Wie der analoge Mann zum Zeichner wurde

Der analoge Mann

Aus Kreuzberg und der Welt: Wie ich zum Zeichnen kam

»Wir kamen mit dem auto nach egenbütel, den sie hatten uns eingeladen. Als wir da waren stellte onkel günther klaptiesche auf, dan kam er mit einer grosen papirrole und legte sie auf den Tisch. Da kam Tante heidi miet dem katofelsalat und mit den Würstchen und miet dim zutrinken dan hat er die stüle. Und der zimermann ein anspruch gehalten und dan hat er prost gesagt und ale haben es nachgemacht und haben getrunken dan hat er das glas genommen und seinen hamer dan hat er drauf geklopft und dan sind wir nach unten gegangen und haben gegesen. Und dan haben wir noch ein bischen gespielt. Und dan sind wir auch gleich gegangen.«

Mein wahrscheinlich erster autobiographischer Erlebnisbericht, geschrieben mit Bleistift auf einem linierten Blatt Papier.

Mein wahrscheinlich erster autobiographischer Erlebnisbericht, geschrieben mit Bleistift auf einem linierten Blatt Papier.

Bild:
Andreas Michalke

Dies ist mein wahrscheinlich erster autobiographischer Erlebnisbericht, geschrieben mit Bleistift auf einem linierten Blatt Papier. Auf der Rückseite hat meine Mutter notiert: »Andreas, 16. 10. 73, 2. Klasse, 7 1/2 Jahre«.

Der Text liest sich wie eine Mischung aus den Kinderbüchern »Der kleine Nick« und dem Jugendfilm »Nordsee ist Mordsee«.

Seit Anfang der neunziger Jahre stehen autobiographische Kurzgeschichten im Zentrum meines künstlerischen Werks, aber mir war nicht bewusst, dass ich schon damit angefangen hatte, als ich noch lernte zu schreiben. Der Text liest sich wie eine Mischung aus den Kinderbüchern »Der kleine Nick« und dem Jugendfilm »Nordsee ist Mordsee«.

Es geht um das Richtfest für den Neubau von meiner Tante Heidi, der Schwester meiner Mutter, und ihrem Mann Günther. Onkel Günther arbeitete in einer Papierfabrik. Die im Text erwähnte Papierrolle stammte vermutlich daher. Dank Onkel Günther gab es bei uns zu Hause nie einen Mangel an Papier.

Auf der Rückseite hat meine Mutter notiert: »Andreas, 16. 10. 73, 2. Klasse, 7 1/2 Jahre«.

Auf der Rückseite hat meine Mutter notiert: »Andreas, 16. 10. 73, 2. Klasse, 7 1/2 Jahre«.

Bild:
Andreas Michalke

Vielleicht verdanke ich Onkel Günther meine künstlerische Laufbahn. Meine Tante Heidi wohnt übrigens bis heute in diesem Haus in Egenbüttel bei Hamburg. Als ich am Wochenende meinen Bruder besuchte, gab er mir zwei Mappen mit mir unbekannten ­Kinderzeichnungen, die auch diesen Schulaufsatz enthielten.

Unsere Eltern sind seit fast 30 Jahren tot, aber zum Glück hat mein Bruder den Dachboden unseres Elternhauses noch nicht komplett ­entrümpelt. Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Ganz oben in der einen Mappe lag ein mit Wachsmalstiften gemaltes Bild, dass ich von unserem Vater gemacht hatte. Als Kapitän eines Containerschiffs war er fast nie da. Wir dachten viel an ihn. Und malten ihn uns in Bilder aus.