Mit Nazis in Russland
Angebliche Friedensfreunde, die Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine unterstützen, selbsternannte Antifaschisten, die mit russischen Rechtsextremen kein Problem haben: Spätestens seit Beginn der russischen Invasion ist das ein bekanntes Phänomen. Besonders krass ist der Fall von Liane Kilinc. Die Brandenburgerin ist mit ihrem Verein Friedensbrücke – Kriegsopferhilfe seit 2015 in den inzwischen von Russland annektierten separatistischen »Volksrepubliken« im Osten der Ukraine aktiv. Bis 2019 war sie Mitglied der Linkspartei. Sie präsentiert sich stets als Antifaschistin und Friedensaktivistin – auch gerne in kremlnahen Propagandamedien wie dem in Deutschland mittlerweile verbotenen Sender RT DE (früher Russia Today), dem sie erst im Dezember ein Interview gab.
Nach eigenen Angaben organisiert und finanziert ihr Verein Transporte mit humanitären Hilfsgütern für den Donbass. Das Foto eines Lastwagens, der mit dem hierzulande verbotenen Z-Symbol versehen war, bescherte der Friedensbrücke im vergangenen Jahr ein Ermittlungsverfahren wegen Billigung von Straftaten und die Aberkennung der Gemeinnützigkeit.
Auf ihrer Website wirbt die Friedensbrücke weiter um Spenden. Neben einem Paypal-Konto findet sich hier eine Bankverbindung der Berliner Sparkasse, die auf Kilincs Namen läuft. Den Spendenaufruf verbreitete auch der reichweitenstarke Telegram-Kanal der Influencerin und Kriegsbefürworterin Alina Lipp, die seit 2021 überwiegend in Donezk wohnt und zu Kriegsbeginn im Februar 2022 freudig auf Telegram postete: »Die Denazifikation hat begonnen.« Kilinc selbst befindet sich inzwischen in Russland. In RT DE mimte sie die politisch Verfolgte und behauptete, in Deutschland »Drohungen« und »psychischer Gewalt« ausgesetzt gewesen zu sein, beispielsweise weil Autos mit ukrainischem Kennzeichen vor ihrem Auto geparkt hätten.
Auf Fotos ist Liane Kilinc mit dem gewaltbereiten Neonazi Gennadij Schibanow beziehungsweise dem Fitnesstrainer Igor Grunskij zu sehen.
Neue Recherchen des russischen Investigativportals The Insider und der Inhaberin eines deutschsprachigen Twitter-Accounts mit dem Namen Polly belegen nun eindrücklich, wie eng Kilinc mit rechtsextremen und putintreuen Gruppen zusammenarbeitet. Die Auswertung von Beiträgen und Bildmaterial aus verschiedenen sozialen Medien zeigt außerdem, dass von der Friedensbrücke finanzierte Transporte auch militärische Güter in den Donbass brachten.
Dabei handelt es sich um Transporte der russischen, sich selbst als humanitär bezeichnenden Gruppe »Moskau nach Donbass«, die Kilincs Verein nach eigenen Angaben finanziell unterstützt hat. Im November hatten laut Insider an diesen Transporten beteiligte Lastwagen beispielsweise Maschinenöl für Kampffahrzeuge an Bord. Im Februar 2023 habe Kilincs Verein demnach die Lieferung einer Antidrohnenwaffe und eines Drohnensystems an ein Regiment der Luhansker Volksrepublik bezahlt.
Andere Fotos dokumentieren, dass Kilinc und ihr Verein in Russland mit Ultranationalisten und Rechtsextremen kooperieren, beispielsweise ein Gruppenfoto anlässlich eines erfolgreichen Hilfstransports vom 31. Januar. Darauf ist eine Fahne mit dem Logo der Friedensbrücke prominent platziert. Daneben ist Aleksandr Petrunko zu sehen, ein Mitglied der russisch-nationalistischen Bewegung SERB, die für den Anschluss der Ostukraine an Russland eintritt. Die Gruppe entstand 2014 im Osten der Ukraine und beteiligte sich dort an separatistischen Unruhen, bevor ihre Anführer nach Russland übersiedelten. The Insider zufolge untersteht SERB dem russischen Innenministerium. Kilinc und Petrunko waren im Oktober 2022 beide auf der Beerdigung des im Krieg gefallenen Aleksandr Miroschnitschenko fotografiert worden, der schon seit 2014 auf Seiten der von Russland gesteuerten Separatisten in der Ostukraine gekämpft hatte.
SERB war in den vergangenen Jahren für eine Reihe von Angriffen unter anderem auf russische Oppositionelle verantwortlich. Im Jahr 2016 übergoss Petrunko in Moskau ausgestellte Fotoarbeiten des US-amerikanischen Fotografen Jock Sturges mit Fäkalien. Die Ausstellung hatte den Zorn von konservativen Kreisen auf sich gezogen, weil sie angeblich Kinderpornographie zeigte.
2017 schüttete Petrunko dem mittlerweile inhaftierten Putin-Kritiker Aleksej Nawalnyj grüne Farbe ins Gesicht. Solche sogenannten Seljonka-Attacken richteten sich in jener Zeit gegen viele russische Regimegegner.
Auf anderen kürzlich beim Beladen eines LKW aufgenommenen Fotos ist Kilinc mit dem gewaltbereiten Neonazi Gennadij Schibanow beziehungsweise dem Fitnesstrainer Igor Grunskij zu sehen. Letzterer ist laut The Insider Mitglied mehrerer ultranationalistischer Gruppen, darunter die LGBT-feindliche christlich-fundamentalistische Union Orthodoxer Bannerträger. Igor Miroschnitschenko, einer der Anführer der Gruppierung, leugnete im sozialen Medium VK den Holocaust.
In Deutschland hat Kilinc Kontakt zu Kreisen, die sich als selbst als antiimperialistisch, links oder der Friedensbewegung zugehörig verstehen. Kilincs Beiträge erschienen noch im Jahr 2022 im verschwörungstheoretischen Magazin Rubikon. Die Friedensbrücke ist bis heute einer der Partner des ebenfalls verschwörungstheoretisch und esoterisch orientierten »Friedensfestivals« Pax Terra Musica, das im Juli erneut im brandenburgischen Friesack stattfinden soll. Zudem ist Kilinc – nach eigenen Angaben Tochter eines einstigen Stasi-Mitarbeiters – Präsidiumsmitglied des Ostdeutschen Kuratoriums von Verbänden e. V. (OKV), eines Verbunds dogmatischer DDR-Nostalgiker:innen mit prorussischem Einschlag.
Im Januar erschien auf Deutsch eine Dokumentation von dem in Deutschland verbotenen russischen Auslandssender Russia Today, die unter anderem auf Youtube zu sehen ist. Der Film wird von Anna Chapman moderiert, die 2010 in den USA als russische Spionin enttarnt worden war und durch einen Gefangenenaustausch nach Russland zurückkehren konnte. In dem einstündigen Film geht es einem Werbetext zufolge um »Ken Jebsen, Liane Kilinc, Dagmar Henn … «. Weiter heißt es: »Die Zahl der für ihre Meinung verfolgten Personen in Deutschland wächst unaufhaltsam.« Henn und Jebsen verbreiten beide Verschwörungstheorien. Wer nicht »gehorsam dem antirussischen, proukrainischen Kriegskurs folgt, hat Probleme«, heißt es in dem Film weiter. Kilinc wird ausgiebig interviewt, über ihren Vater sagt sie, er habe »Berufsverbot bis zum Lebensende, und warum? Weil er meiner Heimat, meinem Staat gedient hat.«
Am 11. April hielt Klaus Koch, Mitgründer der Friedensbrücke und einstiger NVA-General, eine Rede in Moskau bei der Konferenz des russischen sowjetischen Veteranenverbandes, die auf der OKV-Website veröffentlicht wurde. Darin nannte er die ukrainische Regierung die »Vorhut im Kampf des Weltimperialismus gegen Russland«.
Kilinc bewegt sich auch in DKP-Kreisen. Im August 2022 war sie Podiumsgast auf dem »Volksfest« der Kleinpartei in Berlin. Im selben Jahr sprach sie auch bei einer Gedenkveranstaltung für Ernst Thälmann sowie bei Protesten gegen die Schließung der Druschba-Pipeline in Schwedt, die zum Transport von Erdöl aus Russland diente.
Bis 2019 war Kilinc auch Mitglied der Linkspartei. Als sie die Partei wegen derer in ihren Augen ungenügenden antiimperialistischen Haltung verließ, hatte sie sich bereits vier Jahre lang in den ukrainischen Separatistengebieten engagiert.