Sonntag, 14.07.2024 / 15:32 Uhr

Wenn Czollek den Adorno macht

Bild: Thomas von der Osten-Sacken

 

Das muss man auch erst mal hinbekommen: Über den 7. Oktober und den gegenwärtigen Antisemitismus zu plaudern, um dann bei der AfD zu landen, derweil aber die Akteure und Gruppen mit keinem einzigen Wort zu erwähnen, vor denen dem wesentlichen Teil der Juden in Deutschland nicht erst - aber verstärkt - seit dem 7. Oktober der Arsch auf Grundeis geht. Und das sind eben nicht die AfD und andere deutschvölkische Ideologen. Dieses Kunststück vollbringt Max Czollek in einem jüngst mit ihm geführten Interview und es erfolgt dahingehend auch nicht eine einzige Nachfrage seitens seiner Gesprächspartnerin. Zugleich wird munter auf Adorno referenziert und von der deutschen Gesellschaft Selbstkritik eingefordert. 

 

Nun sind das Fortwesen des Nationalsozialismus in der Demokratie, von welchem Adorno sprach, und auch die Tabuisierung sowie Abspaltung des nach 1945 fortbestehenden Antisemitismus durchaus zutreffende Beobachtungen. Das gleichzeitige Schweigen darüber, wie dieser sich nach Auschwitz transformierende Antisemitismus später auch die Gestalt des Antizionismus annahm, insbesondere innerhalb großer Teile der Linken, ist hingegen ohrenbetäubend. Und während durchaus zutreffende Kritik an einer bestehenden Tendenz formuliert wird, den Antisemitismus im Deutschland der Gegenwart ausschließlich den „Anderen“ - also den Zugewanderten - in die Schuhe zu schieben, um als geläutertes Deutschland zu einem Selbstbild zu finden, welches Identifikation ermöglicht, wird so einer ganzen Reihe von migrantischen und linken Akteuren nicht zugestanden, ihrerseits als Subjekte einen für Juden durchaus bedrohlichen Antisemitismus zu propagieren, ja veritable Antisemiten sein zu können. Dies geht einher mit einem völligem Beschweigen der Lebensrealität der meisten Juden, die eben nicht primär vonseiten der AfD Gewalt und Anfeindungen fürchten müssen, auch wenn die Zustimmung zu antisemitischen Aussagen unter Anhängern der AfD höher als unter denen anderer Parteien ist. 

 

Die AfD mag mittelfristig die größte aus den Parlamenten kommende politische Gefahr für die Juden darstellen, doch hat der 7. Oktober daran nichts verändert. Sehr wohl aber hat sich durch ihn an den Unis und auf den Straßen der Großstädte die Situation für Juden unmittelbar und massiv verschlechtert. Dort dominiert allerdings nicht die AfD das Alltagsgeschehen, sondern der sogenannte (denn er ist es mitnichten) „propalästinensische“ Mob, flankiert von „Free Palestine from German guilt“ krakeelenden biodeutschen, sich irgendwie „links“ dünkendem Kiddies. Nichts davon findet in dem Interview mit Mosaik Erwähnung. Nicht einmal die Ausgrenzung und Anfeindung linker zionistischer Juden innerhalb größerer linker Zusammenhänge:

 

Leonie: Lass uns auch über den 7. Oktober sprechen. Hat sich deine Sicht auf die Debatten in Deutschland und Europa über Israels Politik und die Zunahme von Antisemitismus durch deine Erfahrungen in den USA verändert?

 

Max: Ehrlich gesagt, hätte ich gedacht, dass man hier schon weiter wäre. Aber die Diskussion um den 7. Oktober ist hier ganz ähnlich gelagert wie in Deutschland. Auch hier dreht sie sich erst mal darum, ob man sich für Israel ausspricht oder Solidarität für Palästinenser ausdrückt. Auch hier scheinen diese Positionen nur sehr schwer kombinierbar. In einem zweiten Schritt habe ich dann aber doch zumindest innerjüdisch eine offenere Diskussion erlebt als in Deutschland. Das ist heilsam und wichtig, weil das Judentum seit Jahren droht, an der Diskussion über Israel auseinanderzubrechen. Der Ausschluss der einen oder anderen bringt da gar nichts, wenn es um das Überleben des Judentums geht. Man muss einen Weg finden, wieder miteinander ins Gespräch zu kommen.

 

In diesen knapp zwei Monaten ist mir auch klar geworden, wie unhinged [„aus den Angeln gehoben“, Anm. der Reaktion] die Debatte in Deutschland im Moment ist. Die deutsche Erinnerungskultur und das deutsche Selbstbild basieren auf der Erzählung, dass man nicht mehr antisemitisch ist. Deshalb kommt der Dominanzkultur die Präsenz von Antisemitismus wohl auch viel unerträglicher vor als die von anderen Diskriminierungsformen. Dabei ist doch klar, dass wir alle Produkte eines strukturellen Antisemitismus sind, der in Deutschland seit Jahrhunderten existiert und auch nach 1945 nicht einfach verschwunden ist. Ich komme nicht ganz umhin, in der ganzen Aufregung seit dem 7. Oktober auch eine Strategie zu erkennen, diese ziemlich deutsche Verstricktheit auf Distanz zu halten. Anstatt einfach wie der Bundeskanzler Abschiebungen im großen Stil zu fordern, müsste man viel mehr in die Selbstkritik gehen.

 

Leonie: Beim Thema Selbstkritik muss ich an die Frankfurter Schule denken. In „Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit“ erklärt Theodor Adorno: „Aufgearbeitet wäre die Vergangenheit erst dann, wenn die Ursachen des Vergangenen beseitigt wären. Nur weil die Ursachen fortbestehen, ward sein Bann bis heute nicht gebrochen.“ Dein Essay aus dem Jahr 2020 trägt den Titel Gegenwartsbewältigung. Kann es eine Gegenwartsbewältigung ohne Vergangenheitsbewältigung geben?

 

Max: Der Begriff zielt nicht so sehr darauf, dass wir die Gegenwart für eine Zukunft bewältigen. Er meint eher, dass wir in der Gegenwart die fortdauernde Vergangenheit – Adorno, den wir hier in unserem Seminar gelesen haben, würde vielleicht von nachzitternden Schrecken sprechen – weiter wahrnehmen. Durch die permanente Beschwörung der Erzählung, dass Deutschland seine Geschichte erfolgreich aufgearbeitet hat, wird diese Einsicht auf Distanz gehalten. Dass diese Gewalt jedoch nicht bewältigt, sondern sehr real da ist und die Demokratie sowie vor allem ihre Minderheiten und antifaschistischen Anteile bedroht, belegt die Stärke der AfD. Aber man hat sich mittlerweile endlos weit entfernt von den ideologiekritischen Arbeiten der Frankfurter Schule. Und man scheint dabei die Fähigkeit verloren zu haben, eine selbstkritische Analyse der eigenen deutschen Gegenwart anzustellen. Stattdessen wird am liebsten und mit Ausdauer über die Anderen geredet, wenn es darum geht, Schuldige zu identifizieren.

 

Gewaltiger Hohlraum

 

Czollek spricht die Zerrissenheit innerhalb jüdischer Zusammenhänge hinsichtlich der Exklusivität von Solidarität in der Frage Israel und Palästina an und verlangt eine Perspektive von Solidarität für beide Seiten. Von der hiesigen propalästinensischen „Community“ ist bei ihm indes überhaupt nicht die Rede. Weder wird etwas Vergleichbares von ihr eingefordert, noch wird die Frage gestellt inwiefern es hier überhaupt eine innere Zerrissenheit gibt. Während er eine offenere Diskussion zu dieser Frage innerhalb der jüdischen Gemeinschaft als existenziell für deren Überleben betrachtet, bleibt die Seite der Palästinenser (und ihrer vermeintlichen Unterstützer) in seinen Ausführungen eine Leerstelle.  

 

Adorno, der zum Ende seines Lebens den Antisemitismus im Antizionismus der linken Studenten mit Bestürzung wiedererkannte, hatte in „Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit“ dereinst von einem vom Institut für Sozialforschung beobachteten „Hohlraum der Rede“ berichtet, der neben der Verwendung verharmlosender Begrifflichkeiten wie beispielsweise „Kristallnacht“ für das Sprechen über die Shoah in der deutschen Gesellschaft kennzeichnend sei. Ein gewaltiger Hohlraum findet sich auch in dem Interview mit Czollek. 

 

Trotz Adorno.