Sonntag, 26.12.2021 / 12:08 Uhr

Lust des Krieges

Von
Gastbeitrag von Volker Koehnen

Aufruf zur Großdemonstration im Juni 1982, Bildquelle: Wikimedia Commons

Die Verfasser eine "neuen Krefelder Appell" versuchen an die Tradition der Friedensbewegung aus den 80er Jahren anzuknüpfen. Dabei bedienen sie alle gängigen Memes der Querfrontszene

 

I. Der „Krefelder Appell“ an die damalige Bundesregierung von 1980 ist wohl eines der bekanntesten Dokumente der damaligen bundesrepublikanischen Friedensbewegung. In wenigen, nüchternen und politisch argumentierenden Worten appellierten die Unterzeichnenden dafür, die ein Jahr zuvor mit dem Nato-Doppelbeschluß gegebene „Zustimmung zur Stationierung von Pershing-II-Raketen und Marschflugkörpern in Mitteleuropa zurückzuziehen“, weil sie eine vorherige Einigung zwischen USA und Sowjetunion am Verhandlungstisch damals für unrealistisch hielten. Nun war der Appell insoweit schon damals mindestens unvollständig, weil die „in Mitteleuropa“ bereits stationierten sowjetischen Mittelstreckenraketen SS-20 mit keinem Wort erwähnt wurden. Das entsprach jedoch durchaus dem politischen Selbstverständnis großer Teile der damaligen Friedensbewegung: man wähnte sich nicht dem politischen Westen zugehörig, sondern irgendwie „neutral“, „vermittelnd“ oder aber sehr deutsch[1]. Und doch argumentierte der „Krefelder Appell“ politisch.

II. Ganz anders dagegen ein Pamphlet vom November 2021, das sich in die Tradition des „Krefelder Appells“ drängelt und „neuer ‚Krefelder Appell‘“ nennt. Wer nun aufgrund des Titels aber glaubt, dass die 133 Erstunterzeichner*innen die aktuelle, sicherheitspolitisch instabile Lage in Europa und der Welt zum Anlass nehmen, einen allgemeinen Appell zur Abrüstung in Europa, zur Wiederaufnahme des OSZE-Prozesses oder angesichts der russischen Truppenbewegung an der ukrainischen Grenze alle Seiten zu einer Verhandlungslösung drängen, reibt sich nach Lektüre verwundert die Augen: rein gar nichts steht dort etwa zu sicherheitspolitischen Themen oder aktuellen internationalen Konflikten, derer es aktuell ja nun aber viele sind. Stattdessen rechts wie links anschlussfähige Tiraden gegen „den US-Machtkomplex“, „das US-Imperium“ oder „The Great Reset“.

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Der Inhalt des Pamphlets mit dem Titel „Den Kriegstreibern in den Arm fallen“ ist schnell wiedergegeben und bedient so ziemlich alle gängigen Memes der Querfrontszene. Wirklichkeit als bloßes Komplott finsterer Eliten, die „uns“ einen unsichtbaren und totalen Krieg erklärt hätten: „Aber die Machthaber dieser Welt führen Kriege (..) an neuen (..) Fronten. Unter dem Deckmantel der Pandemie wird das Leben von Milliarden Menschen gefährdet. Allein in Indien hat der Lockdown (…) Millionen Menschenleben gekostet (…) Es gilt, dem Krieg in all seinen Formen zu begegnen – dem militärischen wie auch dem mit wirtschaftlichen, biologischen und psychologischen Mitteln geführten.“

Man gewinnt den Eindruck, dass „der Frieden“ die Funktion eines libidinös besetzten Kampfbegriffs erfüllte.

Das Coronavirus und die staatlichen Maßnahmen zum Schutz der Älteren, Kranken und Schwachen sind für die Unterzeichnenden also nichts weiter als ein „Krieg“ der Eliten gegen die Bevölkerung, ein Komplott zur Knechtschaft. Belege für diese Weltsicht, auch das üblich in dieser Szene, werden keine genannt oder man beruft sich auf zweifelhafte Quellen, wie zum Beispiel die „World Doctors Alliance“, nach deren Angaben angeblich Millionen wegen des Lockdowns gestorben seien. Prominente Mitglieder der „WDA“ fallen immer wieder mit Falsch- und Desinformationen oder Coronaverharmlosungen auf, so in einem Fall, wo behauptet wurde, Masken und Abstandsregeln seien unnötig, weil Covid-19 mit Ernährung und Vitaminen behandelbar sei; oder die Aussage eines Mitglieds der „WDA“, der früher AfD-Landtagsabgeordneter war, dass Impfbefürwortende „Jünger Josef Mengeles“ seien[2]. Auch der in der Szene gehypte „9/11“ muss wieder als „inside job“ herhalten, indem kurzerhand der ehemalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld zu „einem der Drahtzieher der Operation 9/11“ erklärt wird, denn es seien „immer dieselben Kräfte, die hinter (…) Krieg stehen“.

Am Ende des Pamphlets fordern die Unterzeichnenden von der „deutschen Bundesregierung sich von einer Politik der Kriege abzuwenden“ und fordern eine Politik, „die es nicht zulässt, dass das US-Imperium inkl. Deutschland und der anderen NATO-Staaten die Welt weiter mit Kriegen überzieht.“

III. Stil und Geist des Pamphlets transportieren jene Haltung, die schon die „Friedensmahnwachen“ 2014 prägten: eine seltsam passive Aggressivität der Akteur*innen, die eine*n geradezu aus jeder Zeile anspringt. Man gewinnt den Eindruck, dass „der Frieden“ die Funktion eines libidinös besetzten Kampfbegriffs erfüllte, der einer Art Propaganda- und Desinformationsschlacht bedürfte, ja der Einsatz für ihn letztlich selbst zu einer Art Krieg wird, der zu führen ist. Statt Friedenstaube auf der offenen Hand: die geballte Faust in der Tasche, die die Friedenstaube so fest hält, dass sie sie im Ergebnis würgt.

Und mit grotesker Regelmäßigkeit ergreift ein Teil der Linken Partei für die „staatliche Souveränität“ von autoritären Regimen, wie beispielsweise für Assad in Syrien.

Man könnte das alles als Verrücktheiten oder wahnhafte Halluzinationen einer kleinen Gruppe abtun, die es oder so ähnlich verschwurbelt und gegenaufklärerisch schon immer mit einem Bevölkerungsanteil von mindestens 10-20% gab. So einfach ist es aber leider nicht, denn das Pamphlet steht exemplarisch für eine politisch beunruhigende Entwicklung der letzten Jahre, die sich durch und in der Pandemie selbst nochmal radikalisiert hat, und zwar inhaltlich-propagandistisch wie in ihrer Breitenwirkung, die durch die sozialen Medien massiv erhöht werden konnte. Hatte zum Beispiel die „World Doctors Alliance“ auf Facebook zu Beginn der Pandemie noch 3456 Nutzer*innen, waren es Mitte 2021 schon sieben Facebook-Seiten, die diesem Netzwerk angehörig sind, mit rund 460.000 Nutzer*innen[3].

Beim Querfront-Komplex insgesamt handelt es sich also um eine Propaganda- und Desinformationsmaschinerie, die wie geschmiert läuft. Allerdings wäre auch dieser Befund zu wenig für eine kritische Analyse, denn es gab geschichtlich immer schon Teile der Linken, die die Kritik der gegebenen Verhältnisse mit der Identifikation „des Bösen“ oder der Denunziation von Personen, Gruppen oder Staaten verwechselten oder die durch gesellschaftliche Praxis geschaffene Strukturen auf bloße Personifizierungen reduzierten, kurz, die fast alle emanzipatorischen Standards reißen; auch der Umschlag ins dezidiert Gegenaufklärerische ist geschichtlich nichts neues (wenn freilich auch immer wieder scharf zu kritisieren). Solche Positionen wurden und werden regelmäßig zu Anknüpfungspunkten in andere politische Lager hinein, eben zur Querfrontbildung. Abfall vom rationalen Denken, keinerlei profunden Begriff von Kritik, stattdessen Ressentiment. 

Und mit grotesker Regelmäßigkeit ergreift ein Teil der Linken Partei für die „staatliche Souveränität“ von autoritären Regimen, wie beispielsweise für Assad in Syrien. Nicht, dass staatliche Souveränität und Unverletzlichkeit von Grenzen nicht unverzichtbare Bestandteile des Völkerrechts wären, aber es fällt das zweierlei Maß auf, das dort teilweise angelegt wird: annektiert Russland kurzerhand die Krim, verletzt also die Staatsgrenzen der Ukraine - „Schwamm drüber“; startet aber die so genannte internationale Staatengemeinschaft eine Einsatz zum Schutz von Zivilisten vor Giftgasangriffen in Syrien, schießen die Solidaritätskomittees für Assad aus dem Boden."

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FB Auftritt des SKS, Screenshot

 

Eine emanzipatorische Friedenspolitik darf sich, will sie sich selbst ernst nehmen, keine doppelte Standards leisten, ebensowenig wie eine Neutralität, deren Ergebnis allzu oft eine Art Friedhofsruhe ist, sie muss auch nicht zwingend oder notwendigerweise pazifistisch sein, denn sie ergreift universell Partei für die Schwachen, für Freiheit, Gleichheit und Solidarität. 

War der „Krefelder Appell“ von 1980 mit seiner Kritik wenigstens noch in Rahmenbedingung einer Realität eingelassen, die auch seine politischen Gegner*innen teilten, entwirft sein Möchtegern-Nachfolger ein selbstgezimmertes und -referentielles Wahnbild einer „Wirklichkeit“, welches natürlich ob seiner Wahnhaftigkeit kritisiert werden kann, das es aber zugleich rein logisch gänzlich verunmöglicht, sich damit inhaltlich-politisch seriös auseinanderzusetzen. Der emanzipatorische Teil der Linken wird sich jetzt neu sortieren und ja, auch abgrenzen müssen von anderen Teilen, die sich im Wahn verstrickt haben. Insofern markiert die Pandemie einen ähnlichen geschichtlichen Punkt wie der Irakkrieg Anfang der 1990er Jahre, denn von einem Sammeln des Sammelns wegen, von einer Hegemonie des kleinst-minimalen gemeinsamen Nenners (wenn er überhaupt existiert), kann den politischen Gegebenheiten nach von Seiten der emanzipatorischen Linken nicht mehr die Rede sein, im Gegenteil, es gelte vielmehr, einen klaren Strich zu ziehen, erreichte emanzipatorische Standards zu halten, anstatt sie zu unterschreiten: vernunftbasiertes, dialektisches, kritisches Denken und eine gesellschaftliche Praxis, die dem entspricht. 

 

Anmerkungen:

[1] Vgl. den Text („Ein Volk, ein Reich, ein Frieden“) von Wolfgang Pohrt aus 1981, in dem er die Friedensbewegung als „deutsch-nationale Erweckungsbewegung“ bezeichnete

[2] tagesschau.de, https://smex-ctp.trendmicro.com/wis/clicktime/v1/query?url=https%3a%2f%2fwww.tagesschau.de%2ffaktenfinder%2fcovid19%2dfacebook%2ddesinformation%2d101.html&umid=bff4f626-1cec-40d6-913c-5cf9eb02e3e0&auth=4e53e2bb35bb1b6effca7d0c6ab573a933b712fa-cf130a635a8181ec9bd3b3be0e9acfe707d0368e

[3] tagesschau.de, https://smex-ctp.trendmicro.com/wis/clicktime/v1/query?url=https%3a%2f%2fwww.tagesschau.de%2ffaktenfinder%2fcovid19%2dfacebook%2ddesinformation%2d101.html&umid=bff4f626-1cec-40d6-913c-5cf9eb02e3e0&auth=4e53e2bb35bb1b6effca7d0c6ab573a933b712fa-cf130a635a8181ec9bd3b3be0e9acfe707d0368e