Der Musiker Dagobert flieht mittlerweile regelmäßig vor der Stadt in die Schweizer Berge

Irgendwas ist immer

Der großen Stadt kehrt der Musiker Dagobert mittlerweile regelmäßig den Rücken zu, um in den Schweizer Bergen zu arbeiten. Ganz in der Tradition der Romantik stehend, besingt er auch auf seinem neuen Album »Schwarz« seine nicht selten abgründigen Gefühlswelten und spricht im Interview mit der »Jungle World« über Mythen und die Provinz.

Es gibt viele Mythen und Geschichten über den Berliner Musiker Dagobert. Welche davon stimmen, das lässt sich meist nur schwer beurteilen. Dagobert selbst sagt im Interview mit der Jungle World, dass nahezu alle Geschichten, die er über sich gelesen habe, wahr seien.

Eine davon besagt, dass er nicht gerne arbeite – das hat er in Interviews schon oft wiederholt. Passenderweise heißt sein größter Internet-Hit »Nie wieder arbeiten«.

Erschienen ist er auf seinem Album »Jäger« aus dem Jahr 2021. Darin singt er: »Ich bin viel zu beschäftigt zum Arbeiten / Die Gedanken an dich müssen klar bleiben«. Klingt wie eine typisch kokette Songzeile eines Viel­beschäftigten. Doch im Interview hält Dagobert, bürgerlich Lukas Jäger, an seiner Aussage fest: »Wenn ich sage, ich möchte nie arbeiten, dann meine ich eher Geld verdienen. Das habe ich wirklich noch nie gemacht. Für mich gibt es nichts Schöneres, als Songs zu schreiben und aufzunehmen, von daher fühlt sich das für mich nicht so an wie Arbeit.«

Ob seine Definition von Arbeit einer streng marxistischen Prüfung standhalten würde, darf bezweifelt werden. Ungeachtet dessen kann man festhalten, dass Jäger derzeit schwer beschäftigt ist. Denn »Schwarz«, sein jüngstes Album, ist sein bereits viertes seit 2019. Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil er davor, in den ersten sechs Jahren ­seiner Karriere, lediglich zwei Alben veröffentlichte. Wie es zur Vermehrung seines künstlerischen Outputs kam, kann er sich selbst nicht so richtig erklären.

Nicht zufällig erwecken einige Kameraeinstel­lungen in dem Kurzfilm »Über Dagobert – Berg, Stadt & Liebesbriefe« den Eindruck, als hätte Caspar David Friedrich höchstpersönlich Regie geführt.

Wahrscheinlich, so fügt er hinzu, hänge es damit zusammen, dass es sich nun wieder vermehrt in den Schweizer Alpen aufhalte, wo es ihm besser gelinge, in einen kreativen Modus zu gelangen. In der Schweiz ist Jäger geboren und aufgewachsen, später zog er dann nach Berlin. Seit einigen Jahren pendelt er nun zwischen der deutschen Hauptstadt und der Schweizer Bergidylle. Rückblickend sagt er: »In Berlin habe ich teilweise zwei Jahre keinen einzigen Song geschrieben, weil ich es einfach nicht geschafft habe, mir einen gewissen Zeitraum freizukämpfen, in dem ich in die Stimmung komme, in der so etwas möglich ist.«

Kreativität, so fährt er fort, sei für ihn grundsätzlich nur in der Abwesenheit anderer Menschen möglich; um dann noch einen draufzusetzen: »Ich brauche immer mindestens einen Zeitraum von 48 Stunden ohne Menschen, dann geht’s. Und 48 Stunden ohne Menschen in Berlin, das ist irgendwie falsch.« Deshalb changiert er nun zwischen beiden Welten. In Berlin profitiert er von seinem Netzwerk aus Freunden und Kollegen sowie einer überaus musik­affinen Stadtbevölkerung. Arbeitet er an neuen Songs, zieht er sich hingegen in die Schweiz zurück.

Wie er dort lebt und arbeitet – pardon: musiziert, wurde erst kürzlich für den Kurzfilm »Über Dagobert – Berg, Stadt & Liebesbriefe« dokumentiert. Dort sieht man ihn, den ein­samen und leidenden Künstler, inmitten gigantischer Berglandschaften. Nicht zufällig erwecken einige darin zu sehende Kameraeinstel­lungen den Eindruck, als hätte Caspar David Friedrich höchstpersönlich Regie geführt.

Was wie ein spontaner, authentischer Dokumentarfilm daherkommt, ist tatsächlich – wie zumeist bei Dagobert – fein auskomponiert. In ihm gibt sich auch erstmals jene zehn Jahre ältere Frau zu erkennen, die, so die schon oft von Dagobert erzählte und verbreitete Geschichte, einst überhaupt erst den Anstoß lieferte für seine Musiklaufbahn. Die beiden, so heißt es, begegneten sich um die Jahrtausendwende in Berlin, begannen eine Liaison, bevor sie sich wieder von ihm trennte und den jungen Mann mit einem gebrochenen Herzen zurückließ. In der Dokumentation lässt sie sich nun folgendermaßen zitieren: »Nach all den Jahren möchte ich einfach mal sagen, dass all die Gerüchte wahr sind und vor allem, dass es mich gibt.«

Seit der Trennung sind viele Jahre ins Land gezogen, Dagoberts gebrochenes Herz aber ist geblieben. Und so kreisen seine Songs noch immer zumeist um Liebesgeschichten, die eigentlich nie ein glückliches Ende ­finden. Sei es, weil sie ihn nicht will (wie im Song »Ich will ne Frau die mich will«), oder andersherum, weil er sie nicht will (wie in »Keine Gefühle«). Irgendwas ist immer los bei Dagobert.

Und so verwundert es nicht, dass auch auf seinem neuen Album »Schwarz« kammerspielartige Texte dominieren, die zumeist von dem Dualismus »Ich« und »Du« geprägt sind. Wie in der apokalyptisch an­mutenden Vorabsingle »Todessehnsucht«, die auch der Opener des neuen Albums ist. Darin heißt es: »Heute bricht alles über mich herein / Ich bin wie gelähmt und kann nur noch weinen / Denn ich vermisse meine Freunde und dich / Sie sind tot, du bist es nicht«, bevor kurz darauf der Refrain folgt: »Todessehnsucht / Nur der Tod / Nur er lindert / Meine Not«. In der Presseinformation heißt es passend dazu, der Song sei »wahrlich nichts für fragile Gemüter«.

Das Album wird dominiert von einer überaus düsteren Grundstimmung, die man in der Form noch nicht von Dagobert kannte.

Auch den Rest des Albums dominiert eine überaus düstere Grundstimmung, die man in der Form noch nicht von Dagobert kannte und die nach den beiden musikalisch recht heiter geratenen Vorgängeralben »Jäger« (2021) und »Bonn Park« (2022) nicht wirklich zu erwarten war. Statt von schlageresken Drum­machines und hypermelodischen Synthieläufen ist »Schwarz« geprägt von leisen Pianoklängen in Moll und einer anrührenden, intimen, fast zerbrechlichen Atmosphäre.

Es drängt sich die Frage auf: Schlägt selbst dem notorischen Eremiten und Einzelgänger Dagobert die medial vermittelte, nicht selten apo­kalyptisch anmutende Weltlage aufs Gemüt? »Nicht im Geringsten«, antwortet er wie aus der Pistole geschossen: »Für mich ist das etwas, was sehr weit weg ist. Es passiert selten, dass es mir nahegeht, weil es meist irgendwas Abstraktes ist, was nichts mit mir zu tun hat. Ich weiß, dass das nicht unbedingt eine löbliche Einstellung ist. Aber ich habe keine Lust, mich jetzt abfucken zu lassen von etwas, das ganz weit weg ist und worauf ich wirklich keinen Einfluss habe.«

Wieder kommen einem da die an Caspar David Friedrich gemahnenden Kameraeinstellungen aus der Dagobert-Doku in den Sinn. Auch die Romantiker von damals reagierten mit ihrer stoischen Weltabgewandtheit bekanntermaßen auf eine von rasanten Umbrüchen und Krisen gebeutelte Welt, die mitzugestalten ­ihnen vermeintlich verwehrt war. Dagoberts Erfolg zeugt davon, dass ­dieses Grundgefühl auch heutzutage noch weitverbreitet ist. Statt den ­großen Rahmen zu sprengen, arbeitet man lieber akribisch am Detail. Am liebsten natürlich zurückgezogen in der heimeligen Bergidylle.


Albumcover

Dagobert: Schwarz (Dagobert)