Die populistischen Maß­nahmen von Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir sind in Israel umstritten

Fladenbrot und Raketen

Itamar Ben-Gvir, Israels Minister für Nationale Sicherheit, will mit populistischen Maßnahmen den Erwartungen seiner Wähler gerecht werden.

Es war die erste Maßnahme zur Verschärfung der Haftbedingungen für palästinensische Terroristen: Am Mittwoch vergangener Woche ließ Israels Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, Bäckereien in zwei Sicherheitsgefängnissen schließen. Weitere Verschärfungen der Haftbedingungen sollen folgen: Ben-Gvir, der auch der nationalistischen Partei Otzma Yehudit (Jüdische Kraft) vorsitzt, möchte auch die Interessenvertretung der Inhaftierten abschaffen und Gefangene aus Einzel- in Doppelzellen verlegen, zudem soll der Erwerb von Gütern von außerhalb der Gefängnisse komplett unterbunden werden. Wenige Stunden später wurde aus dem Gaza-Streifen eine Rakete auf Israel abgefeuert, die von der israelischen Luftabwehr abgefangen werden konnte und daher keinen größeren Schaden anrichtete.

Videomitschnitte aus sozialen Medien und dem palästinensischen Fernsehen legen nahe, dass die Rakete auch aus Protest gegen die Behandlung in Israel inhaftierter palästinensischer Terroristen abgefeuert wurde. In den Nachrichten des israelischen Fernsehsenders Kan 11 zitiert der Korrespondent Elior Levy zwei Quellen aus dem Gaza-Streifen, denen zufolge es auch die Maßnahme Ben-Gvirs und seine Aussagen gewesen seien, die den Raketenangriff mit motiviert hätten. In einer Kolumne für die Tageszeitung Haaretz spottet der Journalist Amos Harel über »Fladenbrot-Raketen«.

Dass eine größere Eskalation nach palästinensischen Raketenangriffen und israelischen Gegenschlägen bislang ausblieb, geht offenbar auch auf die Vermittlung ägyptischer Unterhändler zurück

Über die Frage, ob es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen der Schließung der Backstuben, in denen Häftlinge ihre eigenen Fladenbrote backen, und dem Raketenangriff gibt, kann indes nur spekuliert werden. Tatsache ist, dass die Lage in Israels Sicherheitsgefängnissen seit zwei Wochen angespannt ist. Das hat nicht nur etwas mit Ben-Gvirs Politik zu tun. Am 26. Januar wurden bei einer Razzia der israelischen Armee in Jenin zehn Palästinenser getötet. Nach einem Terroranschlag im Jerusalemer Stadtteil Neve Yaakov am 27. Januar, bei dem sieben Menschen ermordet worden waren, kam es unter Inhaftierten in den israelischen Sicherheitsgefängnissen zu spontanen Freudenfeiern und Unruhen, die vom Gefängnispersonal mit Strafmaßnahmen unterbunden wurden.

In einem anderen Fall habe eine Inhaftierte in ihrer Zelle Feuer gelegt, so Yahav On, ein Mitarbeiter der Gefängnisbehörde, in einem Interview mit dem Fernsehsender Kanal 12. Auf die Nachfrage des Journalisten Oded Ben Ami, ob die von Ben-Gvir angeordneten Verschärfungen der Haftbedingungen eskalierend wirkten, wich On aus. Doch die meisten Kommentatoren in den israelischen Medien sind davon überzeugt, dass Ben-Gvirs Maßnahmen zu dem Raketenangriff beigetragen haben. Der Militärkorrespondent des israelischen Fernsehsenders Reshet 13 (Kanal 13), Ohad Chemo, hält es für »ziemlich klar, dass der Hintergrund der Protest der Gefangenen ist«.

Dass eine größere Eskalation trotz Gegenangriffen der israelischen Armee auf Waffenfabriken der palästinensischen Terrororganisation Hamas und des darauffolgenden erneuten Abschusses einiger Raketen aus dem Gaza-Streifen auf Israel bislang ausblieb, geht offenbar auch auf die Vermittlung ägyptischer Unterhändler zurück. Bei einer Razzia nahe Jericho am Montag tötete die israelische Armee nach eigenen Angaben fünf Hamas-Kämpfer. Mehrere Beobachter, wie zum Beispiel die Journalisten Alon Ben-David und Zvi Yehezkeli (beide Korrespondenten von Reshet 13), warnten davor, dass es zu einer größeren militärischen Auseinandersetzung kommen könne. Auch der Haaretz-Kolumnist Amos Harel sah Israel am Rande eines weiteren Kriegs mit Gaza, provoziert durch den rechtsextremen Minister Itamar Ben-Gvir, der mit populistischen Maßnahme versuche, die Erwartungen seiner Wähler zu erfüllen.

Ein weiteres Beispiel für populistisches Agieren sieht Harel in Ben-Gvirs Vorschlag, den Prozess für den Erwerb von Waffenscheinen zu vereinfachen, um eine größere Zahl von Schusswaffen unter die Zivilbevölkerung zu bringen. Damit reagierte der Minister auf den Terroranschlag in Neve Yaakov, den er einem Bericht der Times of Israel zufolge mit einem weiteren Anschlag am darauffolgenden Tag in der Jerusalemer Altstadt verglich, bei dem der Attentäter von einem bewaffneten Soldaten außer Dienst erschossen wurde, bevor er weiteren Schaden anrichten konnte. Der Minister sieht darin einen Beleg für seine Auffassung, dass die Bewaffnung der Zivilbevölkerung zum Schutz gegen Terroristen beitrage. Eine Sichtweise, die Harel zufolge jedoch von höherrangigen Mitarbeitern der Polizei nicht geteilt werde.

Nach dem Anschlag von Neve Yaakov versiegelte die Armee das Haus der Familie des Attentäters in Ostjerusalem. Diese Maßnahme, mit der ein möglicher Abriss des Gebäudes vorbereitet wird, entspreche dem herkömmlichen Vorgehen in solchen Fällen, bestätigt ein ehemaliger Mitarbeiter des israelischen Inlandsgeheimdiensts Shin Bet der Jungle World. Doch beschuldigte Ben-Gvir die Generalstaatsanwältin, sie habe eine noch schnellere Versiegelung des Hauses verhindert. Dabei wäre es an ihm selbst gewesen, sich als verantwortlicher Minister mit dem Verteidigungsministerium abzustimmen, um auf eine Beschleunigung hinzuwirken. Ben-Gvir zog es offenbar vor, das System im Stil eines oppositionellen Provokateurs von außen zu kritisieren. Überhaupt erregt er gerne öffentliche Aufmerksamkeit.

Auf dem Nachrichtenportal N12 kommentierte der Reporter Muhammad Majadla, dass Ben-Gvir auch als Minister »weiterhin die Konfrontation und die Provokation sucht«. Dies spiegele sich, so der Journalist Raviv Drucker im Rahmen einer Nachrichtensendung auf Reshet 13, auch in der Schließung der Gefängnisbäckereien wider: »Als ich das mit den Fladenbroten zum ersten Mal hörte, dachte ich, das sei eine Parodie auf Ben-Gvir.« Doch scheine es so, »als werde er nicht erwachsen«.

In einem Video echauffierte sich ein heftig gestikulierender Ben-Gvir: »In meinen Augen ist es inakzeptabel, dass Terroristen, die Kinder und Frauen ermorden, jeden Morgen frische Fladenbrote bekommen, als wären sie in einem Restaurant.« Der Parlamentsabgeordnete Zvika Fogel, ein Parteifreund Ben-Gvirs, sagte dem Reshet 13: »Diese Maßnahmen tragen dazu bei, dass die Leute verstehen, dass es nicht gut ist, in ein israelisches Gefängnis zu kommen (…), und schaffen Abschreckung.«

Mitarbeiter der israelischen Sicherheitsbehörden sehen das anders. In der Nachrichtensendung des Senders Kan 11 zitierte der Journalist Moshe Steinmetz aus dem Protokoll einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats, der sich 2018 bei mit ähnlichen Vorschlägen zur Haftverschärfung auseinandergesetzt und an der Mitarbeiter von Polizei, Inlandsgeheimdienst, Gefängnisbehörden und Armee teilgenommen hatten. Dort heißt es, die Polizei gehe davon aus, dass es im Fall einer Verschärfung der Haftbedingungen zu einer steigenden Bedrohung durch terroristische Anschläge und zu Unruhen in Gaza und Ostjerusalem kommen werde.

Ben-Gvirs Maßnahme führt bei Mitarbeitern der Gefängnisverwaltung nach Recherchen des Reporters Elio Senior, ebenfalls von Reshet 13, zu Kopfschütteln – auch weil die Schließung der Bäckereien Mehrkosten von 1,5 Millionen Schekel (gut 400 000 Euro) verursacht. Das Brot muss nun eingekauft und ins Gefängnis geliefert werden; zudem sind diese Transporte ein potentieller Weg, Telefone, Waffen oder andere Schmuggelware in die Gefängnisse zu schleusen, und müssen deshalb besonders abgesichert werden.

Auch außenpolitisch wirken Ben-Gvirs populistische Aktionen immer wieder störend. Nach einem Besuch Ben-Gvirs auf dem Jerusalemer Tempelberg war es Anfang des Jahres zu Spannungen zwischen Israel und den arabischen Staaten gekommen (Jungle World 2/2023), in deren Folge ein geplanter Besuch von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu in den Vereinigten Arabischen Emiraten verschoben wurde. Das macht die Annäherungsversuche zwischen Israel und einigen arabischen Staaten schwieriger, die Netanyahu seit der Unterzeichnung der Abraham Accords mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain im Jahre 2020 unternimmt.

Im Gespräch mit dem US-Nachrichtensender CNN bekräftigte Netanyahu seine Auffassung, dass eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und den arabischen Staaten eine Voraussetzung für einen Frieden mit den Palästinensern darstelle. Er widersprach damit der Auffassung, wonach der israelisch-palästinensische Konflikt eine Aussöhnung mit den arabischen Staaten verhindere. Sobald der Konflikt mit den arabischen Staaten gelöst sei, »werden wir wieder auf die Palästinenser zurückkommen und einen tragfähigen Frieden mit ihnen erreichen«.

Doch in der von ihm geführten neuen Regierung hat Netanyahu sich von Ben-Gvir und anderen Rechtsextremen abhängig gemacht und einer Politik verschrieben, die Israel auch in Hinblick auf die Abwehr militärischer Bedrohungen aus dem Iran schaden könnte. Einem Bericht der Times of Israel zufolge sieht Michael Oren, Israels ehemaliger Botschafter in den USA (2009–2013), aufgrund der Unterdrückung der Proteste im Iran und der iranischen Belieferung der russischen Armee eine wachsende Bereitschaft der USA, gemeinsam mit Israel gegen die Produktion von Drohnen und das iranische Atomprogramm vorzugehen. Doch die angestrebten Justizreformen der rechten israelischen Regierung, die darauf hinauslaufen, die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit und die Gewaltenteilung im Land zu schwächen, machten es der Regierung Joe Bidens schwer, die Demokratische Partei für ein gemeinsames Vorgehen mit Israel gegen den Iran zu gewinnen.