Wie antiisraelische Gruppen Symbole der Aboriginal Australians kapern

Antizionistische Aneignung

Den diesjährigen australischen Nationalfeiertag kaperten antiisraelische Gruppen und Individuen, die die Kolonialgeschichte Australiens mit der Geschichte Israels kurzschlossen. Doch es wird auch entschiedene Kritik laut.

Der Australia Day am 26. Januar symbolisiert die vergangenheitspolitische Zerrissenheit in Down Under. Seit Jahrzehnten protestieren Indigene mit der Umbenennung dieses Tags zum Invasion Day gegen die hegemoniale austra­lische Geschichtsschreibung. Dieses Jahr stand die Debatte über den australischen Nationalfeiertag im Zeichen des Kriegs zwischen Israel und der Hamas. Vor allem innerhalb der indigenen Bevölkerung gab es Kontroversen, die eng mit dem eigenen Kampf um Gerechtigkeit und Wahrheitsfindung verbunden sind.

Was in der australischen National­ideologie mit der Ankunft der First Fleet im Jahr 1788 als Beginn der erfolgreichen Besiedlung des Kontinents durch Europäer gilt, bezeichnet die indigene Bevölkerung als Invasion Day. Mit der Landnahme respektive Invasion durch britische Siedler begannen für Australiens First People, wie sich die Aboriginal Australians und Torres Strait People (die Bewohner nördlich des Kontinents gelegener Inseln) bezeichnen, lange Jahre der Vertreibung und mörderischen Unterwerfung. Sie wurden politisch unterdrückt und ökonomisch unmittelbar ausgebeutet, gewaltsam assimiliert, rassistisch diskriminiert und zu Tausenden ermordet.

Lebten 1788 bis zu einer Million Aboriginal Australians auf dem Kontinent, verringerte sich ihre Zahl bis 1920 auf etwa 60 000; Hunderttausende starben an eingeschleppten Krankheiten, Tausende durch gewaltsame Konflikte mit den Siedlern um Landrechte. Strukturelle Diskriminierung, vom Gesundheitssystem bis hin zu rassistischer Polizeigewalt, besteht fort. So richten sich die großangelegten Demonstrationszüge zum Invasion Day gleichermaßen gegen das in der Geschichte des Landes begangene Unrecht, das nachhallende koloniale Pathos des Nationalfeiertags und die Benachteiligung der indigenen Bevölkerung.

Nach Angaben des Executive Council of Australian Jewry stieg die Anzahl der gemeldeten antisemitischen Vorfälle im Oktober und November 2023 im Vergleich zum Vorjahres­zeitraum um 738 Prozent.

Doch die diesjährigen Proteste standen im Zeichen von Palästina. Das Bild dominierten neben den gewohnten Fahnen der Aboriginal Australians – schwarz-rot mit einem gelben Kreis in der Mitte – vor allem Kufiyas und palästinensische Flaggen. Darüber hinaus hielten antiisraelische Aktivist:innen Reden auf den landesweiten Demonstrationen. Als Gründe für die Solidarisierung wurde die vermeintlich übereinstimmende Erfahrung von Siedlerkolonialismus, Besatzung, Landnahme und Genozid genannt.

Der indigene Aktivist Paul Silva bekräftigte im Gespräch mit der Australian Broadcasting Corporation (ABC) die beidseitige Solidarisierung: Es sei »wichtig, dass wir als First Nations an der Seite der indigenen Völker auf der ganzen Welt stehen«. Von aktivistischen Palästinensern in Australien wie Ahmed Abadla werden die vermeintlichen Analogien in kämpferischer Absicht über die Weltlage gestülpt. Er wünscht sich eine »globale Revolution gegen Kolonialisierung, Besatzung und Ungerechtigkeit in allen Gemeinschaften«, wie er der ABC sagte.

Dass die Erfahrung australisch-indigener und die palästinensischer Geschichte verbunden seien, wird seit längerer Zeit artikuliert, doch seit den Massakern der Hamas am 7. Oktober 2023 ist die Ideologie vom Kolonialstaat Israel in der indigenen Bevölkerung und in linken, mit deren Anliegen solidarischen Kreisen wirkmächtiger geworden.

Begriffe, die eigentlich eine spezifische historische Erfahrung der Indigenen reflektieren sollen, werden nun in antiisraelischer Absicht umgedeutet, wie sich der National Indigenous Times entnehmen lässt: Die Staatsgründung Israels wird hier zum Invasion Day für die Palästinenser, wobei sie zugleich als indigene Bevölkerung Palästinas ausgemacht werden. Die Massaker wären dann als Widerstand gegen Kolonialisierung zu sehen, während Israels Krieg gegen die Hamas fälschlich als Genozid bezeichnet wird, ein Begriff, der unter Historikern selbst für die australische Geschichte umstritten ist.

Doch gegen die antiisraelische Allianz regt sich deutlicher Widerspruch. Die beiden lautesten Stimmen gegen die Vermengung indigener und palästinensischer Erfahrungen sind die indigene Parlamentsabgeordnete Nova Peris und die Professorin Marcia Langton. Peris hatte jahrelang an der Spitze der Kampagne »Free the Flag« gekämpft, um die Aboriginal-Flagge vom Copyright des indigenen Künstlers Harold Thomas, der sie entworfen hatte, zu befreien. Im Jahr 2022 kaufte der australische Staat die Lizenz für über 20 Millionen Australische Dollar, um eine freie Verwendung zu ermöglichen.

Von nun an konnte die Flagge als alternative Nationalflagge genutzt und als doppeldeutiges Symbol in die politische Auseinandersetzung eingebracht werden: als Erinnerung an die koloniale Gewalt, aber auch als Zeichen des indigenen Widerstands und der Würde. Im Sydney Morning Herald teilte Peris ihre Bestürzung darüber, dass am Invasion Day »unsere heilige Aboriginal-Flagge, für deren Rückgabe an die Aboriginal-Gemeinschaft ich so hart gekämpft habe, von palästinensischen, antiisraelischen und antijüdischen Gruppen missbraucht wird«.

»Kein legitimer Aboriginal-Repräsentant würde es zulassen, unsere Bewegung mit Terroristen in Verbindung zu bringen.« Marcia Langston

Durch diese Aneignung sieht Peris auch die jahrzehntelange indigene-­jüdische Solidarität in Gefahr. In ihrem öffentlichkeitswirksamen Aufruf gegen die antiisraelische Instrumentalisierung indigener Kämpfe, Symbole und Begriffe möchte sie der palästinensischen Desinformation entgegentreten, Juden hätten »keine Verbindung zum Land Israel« und seien dementsprechend »Siedlerkolonialisten«. Peris will sich mit ihrer Intervention den jüdischen Gemeinden auch erkenntlich zeigen. Diese hatten das gescheiterte Referendum im Oktober 2023 lautstark unterstützt, das indigenen Vertrete­r:in­nen einen dauerhaften Sitz im Parlament zusprechen und damit die politische Repräsentation indigener Anliegen institutionalisieren sollte.

Marcia Langston wiederum kritisiert die Bagatellisierung des Hamas-Terrors unter Verwendung der Aborignal-Flagge. So trug Nasser Mashni, Präsident des Australia Palestine Advocacy Network, bei einem Interview im November einen Anstecker mit der Aboriginal- und der Palästina-Flagge. »Kein legitimer Aboriginal-Repräsentant würde es zulassen, unsere Bewegung mit Terroristen in Verbindung zu bringen«, so Langston in der Tageszeitung The Australian. In ihrer Kritik erinnert sie an die antisemitischen Vorfälle bei »propalästinensischen« Demonstrationen in Australien. Auf ihnen wurden unter anderem israelische Flaggen verbrannt sowie das Existenzrecht Israels geleugnet.

Nach Angaben des Executive Council of Australian Jewry stieg die Anzahl der gemeldeten antisemitischen Vorfälle im Oktober und November 2023 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 738 Prozent: körperliche und ver­bale Angriffe, Schmierereien, Telefonanrufe und digitale Anfeindungen. Das ist eine neue Qualität antisemitischer Bedrohung, die auch in Austra­lien zu einer Praxis des Versteckens jüdischer Symbole führt, wie Suzanne Rutland, emeritierte Professorin für hebräische, biblische und jüdische Studien an der Universität Sydney, im Gespräch mit der Jungle World bestätigt. Der Abgeordnete Julian Leeser von der liberal-konservativen Liberal Party sagte dem Sydney Morning Herald, jü­dische Kinder hätten Angst, ihre Schuluniform anzuziehen, und Gemeindemitglieder nähmen in der Öffentlichkeit Davidstern und Kippa ab.

Als ab den siebziger Jahren postkoloniale Theorieangebote vordrängten, wurde die postkoloniale Dichotomie von colonizer und colonized zur populären Deutung für den israelisch-arabischen Konflikt.

Dass Juden als Repräsentanten des Staates Israel imaginiert und für israelisches Regierungshandeln verantwortlich gemacht werden, begann in Australien Rutland zufolge mit dem Sechstagekrieg im Jahr 1967. Sowohl die Australian Labor Party als auch die akademische Linke interpretierten den israelisch-arabischen Konflikt fortan analog zur sowjetischen Propaganda von imperialistischen Unterdrückern und antiimperialistischen Unterdrückten. Als dann ab den siebziger Jahren postkoloniale Theorieangebote vordrängten, wurde die postkoloniale Dichotomie von colonizer und colonized zur populären Deutung für den israelisch-arabischen Konflikt.

Der Versuch sogenannter propalästinensischer Gruppen in Australien, die Taten der Hamas als antikolonialen Befreiungsakt zu verkaufen und jeglichen Widerspruch als Teil einer zionistisch-kolonialen Verschwörung zu verurteilen, stößt vor dem Hintergrund der realen Kolonialgeschichte Australiens im akademischen Milieu auf besondere Resonanz. Auch in Australien fühlten sich jüdische Studierende von der antiisraelischen Dominanz auf den Campus mittlerweile »zutiefst unsicher«, sagt Michael Lionel Grenier von der Australasian Union of Jewish Students.

Der jahrzehntelange Kampf der au­stralisch-indigenen Bevölkerung »um Wahrheitsfindung«, wie Nova Peris es formuliert, scheint für die antiisraelische Allianz in Hinblick auf Israel keine Rolle zu spielen: Die genuin indigenen Begriffe und Symbole, in denen die Erfahrung realer Kolonialverbrechen steckte, werden zu Mitteln antiisraelischer Propaganda. Damit untergraben die antiisraelische Kampagne und ihre akademischen Multiplikatoren gleichermaßen die Anerkennung Israels und den mühsamen indigenen Kampf gegen die hegemoniale australische Geschichtsdeutung.