Freitag, 14.05.2021 / 12:36 Uhr

Gaza: Wir weigern uns Feinde zu sein

Von
Gastbeitrag von Mohammed Altlooli

Demonstration in Haifa: Refusing to be enemies, Bild: Ahiya Raved

Bild:
Twitter

Mohammed al Altlooli engagierte sich, solange er noch im Gazastreifen lebte, im „Gaza Youth Movement“ gegen den diktatorischen Regierungsstil der Hamas und für eine friedliche Koexistenz mit Israel. Wie so viele andere Anhänger dieser Bewegung musste er fliehen, hielt sich einige Zeit in Israel auf und floh dann nach Griechenland, wo er mithalf, die Flüchtlingsselbsthilfsorganisation „Leros Refugee Youth Group“ zu gründen. Seit vergangenem Herbst lebt er in Deutschland. In diesem Beitrag plädiert er erneut für Frieden und Koexistenz.

 

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Der Autor in Leros, Bildquelle: Leros Refugee Youth Group

 

Leider ist das alte Sprichwort wahr, dass Menschen, diejenigen lieben, die ihnen phantastische Geschichten und Illusionen erzählen. Wer die Wahrheit sagt, wird ungerne gehört.

So war es auch nicht leicht in der palästinensischen Gesellschaft in Gaza, in der ich aufwuchs und meine Jugend verbrachte. Wir versuchten, ein neues Denken zu fördern, neue Ideen über die Ursachen von der Misere, in der wir lebten, zu verbreiten. Denn die herrschenden Parteien mobilisieren mit ihren Medien und ihrer Propaganda die Menschen, verbreiten eine Kultur des Hasses und unterdrücken die Freiheiten aller anderen. Sie schaffen Feindschaft und Misstrauen zwischen den Menschen und jeder, der ihnen nicht folgt, steht unter Verdacht. Das war unsere Realität in Gaza und jederzeit konnten wir für das, was wir sagten, verhaftet und eingesperrt werden.

Und genau vor dieser Entscheidung habe auch ich gestanden: Sollte ich in die Diaspora gehen und Gaza verlassen oder mich verhaften und in einem der vielen Gefängnisse demütigen lassen? Ich entschied mich zu gehen und floh nach Griechenland. Ausgerechnet dort, weit weg von meiner Heimat, traf ich eine junge israelische Journalistin und wir arbeiten zusammen in Leros, um den anderen Flüchtlingen zu helfen. Es war ein ganz besonderes Erlebnis für uns beide, so Seite an Seite zu arbeiten und sich dabei kennenzulernen. Wir taten in Griechenland, was in unserer beider Heimat so nicht möglich gewesen wäre und lernten dort genau die Koexistenz kennen, von der wir zu Hause geträumt hatten. Ich schrieb über dieses Erlebnis und bekam Drohungen aus dem Gazastreifen, von der Hamas und auch einigen Leuten aus dem Flüchtlingslager. Selbst in Griechenland mussten sie diese Ideen mit allen Mittel bekämpfen, denn es sind diese Ideen, die sie wirklich bedrohen. Davor haben sie Angst und einmal mehr siegte die Ideologie und ihre Phantasmen: Ich musste auch Griechenland verlassen und bin nach Deutschland gegangen.

Es waren nur wenige, die mich damals bedrohten, aber immer ist die Gewalt auf ihrer Seite. Viele andere teilten unsere Hoffnung und unsere Träume. Nur verfügen sie weder über die Waffen, noch die Medien noch die großen Erzählungen und Phantasien, die man im Nahen Osten seit Jahrzehnten zu hören bekommt und die sich in den Köpfen festgesetzt haben. In diesen Erzählungen geht es nicht um Koexistenz und Frieden, sondern Krieg, Sieg und Vernichtung des Feindes.

Während ich dies schreibe, sterben Menschen in Gaza von israelischen Raketen oder verlieren ihre Häuser und Menschen in Israel sterben durch Raketen der Hamas. Die Sprache der Gewalt hat erneut die Oberhand gewonnen. Aber die anderen Stimmen gibt es weiter und es sind die, auf die man hören sollte, während selbst die Menschen, die lieber den großen Illusionen glauben schenken, den Preis zahlen.

Sie zahlen den Preis mit ihren Leben für Politiker, denen es darum geht, alles zu tun, damit es nicht zu Frieden und Koexistenz kommt. Und in Gaza stehen die Menschen vor der Frage: Sollen wir, notfalls gemeinsam, mit der Hamas gegen israelische Bomben demonstrieren oder standfest uns gegen das korrupte Hamas-Regime stellen?

In der Zwischenzeit bleibt mir nicht anderes, als den Tod von Kindern und Zivilisten in Gaza und Israel zu betrauern und zu hoffen, dass es schnell zu einem Ende des Krieges kommt.

In Gedanken bin ich bei all den Juden und Arabern in Israel, die dieser Tage auf die Straße gehen, um für eine friedliches Miteinander und gegen Hass und Gewalt dem Slogan "Jews and Arabs – refusing to be enemies" demonstrieren.