Kassiber aus der Anstalt: Roger Van de Velde porträtiert die Insassen einer Psychiatrie

Kompagnons der Misere

Der Band »Knisternde Schädel« besteht aus 20 Aufzeichnungen, die der belgische Autor und Journalist Roger Van de Velde jeweils einer Figur widmet - Insassen einer Psychiatrie, wie auch der Verfasser einer war.

Es beginnt makaber mit dem Kadaver eines weißen Katers. Sein Besitzer präsentiert das tote Tier wie eine Trophäe im Speisesaal einer Psychiatrie, dem Schauplatz in Roger Van de Veldes Kurzerzählungen, die in dem Band »Knisternde Schädel« versammelt sind. Mordmotiv ist ein Stück Grillfleisch, das Kater Puschkin seinem Besitzer geklaut hatte.

In seinen Geschichten gelingt dem Autor eine Entstigmatisierung der Internierten. Ihre Bedürfnisse sind allgemein menschlich, wie eben der Appetit auf eine Scheibe Fleisch, die sonntags als kleines Extra gereicht wird. 

»Weiß war der Kater« ist eine von 20 Aufzeichnungen, die der belgische Autor und Journalist jeweils einer Figur widmet. Seine Haltung ist dabei von vertrauter Zuwendung zu den Patienten geprägt, denn Van de Velde ist einer von ihnen. Die Eigenarten der Personen werden akzeptiert, die »Kompagnons der Misere«, wie er sie nennt, werden mit ihren Marotten, Devianzen, aber auch in all ihrer Liebenswürdigkeit geschildert. Nie geht es darum, weshalb sie in der Psychiatrie sind.

In seinen Geschichten gelingt dem Autor eine Entstigmatisierung der Internierten. Ihre Bedürfnisse sind allgemein menschlich, wie eben der Appetit auf eine Scheibe Fleisch, die sonntags als kleines Extra gereicht wird. Zugleich wird deutlich, wie wenig Achtung für diejenigen übrigbleibt, deren Leben hinter verschlossenen Türen stattfindet.

Doch es ist keine Beklemmung, die seine Schilderungen umgibt, die Anekdoten sind voller Witz und schwarzem Humor – ein Tonfall, den die Übersetzerin Annette Wunschel überzeugend ins Deutsche übertragen hat.

Van de Velde, 1952 im belgischen Boom geboren, rutschte nach einem Magendurchbruch in die Schmerzmittelabhängigkeit. Als er mit gefälschten Rezepten für Palfium auf der falschen Fahrbahnseite fahrend erwischt wurde, kam er in die geschlossene Psychiatrie.

Heimlich schrieb er dort auf herumliegenden Broschüren seine Erzählungen nieder. Seine Ehefrau schmuggelte sie in Zigarettenschachteln heraus. Ein Jahr nach der Veröffentlichung starb Van de Velde 1970 mitten in einem Antwerpener Café.


Buchcover

Roger Van de Velde: Knisternde Schädel. Aus dem Niederländischen von Annette Wunschel. Suhrkamp, Berlin 2024, 130 Seiten, 20 Euro