Die Kernfusionsforschung in den USA dient auch militärischen Zwecken

Fragwürdige Zündung

Erstmals soll bei einem Kernfusionsexperiment mehr Energie freigesetzt als aufgewendet worden sein. Das allerdings ist eine Frage der Berechnungsgrundlage, und die Fusionsforschung dient auch militärischen Zwecken.
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»Nennt es den Schuss, der in der ganzen Welt gehört wird.« Mit diesen Worten verkündete das kalifornische Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL) den Erfolg eines Experiments, mit dem es am 5. Dezember vorigen Jahres gelungen war, bei einer laserinduzierten Kernfusion mehr Energie freizusetzen, als die Laserstrahlen enthielten. Die US-amerikanische Energieministerin Jennifer M. Granholm nannte das Ereignis einen »gewaltigen historischen Durchbruch« und »eine der beeindruckendsten wissenschaftlichen Leistungen des 21.Jahrhunderts«. Nun sehe es so aus, fügte sie stolz hinzu, als übernähmen die USA die Führung bei der Kernfusion.

Weltweit schaffte es die Nachricht als wissenschaftliche Sensation auf die Titelseiten, natürlich auch bei den deutschen Medien. Von einer Revolutionierung der Stromproduktion, vom Anbruch einer neuen Ära und von der Aussicht, eines Tages riesige Strommengen erzeugen zu können, war die Rede. Am lautesten jubelte die Frankfurter Rundschau: »He! He! He! He!« hieß ihre Schlagzeile zur Kernfusion. »He« ist das Elementsymbol von Helium, dem Element, das bei der Kernfusion aus Wasserstoff entsteht. Die deutsche Wissenschaftsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) gratulierte dem LLNL überschwänglich. Es ist erstaunlich, wie stark diese Elogen jenen ähneln, die der Kernspaltung und den herkömmlichen Atomkraftwerken vor einem halben Jahrhundert galten – und wie wenig sie dem Anlass gerecht werden.

Politik und Medien haben aus einem wissenschaftlichen Ereignis, das in der Tat beachtlich ist, im Hand­umdrehen ein energie­wirtschaftliches Ereignis gemacht.

In Livermore betreibt die Abteilung National Ignition Facility (NIF, übersetzt: nationale Zündanlage) die stärksten Laser der Welt. Mit ihnen verfolgt das Institut das Konzept einer inertial confinement fusion (ICF, Kernfusion durch Trägheitseinschluss). Dabei wird eine millimetergroße Brennstoffkapsel, in der die Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium in einer Diamantschale eingefroren sind, mit einem gewaltigen Laserblitz beschossen. Dadurch wird die Kapsel so stark erhitzt und zusammenpresst, dass es zu Deuterium-Tritium-Fusionsreaktionen kommt. Die Anlage beansprucht ein Gebäude von der Größe eines kleineren Sportstadions, um eine Hightech-Erbse zu verdampfen. Dagegen wirkt das Märchen von der empfindlichen Prinzessin ziemlich schlicht.

Das Nationallabor führt solche Experimente seit zehn Jahren durch. Der Schuss am 5. Dezember erzielte mit 2,05 Megajoule (MJ) Laserenergie 3,15 MJ Fusionsenergie und damit zum ersten Mal einen Überschuss. Dies bezeichnet man als scientific breakeven, weil die beteiligten Forscher davon ausgehen, dass die entstandenen sehr schnellen Heliumkerne ihrerseits Folgefusionen hervorgerufen haben, ohne dass dem Plasma weitere Energie von außen zugeführt wurde. Demnach hätte der Laserblitz tatsächlich einen selbsttätigen Fusionsprozess in Gang gesetzt, also wie ein Zünder gewirkt.

Das ganze Geschehen spielt sich allerdings in Bruchteilen von Nanosekunden ab – das Sonnenfeuer ist nach einem Zehntel einer milliardstel Sekunde schon wieder erloschen. Dementsprech­end ist der Energie-Output, der sich in der ungewohnten Einheit Megajoule beachtlich anhört, eher bescheiden: 3,15 MJ sind umgerechnet 0,875 Kilowattstunden. Damit ließe sich ein handelsüblicher Staubsauger eine halbe Stunde lang betreiben.

Damit zeigt sich auch schon die Haltlosigkeit der Behauptung, bei dem Jahrhundertexperiment sei mehr Energie freigesetzt worden, als hineingesteckt wurde. Denn mit dem Energiebedarf von Haushaltsgeräten kann man keine Hochleistungslaser betreiben. Vielmehr braucht man dafür eine gigantische Apparatur, die nach Angaben des LLNL »300 oder 400 Megajoule benötigt, um am Ende den Zielimpuls von zwei bis drei Megajoule zu erzeugen«. Der Output beträgt also allenfalls ein Prozent der aufgewendeten Energie, und selbst das ist noch zu hoch kalkuliert. Vakuumpumpen, elektronische Steuerungen, Diagnosegeräte, Klimaanlagen und Computer laufen auch nicht ohne Stromverbrauch. Außerdem muss die Testkammer nach jedem Versuch gründlich von den Spuren der Explosion gereinigt werden – das ist die Voraussetzung für einen nächsten Schuss.

Schließlich kostet die Herstellung einer einzigen haarfeinen Brennstoffkapsel derzeit rund 100 000 US-Dollar. Dabei übernimmt die in Freiburg im Breisgau ansässige Firma Diamond Materials, eine Ausgründung des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Festkörperphysik, wesentliche Verarbeitungsschritte, etwa die Polierung der Oberfläche. So gesehen kann die lasergestützte Technologie der bisher hauptsächlich verfolgten Magnetfusion kaum Konkurrenz machen. Hierbei wird das heiße Plasma, in dem es zu Fusionen kommen soll, durch riesige Magneten zusammengehalten. Doch der erste solche Reaktor, Iter, an dem zur Zeit in Südfrankreich gebaut wird, ist ein multinationales Projekt mit ungewissem Ausgang, an dem auch China und Russland beteiligt sind. Das gilt einigen Strategen nicht mehr als zeitgemäß.

He-he-he? Die Autor:innen, die für die eingangs zitierten Jubelartikel verantwortlich zeichnen, haben sich aufs Glatteis führen lassen. Politik und Medien haben aus einem wissenschaftlichen Ereignis, das in der Tat beachtlich ist, im Handumdrehen ein energietechnisches und energiewirtschaftliches Ereignis gemacht. Warum passiert so etwas? Ungebrochene Faszination des Nuklearen? Sensationslust? Oder einfach ein Denken in geldwerten Vorteilen, das an einer wissenschaftlichen Diskussion nicht interessiert ist?

Der Ursprung der peinlichen Propagandawelle liegt in den Verlautbarungen des LLNL, deutlich zu erkennen in seiner Umformulierung des scientific breakeven als Etappenziel der Versuchsreihe: Nun heißt es scientific energy breakeven. Mit solchen Stichworten, die wissenschaftlich klingen, aber einen Durchbruch in der Energietechnik suggerieren, wurde der Rahmen für die ­öffentliche Kampagne gesetzt.

Zur Entstehungsgeschichte von Livermore schreibt der US-Wissenschaftsjournalist Richard Rhodes in seinem Standardwerk »The Making of the Atomic Bomb« (1986), das Institut sei für den Physiker Edward Teller errichtet worden, der als »Vater der Wasserstoffbombe« gilt. Teller habe sich mit seinem fanatischen Eintreten für immer stärkere Superbomben in Los Alamos, der ursprünglichen und bis heute wichtigsten US-amerikanischen Bombenwerkstatt, isoliert. In einer der zahlreichen Streitigkeiten unter den Nuklearphysikern jener Zeit soll er gesagt haben: »Wenn ich schon nicht mit den Friedensstiftern arbeiten kann, dann arbeite ich mit den Faschisten.« 1952 habe er mit Unterstützung des Pentagon »ein zweites Laboratorium für Waffenentwicklung im Livermore Valley, 80 Kilometer von Berkeley landeinwärts« bekommen.

Dort konnten Teller und sein Stab frei von Schuldgefühlen und Gewissensbissen an der Optimierung von Atomwaffen arbeiten. Ihre Vorschläge wurden damals umgehend in die Tat umgesetzt, sie wurden in Atomtests ausprobiert. Die Sowjetunion und die anderen Nuklearmächte folgten dem Beispiel der USA, die Eskalation der Tests erreichte 1962 ihren Höhepunkt – an jedem zweiten Werktag explodierte irgendwo auf der Welt eine Atombombe. In der Folge kam es dank internationaler Proteste zu einem ersten Kernwaffenteststoppvertrag (1963), der aber unterirdische Atomversuche erlaubte. 1996 war auch damit Schluss, die Vereinten Nationen verabschiedeten einen umfassenden Teststoppvertrag, der zwar immer noch nicht vollständig ratifiziert ist, aber seitdem weitgehend befolgt wird.

Wenig überraschend gehörte Teller zu den entschiedensten Widersachern des Teststopps. Um die Scharfmacher des nuklear-militärischen Komplexes ruhigzustellen, vor allem jedoch um keine Einbußen als Atommacht hinnehmen zu müssen, begann die US-Regierung Bill Clintons das Stockpile Stewardship Program, das bis heute andauert und jährlich etwa vier Milliarden Dollar verschlingt. Die Instandhaltung des Arsenals, wie eine Übersetzung lauten könnte, umfasst Maßnahmen gegen die Alterung der Nuklearwaffen, etwa durch Bereitstellung neuer Plutoniumkerne, und die wissenschaftsbasierte Suche nach Möglichkeiten, ihre Einsatzfähigkeit zu verlängern, sozusagen ein Streckbetrieb.

Die Atomtests wurden durch Simulationen ersetzt, bei denen Nuklearexplosionen im Miniaturmaßstab nachgestellt werden, um mit Hilfe von Computern die reale Funktionsweise der Bomben zu berechnen. In diesem Kontext wurde das Konzept ICF – Kernfusion durch Trägheitseinschluss – entworfen. Dabei handelt es sich um physi­kalische Experimente zur Erforschung der Vorgänge bei der Zündung einer Wasserstoffbombe. Das Livermore In­stitute macht keinen Hehl daraus, dass die Einrichtung seiner National Ignition Facility diesem Zweck dienen soll. Die einzigartige Anlage ermögliche ein »Verständnis der Waffenphysik, einschließlich der Eigenschaften und der Überlebensfähigkeit waffenrelevanter Materialien«, heißt es auf der Website des LLNL. Und nochmal zur Bekräftigung: »Die zentrale Aufgabe der NIF besteht darin, experimentelle Erkenntnisse und Daten für das wissenschaftlich fundierte Stockpile Stewardship Program bereitzustellen.«

Wenn man sie vollständig zur Kenntnis nahm, fehlte in keiner Stellungnahme von US-Offiziellen der Hinweis auf die Verdienste der NIF für das Militär. Energieministerin Granholm äußerte sich auf ihrer Pressekonferenz im Dezember eindeutig bis bedrohlich: Das Experiment »stärkt unsere nationale Sicherheit, weil es einen neuen Bereich für die Aufrechterhaltung einer sicheren und tödlichen nuklearen Abschreckung in einem Zeitalter eröffnet, in dem wir keine Atomtests haben«. So sieht US-Führung in der Nukleartechnologie aus: Die Verschmelzung von zi­viler und militärischer Forschung wird zur Selbstverständlichkeit.

Es ist das Verdienst des indischen Physikers M. V. Ramana, Mitherausgeber des Magazins Bulletin of the Atomic Scientists, auf diese Zusammenhänge hingewiesen zu haben. NIF gehöre zum US-amerikanischen Waffenprogramm und werde niemals Strom erzeugen. Ra­mana schließt seinen Text, wie man ihn kaum besser beenden kann: »Die Welt hatte bisher das Glück, einen Atomkrieg zu vermeiden. Aber dieses Glück wird nicht ewig anhalten. Wir brauchen die Abschaffung von Atomwaffen, aber Programme wie NIF bieten eine Modernisierung der Atomwaffen an, was einfach nur bedeutet, die Zerstörung für immer zu garantieren.«