Die Räumung in Lützerath hat begonnen

Eine andere Welt ist schlammig

Die Zeit für Lützerath und sein kleines Besetzer-Utopia läuft ab. Die Polizei hat mit der Räumung begonnen. Schnell wird das vermutlich nicht gehen, die Behörden haben noch einige Wochen Zeit.

»Hurra, die Welt geht unter!« schallt es aus einem Baumhaus am Rande von Lützerath. Das Titelstück des gleichnamigen Albums von K.I.Z. ist bei klimabewegten Aktivisten in den vergangenen Jahren zum Protestsong Nummer eins geworden. Wenn man von hier auf den Tagebau Garzweiler II sieht, kann man durchaus an Weltuntergang denken. Nur einen Steinwurf von Lützerath frisst sich ein mehr als 200 Meter langer und fast 100 Meter hoher Schaufel­radbagger dem Dorf entgegen. Dahinter ist bis zum Horizont nur die Mondlandschaft des Abbaugebiets zu sehen – eines der größten menschengemachten Löcher Europas.

Während K.I.Z. immer wieder vom Weltuntergang singen, stehen sich Anfang der Woche auf einer schmalen Wiese zwischen Dorf und Abbruchkante Aktivisten und die Polizei gegenüber. Erstere haben aus Ästen eine neue Barrikade errichtet, Letztere wollten das eigentlich verhindern, zogen sich dann aber doch zurück. Keine unnötige Konfrontation vor dem eigentlichen Beginn der Räumung, scheint die Devise zu sein, die von der Polizeiführung an die Hundertschaften rund um ­Lützerath ausgegeben wurde. Das führt immer wieder zu kuriosen Szenen – Polizisten, die nur halbherzige Verfolgungsversuche unternehmen, wenn Aktivisten die frisch aufgestellten Bauzäune entwenden, oder Einsatzkräfte, die einfach nur zuschauen, wenn ein paar Meter von ihnen entfernt Wege aufgerissen und Löcher gegraben werden. So war die Lage Anfang der Woche. Am Dienstag kam es schließlich zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, als diese Barrikaden entfernte und dabei auch gegen Menschenketten und Sitzblockaden vorging. Am Mittwoch, hat die Räumung begonnen.

Schnell wird das vermutlich nicht gehen, aber die Behörden haben noch einige Wochen Zeit. Bis Ende Februar müssten die Bäume in Lützerath gefällt sein, dann ist die Rodungsperiode vorbei. Am 1. März beginnt der Brutschutz für Vögel, dann dürfen bis Ende September keine Bäume mehr gefällt werden. Den Einsatz in Lützerath bezeichnet die Polizei zwar als herausfordernd, im Vergleich zur Räumung des Hambacher Forsts am benachbarten Tagebau oder zur Räumung des Dannenröder Waldes in Hessen dürfte er allerdings leicht sein.

Das Gebiet des Dorfs ist sehr klein und auch mit schwerem Gerät gut zugänglich. Außerdem sind Einsatzkräfte aus dem ganzen Bundesgebiet zur Unterstützung angefordert. Fast alle Bundesländer schicken Polizeikräfte nach Lützerath, allein aus Berlin kommen drei Hundertschaften. Andere Bundesländer schicken Wasserwerfer, berittene Polizisten oder spezialisierte Einsatzkräfte, etwa Höheninterventionsteams, die zur Räumung der Baumhäuser benötigt werden.

Die Besetzer hoffen dennoch darauf, das Dorf verteidigen zu können und den Druck auf die politisch Verantwortlichen so sehr zu erhöhen, dass der Braunkohletagebau vor Lützerath anhält. Die Umsiedlung der Bevölkerung begann schon 2006, seit Jahren wohnt niemand mehr in dem Dorf. Richtig los ging der Protest vor zweieinhalb Jahren, als die ersten Rodungs- und Abrissarbeiten begannen.

Angefangen hat alles mit einer Dauermahnwache am Dorfrand. Es folgte ein Camp auf einer benachbarten Wiese und die ersten Baumhäuser; nach und nach wurden auch die noch stehenden Häuser und Bauernhöfe in Lützerath besetzt – zuletzt im Herbst der Hof von Landwirt Eckardt Heukamp. Seine Familie ist sein langem in Lützerath ansässig. Heukamp wäre gerne geblieben und hat sich juristisch gegen seine Enteignung gewehrt. Nachdem das Oberverwaltungsgericht Münster im vergangenen Jahr gegen ihn entschieden hatte, gab er auf und verkaufte als letzter Anwohner seinen Hof an den Energiekonzern RWE.

Heukamp sympathisiert mit den Besetzern, ist oft bei Protestaktionen anzutreffen. Im vorigen Sommer fuhr er mit seinem Trecker sogar bis nach Bielefeld, um bei einem Parteitag der Grünen gegen die Abbaggerung Lützeraths zu demonstrieren. Für die Grünen ist Lützerath eine schwierige Angelegenheit: Seit ihrem Bestehen hat die Partei in Nordrhein-Westfalen gegen den Braunkohletagebau gekämpft. Nun leitet die Partei das Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene. Im Oktober trafen die beiden Ministerien eine Vereinbarung mit RWE; sie sieht einen auf das Jahr 2030 vorgezogene Beendigung des Braunkohleabbaus in Nordrhein-Westfalen vor, aber auch die Räumung Lützeraths.

Heukamp sticht durch seinen persönlichen Bezug zu Lützerath heraus, die anderen Dorfverteidiger kommen aus verschiedenen Milieus. Da ist zum Beispiel die christliche Initiative »Die Kirche(n) im Dorf lassen«. Dort aktive Menschen haben zur Aufrechterhaltung der Mahnwache in den vergangenen zweieinhalb Jahren stark beigetragen. Und fast immer, wenn die Polizei in und um Lützerath anrückt, stehen sie mit großen Kreuzen in der ersten Reihe, rufen den Polizisten entgegen, dass sie »einhalten« sollen und dass es um die »Bewahrung der Schöpfung« gehe.

Ein Großteil der Lützerath-Besetzer dürfte andere Motive haben, viele kommen aus der linksradikalen Szene. Für einige ist es nicht die erste Klimabesetzung, sie waren schon im »Hambi« oder »Danni« dabei. Lützerath ist das nächste linke Utopia. Anders leben, ohne Konsum und Lohnarbeit, selbst­organisiert sein, das ist ihnen wichtig. Hinzugekommen sind auch viele junge Aktivisten, die über Fridays for Future politisiert wurden, denen die Bewegung aber zu brav und ineffektiv geworden ist. Von Jüngeren ist außerdem öfter zu hören, es sei »nach Corona« wichtig, gemeinsam mit vielen anderen Menschen aktiv zu sein.

Themen gibt es dafür offenbar genug. Nachdem im Frühjahr Sprühereien wie »Free Palestine« und »Von Lützi bis nach Gaza – Yallah Intifada!« aufgetaucht waren, fing eine Diskussion über Antisemitismus in der Linken an. Für ­einen Workshop holte man sich einen Mitarbeiter der Antidiskriminierungsstelle »Sabra NRW«. Der lobte danach auf Facebook: »Von solch einer Bereitschaft zu Diskussion und Selbstreflexion könnte sich so manche gesellschaftliche und politische Gruppe eine gehörige Scheibe abschneiden.«

Eine Konsequenz scheint diese Auseinandersetzung zumindest schon hervorgebracht zu haben: Neben einem der besetzten Häuser gibt es eine kleine Gedenkstätte für die Opfer des Anschlags auf israelische Athleten bei den Olympischen Spielen 1972 in München. Bei allen Lützi-Verteidigern ist das Thema freilich noch nicht angekommen. Auf einem Konzert nach dem jüngsten großen Dorfspaziergang am 8. Januar wurde fleißig eine Palästina-Fahne geschwenkt.