In Finnland streiken Gewerkschaften seit Wochen gegen Sparpläne der Regierung

Widerstand gegen den Sparkurs

Zahlreiche Streiks der finnischen Gewerkschaften haben den Außenhandel fast zum Erliegen gebracht. Dass sich die ultrakonservative Regierung von dem Protest gegen ihre Sparpläne beeindrucken lassen wird, ist dennoch unwahrscheinlich.

Helsinki. An einem Dienstagmorgen Mitte März steht Li Andersson, die Vorsitzende der sozialistischen Partei Vasemmistoliitto (Linksbündnis), zu früher Stunde am Hafen im Stadtteil Vuosaari der finnischen Hauptstadt Helsinki. Neben Andersson steht ein bärtiger, kräftiger Mittfünfziger mit gelber Warnweste und Gewerkschaftslogo, hinter beiden sieht man Schneehaufen. Für ein Instagram-Video interviewt sie den Gewerkschafter Jape Lovén, der im Betriebsrat des Betreibers des wichtigsten Frachthafen Finnlands für den Außenhandel tätig ist.

Lovén steht zur Streikwache vor dem Hafentor, die Wangen rot von der Kälte: »Wir stehen hier für die Arbeitnehmer und alle mit kleinen Einkommen. Der Streik könnte sofort enden, wenn Petteri Orpo ernsthafte Gespräche mit den Gewerkschaften beginnen würde und wir wieder vernünftige, finnische Kompromisse finden könnten.«

Landesweit waren am 1. Februar bis zu 300.000 Arbeiter:innen, von Erziehern bis zu Elektrikerinnen, im Streik.

Seit Monaten gehen die Arbeitnehmerverbände gegen die geplanten Kürzungen der rechtskonservativen Regierung von Ministerpräsident Orpo (Kokoomus, Nationale Sammlungspartei, KOK) vor. Dieser und seine rechtsextremen Koalitionspartner der Partei Perussuomalaiset (Wahre Finnen, PS) planen ein umfassendes neoliberales Reformprogramm, mit dem sie die finnische Wirtschaft »wettbewerbsfähiger« machen wollen. Wohn- und Arbeitslosengeld wurden bereits gekürzt.

Die weiteren Sparpläne, die sich vor allem gegen Arbeitnehmerrechte richten, unterstützten die PS auf ihre Art öffentlichkeitswirksam: Die wiederholt durch Tiraden gegen Ausländer und Bettler aufgefallene Parteivorsitzende und Finanzministerin Riikka Purra ließ sich in ihrem Büro grinsend mit einer riesigen Schere in der rechten Hand fotografieren. Der Wirtschaftsminister Wille Rydman bezeichnete die führenden Gewerkschafter beim Microblogging-Dienst X als »Mafia von Hakaniemi« – rund um Helsinkis Hakaniemi-Platz liegen die Zentralen der großen Gewerkschaften.

Die Gesetzesänderungen, die derzeit den Parlamentsausschüssen vorliegen, haben es in sich: Kündigungen und Befristungen sollen erleichtert, der erste Krankheitstag soll nicht mehr bezahlt und das politische Streikrecht eingeschränkt werden. Zudem soll das Procedere bei Tarifverhandlungen zugunsten der Unternehmensseite verändert und beispielsweise lokale Tarifabschlüsse ohne Beteiligung der Gewerkschaften leichter geschlossen werden.

Landesweit waren am 1. Februar bis zu 300.000 Arbeiter:innen, von Erziehern bis zu Elektrikerinnen, dagegen im Streik. Die Pläne zur Einschränkung des Streikrechts sorgen für eine der umfassendsten Streikwellen der jüngeren finnischen Geschichte. Der Journalist Toivo Haimi errechnet in einem Artikel für das Magazin Jacobin, dass die derzeitige Regierung mehr politische Streiks ausgelöst hat als sämtliche Regierungen von 1991 bis 2023 zusammen.

Nachdem in der Hauptstadtregion, in der ein Viertel der finnischen Bevölkerung lebt, der öffentliche Nahverkehr zweimal komplett zum Erliegen gekommen war, änderten die Gewerkschaften ihre Vorgehensweise. Vor allem um die öffentliche Zustimmung nicht zu verlieren, wurden die Streiks auf den Industriesektor und die Logistik verlegt. Über 7.000 Mitarbeiter:in­nen in Terminals, Stahlwerken und Raffinerien sind bereits die vierte Woche im Streik.

Der finnische Außenhandel ist im Zuge dieser Arbeitsniederlegungen weitgehend zum Erliegen gekommen. Fabriken in der wichtigen Holzwirtschaft müssen wegen Lieferengpässen die Arbeit einstellen und an einigen Tankstellen wird Diesel knapp. Der Zentralverband der finnischen Wirtschaft, Elinkeinoelämän Keskusliitto (EK), errechnete, dass eine Streikwoche die Wirtschaftsleistung um über 300 Millionen Euro verringere. Insgesamt werden die Einbußen durch die politischen Streiks gegen Orpos Reformpläne auf bis zu zwei Milliarden Euro beziffert.

Die Unnachgiebigkeit von Orpos Regierung könnte sich auch auf das Ergebnis bei den EU-Parlamentswahlen Anfang Juni auswirken.

Ein Ende der Arbeitskämpfe ist nicht in Sicht. In der vergangenen Woche wurden die Streiks bis zum 7. April verlängert. Ein Gespräch zwischen Gewerkschaftsvertretern und Arbeitsminister Arto Satonen (KOK) war ohne Ergebnis geblieben. Orpos Regierung zeigt sich nicht bereit zu Zugeständnissen und die Gewerkschaften werden die politischen Streiks weiterführen. Einer Umfrage von Finnlands größter Tageszeitung Helsingin Sanomat am Osterwochenende zufolge unterstützte immer noch eine einfache Mehrheit der Befragten die Arbeitskämpfe. Aber die Zustimmung sinkt: Im Februar waren 52 Prozent der Finnen auf der Seite der Gewerkschaften, im März waren es nur noch 45 Prozent.

Das Ende der derzeitigen Streikwelle könnte spätestens im Sommer kommen, wenn die Gesetzesänderungen zum Streikrecht in Kraft treten sollen. Politische Streiks, die in Deutschland gänzlich verboten sind, sollen dann auf die Dauer eines Tages beschränkt und Geldbußen für die Gewerkschaften bei Verstößen empfindlich erhöht werden. Orpos Koalition macht in den Ausschüssen im Parlament Druck: Der Verfassungsausschuss trat ungewöhnlicherweise sogar am Osterwochenende zusammen.

Die Unnachgiebigkeit von Orpos Regierung könnte sich auch auf das Ergebnis bei den EU-Parlamentswahlen Anfang Juni auswirken. Insbesondere PS verliert in den Umfragen des öffentlich-rechtlichen Senders Yle stetig an Zustimmung; dass der extremen Rechten in Finnland ein großer Erfolg gelingt, wird unwahrscheinlicher. Gleichzeitig veranschaulicht Finnland bereits, was der EU bevorsteht, sollte sich die Zahl der konservativ-rechtsextremen Regierungskoalitionen erhöhen: rassistische Entgleisungen, Abschottung und Austerität.