Neuer Skandal in Jean-Luc ­Mélenchons Wahlbündnis La France insoumise

Mélenchons Pikdame

Gegen Sophia Chikirou von der linkspopulistischen Wahlplattform La France insoumise wird wegen schweren Betrugs und Hehlerei ermittelt.

Eine Welle von Presseberichten hat im Laufe der vorigen Woche die – de facto wie eine politische Partei agierende – linkspopulistische Wahlplattform La France insoumise (LFI, Das unbeugsame Frankreich) kalt erwischt. Die Artikel, die eine Fernsehdokumentation bei France 2 begleitete, kündigten an, dass demnächst ein Strafverfahren gegen die 44jährige Abgeordnete Sophia Chikirou eröffnet werden könnte, wegen schweren Betrugs und Hehlerei.

Dabei geht es um überteuerte Abrechnungen von Dienstleistungen für die Partei, die dann zum Teil aus staatlichen Mitteln, im Rahmen der Wahlkampfkostenrückerstattung, bezahlt wurden. Wo bei anderen Kommunikationsunternehmen ein Gewinn zwischen einem und acht Prozent ihres Umsatzes üblich ist, verzeichnete Chikirou mit ihrer PR-Firma Mediascop – inzwischen in L’Internationale umbenannt – eine stattliche Gewinnmarge von 18 Prozent. Vor allem aber zeichnet sich ab, dass Chikirou einen Löwenanteil der Gewinne an sich selbst ausschüttete. Im Jahr 2016, dem Beginn des beobachteten Zeitraums, waren es etwa 64 000 von 76 000 Euro Gewinn, später gingen die Summen in den sechsstelligen Bereich.

Besonders bitter für viele politisch Aktive der linkspopulistischen Wahlplattform dürfte die Diskrepanz sein, die zwischen den politischen Ansprüchen und der Realität der Bereicherung der Frau an der Spitze des Kommunikationsapparats von LFI besteht. Die Dienstleistungen, für die Chikirou überhöhte Preise abrechnete, erbrachten entweder unbezahlte Ehrenamtliche oder aber Personal, das den gesetzlichen Mindestlohn (SMIC) bezog.

Zwar hat es auch in der Vergangenheit vielfach Fälle gegeben, in denen un- oder unterbezahlte Parteiarbeit bei staatlichen Stellen unter falschen Angaben als gutbezahlte Erwerbsarbeit abgerechnet wurde. Dies war in früheren Jahrzehnten oft bei den disziplinierten Mitgliedern der Französischen Kommunistischen Partei (PCF) der Fall. Allerdings war den Beteiligten klar, dass die vom Staat abgezogenen Gelder unter der Hand der Finanzierung ihrer Partei dienen sollten – und nicht persönlicher Bereicherung wie in diesem Falle.

Chikirou ist nicht irgendwer bei LFI. Als Ermittler im Herbst 2018 Jean-Luc Mélenchons Privatwohnung durchsuchten, trafen sie Sophia Chikirou »an einer Stelle der Wohnung an, die wenig Zweifel über die Natur ihrer Beziehung ließ«, wie es ein Journalist der linken Internetzeitung Mediapart vorige Woche im Fernsehen dezent formulierte. Intern wird sie bei LFI, wie ein längerer Hintergrundartikel bei Le Monde nach ausführlichen Gesprächen mit Parteimitgliedern referiert, schlicht als »die Frau vom Chef« bezeichnet. Deswegen war ihre Position gut geschützt.

Infolge der Enthüllungen kommt es nun jedoch erstmals zu Protesten nicht nur hinter vorgehaltener Hand. Die bekannte Toulouser Aktivistin Myriam Martin sprach von Widersprüchen zu »unseren Prinzipien« und »Selbstbereicherung«. Dass die Presseberichterstattung auch den Inhalt von SMS-Nachrichten offenlegte, in denen Chikirou Mitarbeiter des zeitweilig ebenfalls von ihr geleiteten Webfernsehsenders Le Média als »beschissene Schwuchteln, die sich ihr Kommuniqué tief in den Hintern stecken können«, bezeichnete, machte die Sache nicht besser.

Es handelt sich bereits um die zweite manifeste Krise, die LFI innerhalb eines Jahres durchläuft. Den Anfang bildete die »Quatennens-Affäre« im Herbst 2022. Der junge Abgeordnete Adrien Quatennens wurde am 13. Dezember vorigen Jahres wegen ehelicher Gewalt zu einer Bewährungsstrafe von vier Monaten verurteilt. Unmittelbar darauf suspendierte die LFI-Fraktion der Nationalversammlung seine Mitgliedschaft für die Dauer dieser vier Monate. Dies war ein Kompromiss zwischen unterschiedlichen Herangehensweisen und Forderungen, die innerhalb der Partei laut wurden.

Zuvor hatte sich Mélenchon in seinen ersten Reaktionen im September schützend vor Quatennens gestellt; in seinen ersten Twitter-Meldungen erschien dieser beinahe als Opfer einer schwierigen häuslichen Situation, einer damit verbundenen Stresssituation sowie des Drucks der Medien.

Bereits in diesem Zusammenhang tat sich Sophia Chikirou hervor, denn in per Smartphone verbreiteten Textnachrichten, von denen manche in dem am Donnerstag voriger Woche beim öffentlich-rechtlichen Fernsehsender France 2 ausgestrahlten Dokumentarfilm »Sophia Chikirou, la dame de piques des insoumis« (Sophia Chikirou, die Pikdame der Unbeugsamen) zu sehen waren, gab sie an Parteimitglieder und -abgeordnete Sprachregelungen heraus. Darin ist von einem »schwierigen Scheidungsprozess« die Rede, der Tonfall klingt ausgesprochen entschuldigend.

Doch die Wortmeldungen und Proteste von Feministinnen wie Clémentine Autain und anderen LFI-Abgeordneten sorgten in den darauffolgenden Wochen dafür, dass es doch noch zu einer Sanktion von Quatennens kam. Allgemein wird davon ausgegangen, dass das ausschlaggebende Kriterium für Mélenchons und Chikirous Vertei­digung von Quatennens die ausgeprägte Loyalität des heute 33jährigen Abgeordneten zum informellen harten Kern der Parteiführung war.