Nach Kritik der Wahlbeobachtermission wird in der serbischen Hauptstadt neu gewählt

Neuwahl in Belgrad

Wahlbeobachter hatten unfaire Bedingungen bei den serbischen Kommunal- und Parlamentswahlen im Dezember kritisiert. Deren Nutznießer war die Regierungspartei von Präsident Vučić. Im Juni soll nun in der Hauptstadt neu gewählt werden.

Die Frist zur Bildung einer neuen Stadtregierung von Belgrad war am 3. März abgelaufen. Seit dem 10. März ist klar, dass es in der Hauptstadt Serbiens Neuwahlen geben wird, der serbische Präsident Aleksandar Vučić hatte das bestätigt. Die innenpolitische Debatte im Land war seit Monaten bestimmt von Vorwürfen umfangreicher Unregelmäßigkeiten bei den Parlaments- und Kommunalwahlen im Dezember 2023, deren Ausmaß in Belgrad mutmaßlich am größten war.

Trotz der vermuteten Manipulationen war die Abstimmung für den Belgrader Stadtrat sehr knapp ausgegangen, die von der Regierungspartei SNS (Srpska napredna stranka, Serbische Fortschrittspartei) geführte Wahlliste kam auf keine eigene Mehrheit. Diese Liste, Srbija ne sme da stane (Serbien darf nicht stehenbleiben, SNSDS), erreichte zusammen mit dem kleinen Wahlbündnis unter Führung der Sozialistischen Partei Serbiens (SPS) 54 der insgesamt 110 Sitze im Belgrader Stadtparlament.

Die stärkste Oppositionskraft, der liberale und proeuropäische Zusammenschluss Srbija protiv nasilja (Serbien gegen Gewalt, SPN), erreichte 43 Sitze und die rechtskonservative Nacionalno demokratska alternativa (NADA, Nationale Demokratische Alternative) sieben. SPN und NADA waren sich bei einem Treffen kurz nach den Wahlen schnell darüber einig, dass sie sich aufgrund der Wahlunregelmäßigkeiten für Neuwahlen einsetzen.

Vučić ließ Anfang März vermelden, dass ihm eine Regierungsbildung zu unsicher sei und zu schwach legitimiert erscheine.

Um die nötige Mehrheit von 56 Sitzen zur Regierungsbildung zu erlangen, bedurfte es der Unterstützung des politischen Neulings Branimir Nestorović und seiner rechtspopulistischen Partei Mi – Glas iz naroda (Wir – Die Stimme des Volkes, MI-GIN), die mit sechs Sitzen einen Überraschungserfolg erzielen konnte. Nestorović hatte von Beginn an wenig Interesse gezeigt, eines der beiden großen Lager zu unterstützen, und auch die SPN sah aufgrund inhaltlicher Differenzen keine Kooperationsmöglichkeiten mit der MI-GIN, die allerlei Verschwörungsmythen verbreitet. Nach internen Auseinandersetzungen in der Partei von Nestorović, die in deren Spaltung mündeten, boten zwei seiner Abgeordneten der SNS ihre Unterstützung an.

Damit wäre die denkbar knappste Mehrheit für die Vučić-Unterstützer erreichbar gewesen. Weitere Verhandlungen, um Nestorović selbst und weitere Abgeordete für ihre Seite zu gewinnen, blieben ohne Erfolg. Vučić ließ nun Anfang März vermelden, dass ihm unter diesen Umständen eine solche Regierungsbildung zu unsicher sei und zu schwach legitimiert erscheine.

Es gibt jedoch Vermutungen, dass internationaler Druck Vučić zu dieser Entscheidung gebracht habe. Am 8. Februar hatte das EU-Parlament eine Resolution verabschiedet, die eine sofortige internationale Untersuchung der Wahlen vom Dezember forderte. Am 28. Februar veröffentlichte die Wahlbeobachtermission ODIHR (Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte) der OSZE einen Bericht dazu.

Neben verschiedenen Empfehlungen lautet die Feststellung der Untersuchung: Obwohl die Wahlen technisch gut verwaltet worden seien und den Wählern eine Auswahl an politischen Alternativen geboten hätten, seien sie doch nicht fair gewesen. Auf Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes sei Druck ausgeübt worden, öffentliche Gelder seien missbraucht worden, Stimmen seien gekauft worden; zudem habe die Opposition im Wahlkampf kaum Möglichkeiten gehabt, sich öffentlich zu präsentieren.

Die Vorbereitungen für Neuwahlen laufen bereits auf Hochtouren. Das SNS-Bündnis wird erstmals mit der langjährigen Koalitionspartnerin SPS eine gemeinsame Liste stellen. Auf Seiten der Opposition werden die Karten ebenso neu gemischt. Dragan Đilas, ehemaliger Bürgermeister von Belgrad und Vorsitzender der sozialdemokratischen Stranka slobode i pravde (Partei für Freiheit und Gerechtigkeit, SSP), zielt auf einen möglichst umfassenden Oppositionsblock ab und schließt als Listenmitglied der SPN nicht aus, dass auch Kooperationen mit rechtsextremen Parteien wie Srpski pokret Dveri (Serbische Bewegung Dveri) möglich seien. Dabei ist es fraglich, ob andere SPN-Mitglieder wie die Zeleno-levi front (Grün-linke Front, ZLF) mit solchen Plänen einverstanden wären.

Während Vučićs SNS die Neuwahlen urspünglich so schnell wie möglich abhalten wollte und einen Termin bereits Ende April anstrebte, sah die Opposition in dieser kurzfristigen Planung bereits erste Nachteile und drohte bei einer ausbleibenden Umsetzung der ODIHR-Handlungsempfehlungen zur Verbesserung der Wahlvor­aussetzungen mit einem Boykott der Wahl. Zumindest beim Termin scheint die Regierung mit der nun erfolgten Festsetzung auf den 2. Juni eingelenkt zu haben.

Ein Unrechtsbewusstsein der serbischen Regierung ist nicht zu erkennen.

Derzeitige Berichte des serbischen Senders N1 über Fälle von gefälschten Meldeadressen in Belgrad vor den Neuwahlen lassen jedoch wenig Raum für die Hoffnung auf faire Bedingungen. Im Dezember hatte es organisierte Busreisen SNS-treuer Bürger aus Nachbarstaaten wie Bosnien-Herzegowina nach Belgrad gegeben, um dort zu wählen.

Ein Unrechtsbewusstsein der serbischen Regierung ist jedenfalls nicht zu erkennen, wenn Vučić die Wahlen im Dezember trotz vorliegender Berichte weiterhin als frei und fair beschreibt, die Opposition der Lüge bezichtigt und auf einer SNS-Veranstaltung am 3. März bei einer Rede in bedrohlicher Stimme den Wahlkampf als »Krieg« bezeichnet und gar seine Anhäng­er:innen aufruft, »bis zum endgültigen Sieg zu kämpfen«.

Die SPN als stärkste Oppositionskraft hat seit den zurückliegenden Wahlen durch Demonstrationen, Klagen, Hungerstreiks und Parlamentsproteste dafür gestritten, Neuwahlen mindestens für Belgrad zu erreichen. Sie verbucht das Scheitern der SNS bei der Regierungsbildung als einen ersten, wichtigen Sieg. Die Neuwahlen im Juni zur Belgrader Stadtversammlung bekommen somit eine für das gesamte Land wichtige symbolische Bedeutung. Für die SNS und Vučić geht es um die Erhaltung ihres autokratischen Systems, für die SPN als stärkste Oppositionskraft um einen Schritt zur Demokratisierung. Die kommenden Wochen können tatsächlich Weichen für Serbiens Zukunft stellen.