Abhängig vom Weltmarkt
Erst kam die Dürre, dann der Frost. Eis und Schnee ließen die Kaffeekirschen in Brasilien im Juli schwarz werden. Bis zu 80 Prozent Ernteeinbußen meldeten einige Anbauregionen. Brasilien ist der größte Kaffeeproduzent der Welt; wegen des Ernteausfalls könnte Kaffee in diesem Jahr auf dem Weltmarkt knapp werden.
»Niemand weiß, ob die Lager in Brasilien gefüllt oder ob sie leer sind. Das ist quasi ein Staatsgeheimnis«, sagt Kleber Cruz García der Jungle World. Der 58jährige Kaffeeeinkäufer von Gepa, der »Fair Trade Company« aus Wuppertal, arbeitet mit 36 Genossenschaften aus mehreren Kontinenten zusammen, die Kaffee nach Deutschland liefern. Rund 3 000 Tonnen ordert er gemeinsam mit einer Kollegin im Laufe eines Jahres. Daher hat er den Markt und den Börsenpreis fast immer im Blick.
Viele Kaffeebauern sind in den vergangenen Jahren am Rand der Pleite entlanggeschrammt. Andere haben längst aufgegeben und sind in Richtung USA ausgewandert.
Der Preis für das amerikanische Pfund (453 Gramm) Kaffee sorgt seit Wochen für Schlagzeilen. Am 4. Januar lag er bei 224 US-Cent und somit weit über dem Durchschnittspreis der vergangenen Jahre von etwa 120 US-Cent. Am 7. Dezember hatte der Kaffeepreis an der Börse von New York City sogar bei 252,33 US-Cent pro Pfund gelegen. Seitdem hat sich der Markt etwas beruhigt, woran auch die Feiertage ihren Anteil haben.
Der hohe Preis ist für die einen ein Grund zur Sorge, für die anderen hingegen einer zur Freude. Letzteres trifft in erster Linie für die Kleinproduzenten in Mittelamerika zu, wo die Ernte derzeit auf Hochtouren läuft. Viele Kleinbauern bekommen für ihren beigefarbenen, oft auch grünlichen Rohkaffee erstmals seit Jahren Preise angeboten, die deutlich über den Produktionskosten liegen. »Diese belaufen sich in Guatemala auf rund 180 US-Cent pro Pfund Arabica-Kaffee«, so Gerardo de León im Gespräch mit der Jungle World. Er ist der Geschäftsführer von Fedecocagua, dem in Guatemala ansässigen größten Genossenschaftsdachverband der Region, in dem mehr als 25 000 Kleinbauern genossenschaftlich organisiert sind. De León weiß von etlichen Lieferverträgen, die noch kurz vor der Ernte aus- und auch nachverhandelt wurden. Das sorge dafür, dass etliche Bauern und ihre Genossenschaften mit dieser Ernte endlich mal wieder Gewinne machen könnten. Zu lange seien die Bohnen unter Wert verramscht worden. Ein Überangebot auf dem Weltmarkt, aber auch die Spekulation mit dem zweitwichtigsten Handelsprodukt nach Erdöl seien dafür verantwortlich, klagt de León.
Zumindest in den kommenden Monaten wird die Lage wohl anders sein, denn nicht nur der Ernteeinbruch in Brasilien verursacht derzeit eine Verknappung auf dem Weltmarkt. Auch beim zweitwichtigsten Produzenten, Vietnam, läuft es coronabedingt alles andere als rund. Staatliche Arbeitseinschränkungen haben zu einem Mangel von Arbeitskräften bei der Ernte und beim Umschlag der Güter im Hafen von Ho-Chi-Minh-Stadt geführt. Zudem fehle es nicht nur in Vietnam, sondern weltweit an Containern, so dass es derzeit schwieriger und vor allem auch deutlich teurer sei, den Kaffee zu den Absatzmärkten zu bringen,so de León. Das ist auch in Mittelamerika nicht anders, wo derzeit in Honduras und Guatemala, den beiden wichtigsten Kaffeeproduzenten der Region, aber auch in Nicaragua, Costa Rica, Panama und El Salvador die Ernte stattfindet. Das Problem wird auch in ein paar Wochen noch bestehen, wenn die ersten Säcke mit den getrockneten Bohnen in den Röstereien Europas ankommen sollten. Doch ob alle Genossenschaften ihre Lieferverpflichtungen erfüllen werden, steht in den Sternen, denn nicht nur die hohen Transportkosten sind ein Problem, sondern auch die coyotes, so Kleber Cruz García. Coyotes werden die Zwischenhändler genannt, die derzeit nicht nur in Mittelamerika, sondern auch in Kolumbien, wo in einigen Regionen geerntet wird, durch die Dörfer fahren und den Bauern teilweise Preise über dem Weltmarktniveau anbieten.
»Eine Folge der Spekulation, die den Markt anheizt«, so Kleber Cruz García. Kein Wunder, denn an den Börsen wird auch auf steigende Kaffeepreise gewettet. Solange nicht klar ist, wie es mit den Lagerbeständen bei den größten Kaffeeproduzenten, aber auch bei den Röstereien aussieht, wird es bei den hohen Preisen bleiben, argumentieren Experten. Diese Spekulation sei der wesentliche Grund, weshalb die Kaffeeankäufer viel Kapital zur Verfügung haben, um Kaffeebohnen ohne detaillierte Zertifikate direkt beim Bauern einzukaufen, hat Kleber Cruz García von einigen Partnern in Übersee erfahren. Für die Bauern sind es überaus verlockende Angebote, denn viele von ihnen sind verschuldet und haben Schwierigkeiten, die Erntehelfer zu entlohnen. Diese sind auch in Guatemala knapp, berichten die dortigen Tageszeitungen. »Konsolidieren, Schulden abbauen, lautet vorerst die Devise bei vielen Kaffeebauern Guatemalas«, sagt Gerardo de León. Viele sind in den vergangenen Jahren am Rand der Pleite entlanggeschrammt und können jetzt endlich einmal durchatmen. Andere haben längst aufgegeben und sind ausgewandert in Richtung USA. Das ist eine typische Entwicklung in Mittelamerika, wo die Migration im vorigen Jahr merklich angestiegen ist.
Durch einen höheren Kaffeepreis könnte sich das ändern. Kaffee ist in Honduras, Guatemala, aber auch in Nicaragua das wichtigste Exportprodukt. Dort ist die Freude groß, dass die Preise erstmals seit 2014 die Marke von 200 US-Cent für das amerikanische Pfund überschritten haben.
Doch ein Blick in die Geschichte lehrt, dass der Preis nicht lange so hoch bleiben wird. »Fünf, vielleicht sieben Monate«, schätzt Kleber Cruz García. Er berichtet, dass der Nachholbedarf bei den Kleinbauern in Mittelamerika, aber auch in Kolumbien oder Peru groß ist. Zwei, drei Jahre mit Preisen über 200 US-Cent pro Pfund Kaffee bräuchten viele von ihnen, um sich wirtschaftlich zu erholen, schätzt Gerardo de León. Doch die wird es kaum geben, schließlich ist es unwahrscheinlich, dass sich die Ernteausfälle bei den großen Kaffeeproduzenten Brasilien und Vietnam wiederholen werden – auch wenn der Klimawandel den Kaffeeanbau immer schwerer macht. Den anspruchsvollen Arabica-Pflanzen wird es in tieferen Lagen oft zu warm, und das betrifft Anbaugebiete weltweit. Aus diesem Grund wird an Kreuzungen zwischen Arabica und der auch im Tiefland gedeihenden Sorte Robusta gearbeitet.
Doch der Klimawandel ist nur eines der Probleme, unter denen die Produzenten leiden. Steigende Preise für Dünge- und Pflanzenschutzmittel, Verpackung und Transport haben dazu geführt, dass die Produktionskosten für das Pfund Kaffee in Guatemala von 2018 bis 2021 um rund 20 US-Cent gestiegen sind. Zugleich stagnierte der Weltmarktpreis im Schnitt der vergangenen Jahre zwischen 120 und 130 US-Cent, so de León. Das monieren Direktimporteure wie das Röstkollektiv Quijote Kaffee aus Hamburg, Fair-Trade-Einkäufer wie Kleber Cruz García und Kaffeespezialisten wie Steffen Schwarz vom Schulungszentrum Coffee Consulate in Mannheim. Schwarz erwartet jedoch, dass die Kaffeepreise weiter steigen werden. Im Gespräch mit dem Manager Magazin verwies er auf die Auswirkungen des Klimawandels, aber auch auf die Tatsache, dass die Bohnen seit langem zu billig gehandelt würden.
Diese Einschätzung teilen viele der Kleinröstereien, die sich in den vergangenen Jahren etabliert haben und wie Quijote Kaffee in Hamburg oder Flying Roasters aus Berlin direkt selbst importieren und engen Kontakt zu ihren Partnern in den Anbauländern halten. Die Nachfrage nach Kaffeespezialitäten wächst, und in diese Nische stoßen mehr und mehr engagierte Kaffeebauern, die ihre Qualität systematisch steigern. Quijote Kaffee zahlt 310 US-Cent pro Pfund Kaffee an die Genossenschaften, mit denen das Hamburger Kaffeekollektiv zusammenarbeitet. Faire Preise für hochwertige Bohnen ist die Maxime von Andreas Felsen, dem Gründer von Quijote Kaffee. Die Preise, die das Kollektiv zahlt, liegen über dem Weltmarktniveau und auch über den Forderungen von Kleinbauernorganisationen, sagt Felsen der Jungle World: »Kleinbauernorganisationen wie Símbolo de Pequeños Productores schlagen einen Preis von 230 US-Cent pro Pfund Kaffee vor, denn die Bauern brauchen Preise, mit denen sich kalkulieren lässt, und nicht solche, die jede Ernte zur Lotterie machen.«