Teure Bohnen
Der Mitteleuropäer trinkt durchschnittlich zwei bis drei Tassen Kaffee am Tag. Die Deutschen nehmen pro Kopf 166 Liter im Jahr zu sich. Damit hat der Kaffee das Bier als Lieblingsgetränk der Deutschen längst abgelöst, wovon lediglich 92 Liter pro Kopf und Jahr konsumiert werden.
Während in den vergangenen Jahren viel Kritik geübt wurde an Herstellung, Verarbeitung und Ökobilanz vieler Lebensmittel, vor allem an den Erzeugnissen aus der Milch- und Fleischindustrie, aber auch am Kakao, blieb es eher still um den Kaffee.
Diese Lücke schließt nun das Buch »Kaffee. Eine Geschichte von Genuss und Gewalt«. Der Lateinamerika-Experte Toni Keppeler und die Klima- und Umweltwissenschaftlerin Laura Nadolski aus Deutschland haben sich hierfür mit der Journalistin und Kaffeesommelière Cecibel Romero aus El Salvador zusammengetan. Wie wenig die meisten von uns über Herkunft und Verarbeitung von Kaffeebohnen wissen, fängt wohl schon beim Begriff »Kaffeesommelière« an, der vielen nicht geläufig sein dürfte – über Wein weiß man mehr.
Der Legende nach beobachtete ein Hirte, dass seine Ziegen nach dem Verzehr der Kaffeekirschen weniger ermüdeten: Die belebende Wirkung von Kaffee war entdeckt.
Ursprünglich kommt die Kaffeepflanze aus Äthiopien, im Hochland der Region Kaffa wuchs wilder Waldkaffee. Der Legende nach beobachtete ein Hirte, dass seine Ziegen nach dem Verzehr der Kaffeekirschen weniger ermüdeten: Die belebende Wirkung von Kaffee war entdeckt. Von dort verbreitete sich der Kaffee über Händler im arabischen Raum. Die Imperien von Portugal bis Frankreich verkauften die Kaffeebohnen auf dem Rücken von Sklavenarbeiter:innen in der ganzen Welt.
Heutzutage ist Lateinamerika die wichtigste Anbauregion, allen voran Brasilien. Doch das Land exportiert die angebauten hochwertigen Kaffeebohnen größtenteils, die meisten Brasilianer:innen trinken billigen Instant-Kaffee, echten brasilianischen Kaffee können sie sich schlicht nicht leisten. Das ist eine der vielen aufschlussreichen Informationen über das Lieblingsgetränk von Europäer:innen und Nordamerikaner:innen.
Interessant erscheint, wie sehr das Wendejahr 1989 mit seinen Folgen den globalen Handel beeinflusst hat. Die ökonomische Konzentration auf wenige Konzerne wie Nestlé oder Kraft Foods (seit 2015 The Kraft Heinz Company) hat zum Preisverfall beigetragen, mit fatalen Folgen für die Einnahmen der Kleinbäuerinnen und -bauern. Die im Buch wiederholt angestellte sprachliche Quasi-Gleichsetzung der USA mit »dem Neoliberalismus« haut jedoch nicht hin. Bekanntlich ist der weltweit größte Nahrungsmittelkonzern Nestlé das bedeutendste Industrieunternehmen der Schweiz.
Ganz so einfach können es sich zumindest die Europäer:innen also nicht machen. Der Welthandel ist keine US-amerikanische Erfindung. Abgesehen von diesen eher traditionell argumentierten links-antiamerikanischen Passagen überzeugt die Analyse, was die sozioökonomische Lage der in der Kaffeewirtschaft der Anbauländer tätigen Menschen und ihre Abhängigkeit von externen Faktoren betrifft.
Besonders hervorzuheben ist die genaue Recherche hinsichtlich der Folgen des Klimawandels für den Kaffeeanbau. Das Buch erklärt die verschiedenen Methoden, Kaffee anzubauen und aufzubereiten, mit all den damit verbundenen Folgen für die Umwelt. So ist das Wasser, das für das Verfahren der nassen Aufbereitung der Bohnen verwendet wird, danach sauerstoffarm und stark übersäuert. Dass es meist ungefiltert in die regionalen Flusssysteme entsorgt wird, hat nicht selten Fischsterben zur Folge. Gesetze, die zur ökologischen Sorgfalt verpflichten, sind in den Herkunftsländern oft lax gefasst, sofern sie überhaupt existieren, und ihre Einhaltung wird kaum kontrolliert.
Abgesehen von den eher traditionell argumentierten links-antiamerikanischen Passagen überzeugt die Analyse, was die sozioökonomische Lage der in der Kaffeewirtschaft der Anbauländer tätigen Menschen und ihre Abhängigkeit von externen Faktoren betrifft.
Die Produktion der Kaffeebohnen hat zum Klimawandel beigetragen, nun ist sie von ihm bedroht. Steigende Temperaturen und zunehmende Trockenheit gefährden den Kaffeeanbau in der Ebene. Die Plantagen müssten wohl in absehbarer Zeit in über 1.600 Metern Höhe angelegt werden, weil die Bedingungen für die Pflanzen dort besser sind. Solche Höhenlagen sind in den meisten tropischen Ländern aber schwer zu finden.
Und dann ist da noch der größte Feind der Arabica-Bohnen, ein Pilz, der den gefürchteten Kaffeerost auslöst. Monokulturen sowie Starkregen, der oft auf Dürreperioden folgt, begünstigen seine Ausbreitung. Daher lautet die Prognose des Buchs, dass der Kaffee schon in den nächsten Jahren wieder zu dem Luxusprodukt werden wird, das er vor zwei Jahrhunderten war.
Ein bisschen Optimismus verbreitet das letzte Kapitel: »Welchen Kaffee wir trinken sollen«. Es zeigt auf, dass es möglich ist, umwelt- und sozialverträglichen Kaffee zu konsumieren. Die Autor:innen benennen Kriterien für einen verantwortungsbewussten Einkauf. Die wachsende Anzahl an kleinen unabhängigen Kaffeeröstereien (in Deutschland sind es bereits rund 600) könnte einen Ausweg aus der Krise bedeuten. Eine Tabelle im Buchumschlag weist die Eigenschaften verschiedener Sorten aus. Der fair und unter ökologischen Gesichtspunkten produzierte Kaffee schmeckt zudem besser als die billig produzierte Massenware.
Toni Keppeler, Laura Nadolski, Cecibel Romero: Kaffee. Eine Geschichte von Genuss und Gewalt. Rotpunktverlag, Zürich 2023, 272 Seiten, 29 Euro