Der Film »Beatrix« folgt einer jungen Frau durch ihren Alltag

Unbekümmert in Unterhose

In ihrem Filmdebüt »Beatrix« folgen Milena Czernovsky und Lilith Kraxner ihrer Hauptfigur dabei, wie sie sich die Zeit vertreibt – und pflegen dabei eine unkonventionelle filmische Herangehensweise.

Beatrix, das ist zugleich der Titel des Films und der Name der Protagonistin, um die sich alles dreht. Sie ist verspielt, frech, wirkt dennoch häufig unsicher und unbeholfen, manchmal griesgrämig oder gelangweilt, und ist dann wieder von Neugierde getrieben. Sie hat sich für einen Sommer in ein leeres Haus zurückgezogen. Dorthin lädt sie sich je nach Laune bekannte oder unbekannte Gäste ein, die sie unsicher beäugt, umgarnt, zu verführen versucht oder verschmäht. Die meiste Zeit ist Beatrix aber allein, telefoniert ab und an mit Bekannten, Freunden oder den Eltern und lässt sich irgendwann schließlich auf sich selbst ein.

Das ist im Grunde der Plot des Spielfilmdebüts der beiden Regisseurinnen Milena Czernovsky und Lilith Kraxner, mit der Performance-Künstlerin Eva Sommer in der Hauptrolle; alle drei sind Mitte 20. Das Resultat ist ein unwiderstehlicher Sommernachtstraum, der ganz auf seine Protagonistin zugeschnitten ist. »Beatrix« handelt von den Irrwegen des Erwachsenwerdens, der Suche nach der eigenen Sexualität, vom Alltag einer jungen Frau. Auf einigen Filmfestivals wie beispielsweise der Diagonale in Graz wurde der österreichische Film schon gezeigt, einen regulären Kinostart hat er noch nicht erlebt.

Die Protagonistin Beatrix geht Dingen nach, die man meist tut, wenn man sich unbeobachtet fühlt.

Bei Beatrix ist es helllichter Tag, die Vögel zwitschern und sie besprenkelt mit einem Gartenschlauch dichtes Gebüsch – der Film zeigt ­seine Protagonistin wiederholt bei alltäglichen Tätigkeiten, dieser Alltag weist aber schnell eklatante Lücken auf. Der Garten gehört zu einem Haus, das nur in Ausschnitten zu sehen ist. Beatrix ist es genauso fremd wie den Zuschauern im Kino, und so wird es gemeinsam erkundet. Über den Ort, die Zeit und auch die Pro­tagonistin wird nicht viel verraten. Diese Leerstellen werfen Fragen auf: Wem gehört dieses Haus eigentlich? Handelt es sich hier um einen Einbruch? Wo sind die Besitzer? Tot? Im Gartenhaus gefesselt? Was macht Beatrix dort und was überhaupt in ihrem Leben?

Wenn sie in Unterwäsche durchs Haus stapft, putzt, vor dem Fern­seher lümmelt, Weintrauben in ihren Bauchnabel kullern lässt oder mit ­ihrem Körper über einen Gymnastikball rutscht, ist das irritierend und selbstverständlich zugleich. Elterliche Autoritäten tauchen im Film so gut wie nicht auf.

Beatrix geht Dingen nach, die man meist tut, wenn man sich unbeobachtet fühlt. So seien es auch persönliche Erfahrungen und Beobachtungen an sich selbst und im sozialen Umfeld gewesen, die den beiden ­Regisseurinnen schließlich den Anstoß zum Schreiben des Films gaben, wie sie im Interview mit der Jungle World erzählen. Dabei sei schon klar gewesen, dass sie mit Eva Sommer zusammenarbeiten wollten. Sie hat »Beatrix« maßgeblich mitgestaltet. Statt einen strikten Rahmen und präzise Anweisungen vorzugeben, verließ sich das Regieduo Czernovsky und Kraxner auf die Im­provisation. »Wir arbeiten generell gerne mit Laien zusammen und es scheint uns ein großer Vorteil, Performance-Künstlerin zu sein.« Das gebe Raum für alles, was abseits der großen, ­theatralen Schauspielergesten stattfindet.

Das Augenmerk der Filmemacherinnen liege vielmehr darauf, »wie kleinste Bewegungen, Gesten und Mimiken wirken«, sagt Lilith Kraxner. Das bedeute, sich ganz auf den Körper der Hauptdarstellerin Eva Sommer zu verlassen – über weite Strecken des Films hinweg wird nicht gesprochen. Sommer selbst sagt, vor der Kamera sei sie fokussierter als bei einer Live-Performance, bei der eine ganz andere Energie vorherrsche: »Beim Filmen ist das Team klein, der Frame ebenso und alle sind sehr konzentriert auf die eine Sache, denn der Film rennt. Man ist da sehr im Jetzt.« Die wunderbare antitechnische Technizität des Kinos: So automatisch, wie die Filmrolle läuft, so ungezwungen und beiläufig bewegt sich Eva Sommer durch die Bilder.

Diese beiläufige Sinnlichkeit des Films ist nicht nur dem kleinen Team und der intimen Atmosphäre geschuldet, sondern hängt auch eng mit dem Material zusammen: Gedreht wurde auf 16-Millimeter-Film von Kodak. Wer analoges Filmmate­rial benutzt, entscheidet sich dazu, die Sicherheit des Digitalen hinter sich zu lassen. Ein begrenzter Vorrat an Zelluloid, keine Videomonitore, auf denen sich die Takes parallel überprüfen lassen – das steigert notwendigerweise den Wagemut des Drehs. »Irritierend ist«, erzählen die Regisseurinnen, »wenn beim Drehen zu viel reflektiert wird.« Ebenso wurde auf den Einsatz von künst­lichem Licht verzichtet. Leichtfüßig setzt sich »Beatrix« über die üblichen Bedingungen und Begrenzungen einer Filmproduktion hinweg.

Auch die Kameraarbeit des Films ist bemerkenswert: Die Einstellungen bleiben oft statisch, werden aber unablässig durch das Spiel der Hauptdarstellerin herausgefordert. Die vielleicht schönste Sequenz von »Beatrix« ist jene, in der die Protagonistin mit einer Freundin erst in die Badewanne steigt, Rotwein trinkt und raucht und danach zu einer R ’n’ B-lastigen Coverversion von Ben E. Kings »Stand by Me« tanzt. Die Einstellung scheint dabei ganz bewusst ein wenig zu hoch angesetzt zu sein, bloß die fliegenden Haarschöpfe der zwei Frauen und ihre ausgestreckten Arme bekommt man zu sehen. Stand by me – das heißt hier, für sich selbst und andere einzustehen und auch, sich die Freiheit zu nehmen, neben sich stehen zu dürfen.

Ist Beatrix ein feministischer Film? Unbedingt, es ist ein furchtloser Film, der das Zeigen nicht problematisiert, sondern als seine stärkste Waffe einsetzt. Der daran erinnert, dass freie Frauen keine trockenen, grauen Seminardiskussionen brauchen, um zu ihrem Recht zu kommen. Es ist das Porträt einer jungen Frau in Rausch, Verliebtheit, Unsicherheit und Ekstase, bei 38 Grad im Schatten. Das darf durchaus als ­Einladung verstanden werden: unbekümmert in Unterhose das zu tun und zu lassen, worauf man gerade Lust hat, sich auszuprobieren, ohne genau zu wissen, wohin das führt, mit wehenden Haaren. Und wenn es dunkel wird, »when the night has come, and the land is dark«, dann ­gehen wir ins Kino.

»Beatrix« (Österreich 2021) wird am 10. und 12. November auf dem Braunschweig International Film Festival gezeigt. Er ist außerdem bei Hoanzl auf DVD erschienen.