stabschef der Organisation, die drusische Kinder und Jugendliche tötet, stellt offensichtlich nicht die Art von Aktion dar, die in einen Krieg ausarten könnte, den die Menschen im Libanon zu erdulden bereit wären.

Die Debatte über den Geiseldeal hat zu Spannungen zwischen Premierminister Netanyahu und dem Verteidigungsestablishment geführt. Verteidigungsminister Gallant und Generalstabschef Herzi Halevi setzen sich öffentlich für Verhandlungen ein, während Netanyahu offenbar andere Prioritäten hat. Die Kluft zwischen Netanyahu und dem israelischen Verteidigungsestablishment könnte sich weiter vergrößern, insbesondere angesichts des bevorstehenden Jahrestages des Hamas-Massakers und der laufenden Untersuchungen zu den Ereignissen.

Was einen Deal mit der Hamas über die in ihrer Hand verbliebenen Geiseln betrifft, ist durch die Ermordung Haniyehs, die Israel zugeschrieben wird, offensichtlich geworden, dass Ministerpräsident Benjamin Netanyahu seine eigenen Ziele verfolgt, und die Heimholung der Geiseln steht dabei (falls sie es jemals tat) nicht ganz oben. Der Ministerpräsident ist daran interessiert, den Krieg in Gaza fortzusetzen, ohne die Aufteilung der dort gegen die Hamas operierenden Kräfte zu ändern.

Netanyahus Trumpf ist dabei die Tatsache, dass nach Haniyehs Tod, so glaubt man allgemein, der Hamas-Führer im Gazastreifen, Yahya Sinwar, weitere Verhandlungen verzögern wird, sowohl aus Protest gegen das Attentat als auch in der Erwartung, dass sein ursprünglicher Plan, die Lage in der Region aufzuheizen, endlich Früchte tragen würde. Sollte das der Fall sein, hat Sinwar kein Interesse daran, Israel aus der Patsche zu helfen.

Israels jüngste operative und nachrichtendienstliche Erfolge sowie die anhaltenden Spannungen mit der Hisbollah und dem Iran verdeutlichen die Herausforderungen, vor denen das Land steht. Die gezielten Tötungen haben die Dynamik des Nahostkonflikts verändert, und die geopolitischen Spannungen bleiben hoch. Während Israel versucht, seine militärischen Gewinne zu konsolidieren, bleibt die Suche nach langfristigen Lösungen eine komplexe und schwierige Aufgabe.

Quellen:
Jerusalem Post: https://www.jpost.com/israel-hamas-war/article-813004 
Times of Israel: https://www.timesofisrael.com/iran-led-axis-likely-to-launch-joint-attack-but-cant-reverse-israeli-gains-in-gaza/ 
Ynetnews: https://www.ynetnews.com/category/3083 
Times of Israel: https://www.timesofisrael.com/haniyeh-says-hamas-wont-be-defeated-after-his-no-2-killed-hezbollah-vows-revenge/ 
Jerusalem Post: https://www.jpost.com/israel-hamas-war/article-812809 
Times of Israel: https://www.timesofisrael.com/protector-of-the-resistance-irans-allies-proxy-terror-groups-mourn-raisis-death/ 
Times of Israel: https://www.timesofisrael.com/us-special-envoy-iranian-and-hezbollah-operatives-in-yemen-are-aiding-houthi-attacks/