Pose Dias Album »Simulate Yourself« basiert auf einer Performance der Künstlerin

Steigende Spannung

Die Musikerin und Künstlerin Helena Ratka, die unter dem Pseudonym Pose Dia veröffentlicht, lotet auf ihrem zweiten Album die Grenzen von künstlerischen Konzepten aus. Inspiriert wurde es von einer ihrer Performances.

Mit »Simulate Yourself« hat die Hamburger Musikerin und Performance-Künstlerin Pose Dia (Helena Ratka) nach »Front View« von 2020 ihr zweites Album herausgebracht. Ratka ist äußerst umtriebig, neben ihrem Soloprojekt tritt sie etwa unter dem Namen Ratkat als DJ im Hamburger »Golden Pudel Club« und als zweite Hälfte des Experimental-Pop-Duos Shari Vari (zusammen mit Sophia Kennedy) auf, zudem komponiert sie Soundtracks für Filme und Theaterstücke.

»Simulate Yourself« kann als eines der einfallsreichsten Alben des Jahres bezeichnet werden. Auf neun Tracks entfaltet Ratka ein Gerüst, welches ihrer audiovisuellen Live-Performance »Empire of the Statue« entlehnt ist, die sie im vergangenen Jahr auf Kampnagel in Hamburg uraufführte. In drei Akten widmet sie sich auf dem Album dem lustvollen Spiel mit den verschiedenen Schichten von Identität und ihrer Darstellbarkeit. Dabei baut Ratka musikalisch brillant eine Spannung auf, die sich mit jedem Track intensiviert.

Das Konzept ihrer audiovisuellen Performance entstand, wie Ratka im Interview mit der Jungle World erzählt, vor allem aufgrund der Covid-19-Pandemie und der von dieser veranlassten unfreiwilligen Livestream-Konzerte. »Mein Umfeld und ich haben relativ schnell gemerkt, dass bei dieser Art von Konzerten die Unmittelbarkeit fehlt und es einfach nicht so viel Spaß gemacht, sich nicht richtig angefühlt hat. Und da hatte ich Lust, mit verschiedenen Layern von Darstellung zu arbeiten.« Denn insbesondere als Künstlerin und Musikerin verstärkte sich für sie mit dem Rückzug in den digitalen Raum die Frage nach der Selbstdarstellung enorm. Als »digitale Archäologie« bezeichnet Ratka ihren Versuch, eben jene Schichten der (Selbst-)Darstellung künstlerisch freizulegen und zu interpretieren. Das geschieht sowohl in der Performance als auch auf der Platte.

In drei Akten widmet sich Helena Ratka alias Pose Dia auf dem Album dem lustvollen Spiel mit den verschiedenen Schichten von Identität und ihrer Darstellbarkeit.

Werden im ersten Teil der Performance Natur und Archäologie verhandelt, was sich auf »Simulate Yourself« mit dem experimentell-krautig elektronischen Opener »Hanging in a Tree« poetisch widerspiegelt, verstärkt sich im zweiten Teil die spielerische und ausufernde Suche nach abstrakten Identitätsentwürfen. Während das Setting der Performance einem schillernden Showroom gleicht, für den Ratka unter anderem ihre eigene Marke konzipierte und einen weißen Turnschuh entwarf (der später für 1.800.000 Pfund versteigert wurde), werden die Tracks auf »Simulate Yourself« immer poppiger, kommen dabei aber nicht ohne Elemente von Minimal Wave oder verspieltem Synth-Wave aus.

Als literarischen Einfluss für »Simulate Yourself« nennt die Musikerin insbesondere Thomas De Quinceys »Suspiria de Profundis« (1845), eine Sammlung von Prosagedichten, aus denen sich Fragmente in den Lyrics auf der Platte wiederfinden lassen. Auch die New Yorker Künstlergruppe Bernadette Corporation, die Fragen über Marken innerhalb der Kunstwelt aufwirft, ist eine wichtige Inspiration.

Trotz teils subtiler, teils offensichtlicher Einflüsse (der Track »Feuer« beispielsweise ist eine grandiose Hommage an ein Lied der Disco-Post-Punk-Legende Lizzy Mercier ­Descloux) ist es Ratka wichtig, dass ihre Musik ­sowie jegliche Kunst ­genügend Raum für Assoziationen lässt: »Ich mag nicht so gerne didak­tische Songs; wenn es in Interviews mit Musikerinnen zum Beispiel heißt: Ja, Fridays for Future, das hat mich total berührt und deswegen habe ich jetzt auch einen Song geschrieben, der heißt ›Das Wasser kommt hoch‹.« Lediglich Stimmungen, poetische Ideen und Fragmente zu liefern, ist Ratka wichtig, wie sie betont.

»Simulate Yourself« endet mit drei eher härteren Rave-Stücken, die letztlich der Soundtrack für die ­Zerstörung der zuvor in der Performance geschaffenen Warenwelt sind. Mit Hilfe von düster pochendem (und nebenbei enorm tanz­barem) Techno und einem gänzlichen Rückzug von Ratkas Stimme, die sich zuvor noch warm, selbstsicher und fordernd durch das Album zog, verschwimmen und verschwinden im Schlussakt und ins­besondere im letzten Track »Almond Milk« die letzten noch klar zu er­kennende Songstrukturen. Am Ende existiert auch die von Pose Dia repräsentierte Marke nicht mehr, von ihr bleibt allein weißes Rauschen ­übrig. Dabei drängt sich unweigerlich die Frage auf, wie flüchtig selbst noch das durchdachteste künstlerische Konzept ist.

Pose Dia: Simulate Yourself (R.i.O.)

Live-Termine:
9. 12. 2023: Stubnitz/Hamburg
10. 02. 2024: Tiff/Leipzig