Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts gegen eine Leiharbeiterin

Beschäftigte zweiter Klasse

Eine Leiharbeiterin aus Bayern klagte, weil ihr Gehalt mit nur etwa neun Euro pro Stunde deutlich unter dem ihrer festangestellten Kolleg:innen gelegen habe, die mehr als 13,50 Euro bekommen hätten. Nun ist sie vor dem Bundesarbeitsgericht gescheitert.

Kaum eine Form der prekären Beschäftigung hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten einen solchen Boom erlebt wie die Leih- und ­Zeitarbeit. Die Grundlage hierfür war die 2003 von der rot-grünen Bundesregierung beschlossene Neuregelung des Arbeitnehmer­überlassungsgesetzes. Lag die Zahl der Leiharbeiter:innen in den Neunzigern bundesweit noch bei rund 100.000, sind es mittlerweile etwa 800.000.

Nicht zuletzt dieser Ausweitung prekärer Beschäftigung ist es zu verdanken, dass der Exportstandort Deutschland aufgrund niedriger Lohnkosten in der internationalen – und vor allem innereuropäischen – Staatenkonkurrenz die Nase vorne hat.

Damit das auch in Zukunft so bleibt, hat nun das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt die Klage einer bayerischen Leiharbeiterin abgewiesen. Laut BAG verstößt der Tarifvertrag in der Leiharbeit, der für die Betroffenen deutlich niedrigere Löhne als für Stammbeschäftigte vorsieht, nicht gegen den im EU-Recht festgeschriebenen Gleichstellungsgrundsatz, der eigentlich auch bei der Leiharbeit Anwendung findet.

In den Entleihbetrieben werden Leiharbeiter:innen nicht nur wie Beschäftigte zweiter Klasse behandelt, sondern oft auch durch andere Arbeitskleidung als solche gekennzeichnet.

Für die in Leiharbeitsverhältnissen Beschäftigten bedeutet das weiterhin permanente sozialen Unsicherheit, ständige Angst vor Arbeitsplatzverlust und niedrige Löhne. Zwei Drittel von ihnen verdienten im April 2022 offiziell unterhalb der Niedriglohnschwelle, das heißt zwei Drittel des mittleren Bruttoeinkommens aller Beschäftigen; die Grenze liegt derzeit bei 2.344 Euro im Monat. Im Schnitt bekommen sie 43 Prozent weniger als ihre festangestellten Kolleg:in­nen. Einer der Gründe ist, dass sie meist nicht in die richtige Entgeltgruppe eingruppiert werden. Ihre Ausbildung und Erfahrung sowie die ausgeübte Tätigkeit bleiben bei der Eingruppierung häufig unberücksichtigt. So beziehen Facharbeiter:innen oft nur den Lohn einer Hilfskraft.

Zudem müssen sie oft weite Strecken zum Entleihbetrieb zurücklegen und können von einem auf den anderen Tag ihren Arbeitsplatz verlieren. Mehr als die Hälfte der Leiharbeitsverhältnisse endet nach weniger als drei Monaten; Kündigungsschutz genießen diese Arbeitnehmer aber erst nach sechs Monaten Betriebszugehörigkeit. Zum System Leiharbeit gehört auch, dass den Betroffenen grundlegende Arbeitnehmer:innenrechte zum Beispiel bei der Mitbestimmung vorenthalten werden und sie häufiger unter schlechten Arbeitsbedingungen leiden, die sich negativ auf ihre Gesundheit auswirken. Die Arbeit ist sowohl körperlich anstrengender als auch mit geringeren Handlungsspielräumen versehen als bei ihren festangestellten Kolleg:innen.

In den Entleihbetrieben werden Leiharbeiter:innen nicht nur wie Beschäftigte zweiter Klasse behandelt, sondern oft auch durch andere Arbeitskleidung als solche gekennzeichnet. Ihr nun vom BAG höchstrichterlich abgesegneter Status als prekäre Tagelöhner:innen zum Wohle der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie soll für jeden sofort erkennbar sein – und den noch festangestellten Kolleg:innen zugleich als Mahnung und Warnung dienen, dass es ihnen bald ebenso ergehen könnte.