In Kolumbien steht der ehemalige Präsident Uribe wegen Bestechung vor Gericht

Uribes Schutz schwindet

Der ehemalige kolumbianische Präsident Álvaro Uribe Vélez steht vor Gericht. Etliche vergebliche Anläufe unternahmen Juristen und Politiker bereits, um seine Verbindungen zu paramilitärischen Gruppen zu untersuchen.

Sandra Liliana Heredia heißt die kolumbianische Richterin, die den Prozess gegen den ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe Vélez (2002–2010) nach Jahren der Verzögerung nun zugelassen hat. Ende Mai wies Heredia sämtliche Anträge der Verteidigung zurück, den Fall fallenzulassen, und nun kann der erste Prozess gegen einen ehemaligen Staatspräsidenten Kolumbiens stattfinden. Die Vorwürfe lauten Prozessbetrug, Bestechung und Zeugenmanipu­lation. Dem 72jährigen ultrakonservativen Politiker des rechten Centro Democrático (CD), der einst als mächtigster Mann Kolumbiens galt und von 1986 bis 1994 sowie von 2014 bis 2020 Senator war, drohen zwischen sechs und zwölf Jahren Haft. Allerdings muss die Justiz nun unter Zeitdruck agieren, denn im August 2026 läuft die Verjährungsfrist ab und einige Experten schließen nicht aus, dass der Prozess länger dauern könnte, da die Anwälte Uribes wohl alle Register ziehen werden, um ihn zu verzögern.

Das ist seit Jahren die erfolgreiche Strategie. Der Fall begann im September 2012 mit einer Parlamentsdebatte, in der Iván Cepeda, Menschenrechtsanwalt und seit 2014 Senator des linken Polo Democrático Alternativo (PDA), Uribe Verbindungen zum Paramilitarismus und zum Drogenhandel vorwarf. Über Jahre hatte Cepeda, dessen Vater 1994 auf offener Straße von Paramilitärs ermordet worden war, Beweise dafür gesammelt. Uribe wiederum warf Cepeda vor, Zeugen im Gefängnis bestochen zu haben, um ihn zu belasten. Der trickreiche Uribe erklärte sich zum Opfer eines Komplotts und verklagte Cepeda vor dem Obersten Gerichtshof.

Für die einen ist Uribe der Messias, der das Land von Guerillas befreien wollte, für die anderen ein lange Zeit unantastbarer Paramilitär, an dessen Händen das Blut vieler Opfer klebt.

Doch genau diese Klage wurde für Uribe zum Bumerang: Das Gericht ließ 2018 nach den Voruntersuchungen die Ermittlungen gegen Cepeda fallen und leitete Untersuchungen gegen Uribe ein. Der Eindruck war entstanden, dass Uribe selbst die Zeug:innen manipuliert haben könnte. Die Ermittlungen gegen Uribe machten allerdings aufgrund mehrerer Wechsel der Richter:innen, die den Fall leiten sollten, keine Fortschritte. Schließlich ordnete der Oberste Gerichtshof 2020 gegen Uribe Hausarrest in seiner Hacienda an, als »mutmaßlicher Täter der Bestechung eines Zeugen in einem Strafverfahren und des Verfahrensbetrugs«.

Daraufhin trat Uribe von allen Ämtern zurück, womit die Zuständigkeit vom Obersten Gerichtshof an die Generalstaatsanwaltschaft (Fiscalía General de la Nación) überging, deren Leitung kurz zuvor Francisco Barbosa übernommen hatte. Dieser ist ein enger Freund des ehemaligen Präsidenten Iván Duque (2018–2022), der wiederum seinen politischen Aufstieg niemand anderem als seinem Mentor Álvaro Uribe Vélez zu verdanken hat. Ein Grund, weshalb der PDA schon 2020 einen Berufungsantrag stellte. Cepeda hatte der Jungle World in einem Interview gesagt: »Diese Möglichkeit besteht, wenn ein Interessenkonflikt droht. Wir haben damals die Einsetzung eines Sonderstaatsanwalts vorgeschlagen, die oder der sich unabhängig und mit allen nötigen Ressourcen ausgestattet auf diesen Fall konzentrieren sollte.«

Doch es kam anders, denn die Generalstaatsanwaltschaft verfolgte unter der Regie von Barbosa politische Interessen. Zweimal wurde beantragt, die Ermittlungen gegen Uribe einzustellen, zweimal lehnte ein Bezirksrichter den Antrag ab und danach ruhte das Verfahren.

Anfang Februar endete Barbosas Amtszeit schließlich und mit einiger Verzögerung übernahm im März Luz Adriana Camargo die Leitung der Generalstaatsanwaltschaft; Straßenpro­teste gegen Straflosigkeit hatten sich für sie eingesetzt. Die Juristin ist ausgewiesene Expertin für Ermittlungen gegen Korruption und hat sich auch mit der Aufdeckung von Netzwerken zwischen Politik und Paramilitarismus beschäftigt. Am 9. April, wenige Woche nach Camargos Vereidigung, erhob die Generalstaatsanwaltschaft Anklage gegen Uribe. Viele Experten, darunter die Richterin Liliana Arias aus Medellín, sehen darin den Auftakt der Entpoliti­sierung und Reform der Justiz, die der Prozess gegen Uribe voranzubringen verspricht. »Das ist überfällig, wir haben viel zu lange gewartet, um die Netze von Uribe zu untersuchen«, so Arias.

Dabei könnte Uribes ehemaliger Anwalt Diego Cadena eine zentrale Rolle spielen. Die Ermittlungen legen nahe, dass Cadena mehreren ehemaligen ­Paramilitärs sowohl Geschenke als auch Vorteile angeboten hat – im Austausch dafür, ihre Aussage gegen Uribe zurückzuziehen. Daher läuft gegen Cadena ein separates Verfahren wegen Bestechung und Verfahrensbetrug. Sein ehemaliger Mandant Uribe weist die Vorwürfe zurück, das Verfahren gegen Cadena und ihn selbst sei politisch motiviert und ein »abgekartetes Spiel«. Diese Sicht der Dinge verbreitet sich in Kolumbien in Windeseile, nicht nur weil die Medien eher konservativ dominiert wird, sondern auch weil Uribe und sein Team im Internet und den sozialen Medien sehr präsent sind.

Das hat Folgen: Es kursieren erste Posts, die die zuständige Richterin diffamieren. Das ist eine Parallele zur Situation von 2020. Die Richter, die damals den Hausarrest gegen Uribe verhängten, sahen sich einem Shitstorm sowie enormen Drohungen in den sozialen Medien gegenüber. Das droht sich in den kommenden Wochen und Monaten zu wiederholen. Kolumbien ist stark polarisiert. Für die einen ist Uribe der Messias, der das Land von der Guerilla befreien wollte, für die anderen ein gewiefter und lange Zeit unantastbarer Paramilitär, an dessen Händen das Blut vieler Opfer klebt.

Für Letzteres gibt es hinreichend Indizien. Der Oberste Gerichtshof strengte Vorermittlungen gegen ihn an wegen seiner mutmaßlichen Verantwortung für die Massaker in den ländlichen ­Bezirken La Granja und El Aro, die beide zur Gemeinde Ituango im Verwaltungsbezirk Antioquia gehören, in den Jahren 1996 und 1997, bei denen Paramilitärs Dorfbewohner und Bauern töteten. In El Aro folterten und ermordeten Paramilitärs 17 Menschen, mindestens 1 400 wurden vertrieben und ­unzählige Häuser niedergebrannt. Die Massaker sowie die Ermordung des Menschenrechtler Jesús María Valle im Jahr 1998 werden direkt mit Uribe als Auftraggeber in Verbindung gebracht. Der ehemalige Kommandant der paramilitärischen Autodefensas Unidas de Colombia (AUC), Salvatore Mancuso, hat das vor Gericht in einer Anhörung bestätigt. Die Luft für Uribe scheint dünner zu werden.