Die Abrechnungsbürokratie nimmt den Arzt ständig in Anspruch

Tage der Abrechnung

Praxis und Theorie. Eine gesundheitspolitische Kolumne.
Kolumne Von

Geld ist ein heikles Thema – auch für Hausärzte. Warum sollte der Kapitalismus auch vor einer Arztpraxis Halt machen? Der Hausarzt muss sein Unternehmen refinanzieren und unterliegt, wenn auch in gewissen Grenzen, dem Zwang, aus Geld mehr Geld zu machen.

Für niedergelassene Ärzten sind Einkommen und Bürokratie untrennbar miteinander verbunden. Hier eine kurze Einführung: Die Basis für hausärztliche Einkünfte ist der Einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM), der für alle Versicherten, die den Hausarzt aufsuchen, eine Quartalspauschale vorsieht. Das sind etwa 13,10 Euro für alle zwischen 19 und 54 Jahren. Andere Handlungen und Eingriffe werden mit Ziffern kodiert und am Quartalsende abgerechnet: Ziffer 01410 steht für Hausbesuch, ein solcher erbringt 24,36 Euro; Ziffer 02300, kleinchirurgischer Eingriff, wird mit 7,81 Euro vergütet, bei einer Ultraschalluntersuchung der Bauchorgane, Ziffer 33042, sind es 16,43 Euro. Würde man ihn nachts aus tiefstem Schlaf wecken, könnte ein guter Hausarzt die wichtigsten Abrechnungsziffern und Zuschläge sogleich aufsagen, schneller als er sich zum Beispiel an das Vorgehen bei einer Reanimation oder bei der Behandlung von Rückenschmerzen erinnert.

Gehen Hausärzte pleite, verlieren sie Haus und Ferienwohnung und müssen ihre Kinder vom Tennisunterricht abmelden.

Die Ziffern des EBM sind so weit noch recht übersichtlich – sozusagen das tägliche Brot der hausärztlichen Tätigkeit. Sie bilden die Basis für die Abrechnung aller Leistungen für die in gesetzlichen Krankenkassen Versicherten. Wer was wann wie und was abrechnen darf und welche Ausnahmen dabei gelten, wird umfangreich definiert. Um es dem Hausarzt aber nicht allzu leicht zu machen, gibt es weitere Abrechnungssysteme mit anderen Ziffern. Da ist zum einen die Gebührenordnung für Ärzte, die überwiegend für die Abrechnung von Behandlungen an Privatpatienten verwendet wird: Ziffer 1 für ein kurzes Gespräch, Ziffer 3 für ein langes, Ziffer 70 für eine Krankschreibung. Die 5 steht für eine schnelle, die 6 für eine umfassende körperliche Untersuchung – Ausnahmeregeln, Zuschläge, Wegegeld.

Da das einigen anscheinend noch nicht kompliziert genug war, haben zahlreiche gesetzliche Krankenkassen ein Hausarztprogramm aufgelegt, an dem die Versicherten freiwillig teilnehmen. Das bringt für diese keine Vorteile, den Hausärzten aber noch mehr Bürokratie, da jede Kasse eigene Ziffern und Abrechnungsregeln für diese Patienten vorschreibt.

Aber egal wie erfolgreich der Allgemeinmediziner die Bürokratie auf Abstand hält und, sich an seine humanistischen Ideale erinnernd, auf die Behandlung seiner Patienten konzentriert: Gerade in diesem Fall sind ihm schlaflose Nächte nicht unbekannt. Gehaltssteigerungen des Personals, Miete der Praxisräume, Heizung, Strom – alles wird teurer und knabbert an seinen sauer verdienten Einkünften. Als Kleinunternehmer sehen sich viele Hausärzte ständig von Konkurs bedroht. Und sind sie erst mal pleite, sind die Konsequenzen furchtbar: Sie verlieren Haus und Ferienwohnung und müssen ihre Kinder vom Tennisunterricht abmelden. Um das zu verhindern, verbringen Ärzte viel Zeit in den Untiefen der Abrechnungsbürokratie, besuchen Fortbildungen zu den neuesten Abrechnungstricks, um den sich im Quartalsrhythmus ändernden Regeln hinterherzuhecheln.

Jeder Hausarzt kennt das angenehme Gefühl, in einem Strudel aus Ziffern und Abrechnungsregeln zu versinken und beinahe zu vergessen, worum es eigentlich geht: nämlich darum, dass der Patient für das alles nicht notwendig, ja im Gegenteil geradezu lästig ist. Denn ständig ist er krank und will irgendetwas. Stattdessen könnte man die verdammten Ziffern im Homeoffice eingeben und dann weiterschlafen oder etwas anderes machen: zum Beispiel Lottoscheine ausfüllen und dabei Kaffee trinken. Dazu bräuchte man keine hässlichen Wartezimmer mehr, keine Geräte und Verbandsmaterialien – nur einfache Ziffern. Ziffern sind Geld. Ohne Geld keine Praxis. Ohne Praxis keine Ziffern.