In Italien organisiert sich eine Friedensbewegung

Ein unerhörter Schrei nach Frieden

Angelehnt an Papst Franziskus’ Aufruf zu einem sofortigen Waffenstillstand in der Ukraine organisiert sich in Italien eine Friedensbewegung.

Nach dem Wahldebakel bei den Parlamentswahlen im September suchen italienische Linke Orientierung und glauben, ihr Heil in den Friedensappellen von Papst Franziskus zu finden. Das katholische Kirchenoberhaupt sah sich Anfang Oktober aus Sorge vor einem immer weiter eskalierenden Krieg in der Ukraine veranlasst, im traditionellen Sonntagsgebet, dem Angelus, seinen Aufruf zu einem sofortigen Waffenstillstand zu erneuern. Er richtete seinen Appell »in erster Linie« an den Präsidenten der Russischen Föderation, Wladimir Putin, da es an diesem sei, »diese Spirale von Gewalt und Tod zu stoppen«. Zugleich forderte er den ­ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj auf, »für ernsthafte Friedensvorschläge offen zu sein«.

Die päpstliche Ermahnung blieb nicht nur in den Kriegsgebieten ungehört. Sie konnte auch die Konflikte bei den italienischen Linken und Liberalen in dieser Frage nicht lindern, jede Fraktion will Franziskus’ Worte anders verstanden wissen.

Das Netzwerk Frieden und Abrüstung organisiert in vielen Städten Kundgebungen und Lichter­ketten, um für eine zentrale Friedens­demonstration am 5. November in Rom zu werben.

Giuseppe Conte, der Vorsitzende des Movimento 5 Stelle (M5S), nutzte die Botschaft des Papstes, um im Interview mit der katholischen Tageszeitung ­Avvenire gegen »die Obsession eines hypothetischen militärischen Siegs über Russland« und die Anpassung der italienisch-europäischen Politik an die »angloamerikanische Strategie« zu wettern. Wie bereits im Wahlkampf hatte er weitere Waffenlieferungen an die Ukraine abgelehnt, weil sie nur zur militärischen Eskalation beitrügen.

Der Partito Democratico (PD) nutzte Contes Interview als Anlass, die »Zwiespältigkeit« des M5S hervorzuheben. Conte präsentiere sich als Friedenskraft, tatsächlich aber bediene er antiameri­kanische Ressentiments der radikalen Linken und scheue davor zurück, klar zu benennen, wer für den Krieg verantwortlich ist. Führende Funktionäre des PD beteiligten sich daher am Donnerstag vergangener Woche an einem Sit-in vor der russischen Botschaft in Rom, zu dem vor allem einige parteilose Intellektuelle aufgerufen hatten. Unter dem Motto »Kein Frieden ohne Wahrheit. Keine Wahrheit ohne Freiheit« verband die Initiative ihre Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand mit der nach einem vollständigen Rückzug der russischen Truppen aus der Ukraine. Zudem wurden Unterschriften gesammelt, die der Forderung nach einer Anklage Putins vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag Nachdruck verleihen sollen.

Carlo Calenda, führendes Mitglied der kleinen liberalen Partei Azione, warf Conte vor, nicht für den Frieden, sondern für die »Kapitulation der Ukraine« zu mobilisieren. Jedes Votum gegen weitere Waffenlieferungen an die Ukraine sei gleichbedeutend mit einer Aufforderung an die ukrainische Regierung, sich zu ergeben. Jeder Pazifismus, der nicht zwischen den beiden Kriegsparteien unterscheide, sei »unmoralisch«.

Der Vorwurf richtet sich an den M5S und die radikale Linke, doch die sehen sich durch die moralische Autorität, die sie dem Papst zuerkennen, in ihrer »unparteiischen« Friedensforderung legitimiert. Außerdem zeigen Analysen zu der sinkenden Wahlbeteiligung, dass sich linke Basisbewegungen weniger denn je von Parteien beeinflussen lassen.

Für das kommende Wochenende hat die Laienbewegung Sant’Egidio, die 1968 als linke Basisströmung katholischer Studenten und Schüler entstanden war, unter dem Titel »Schrei nach Frieden« zu ihrem jährlichen Internationalen Friedenstreffen der Weltreligionen nach Rom eingeladen. Je bedrohlicher die Weltlage werde, desto dringlicher müsse nach einer »Architektur des Dialogs« gesucht werden, so der Aufruf.

Das Netzwerk Frieden und Abrüstung organisiert im Laufe dieser Woche in zahlreichen Städten Kundgebungen und Lichterketten, um für eine zentrale Friedensdemonstration zu werben, die für den 5. November in Rom geplant ist. Über 600 lokale Gruppierungen haben den Aufruf »Europe for Peace« bereits unterzeichnet: Gewerkschaften, Kulturvereinigungen, Gruppen von Schülerinnen und Schülern, Studierendenorganisationen und zahlreiche Hilfsorganisationen. Da es sich um ein Bündnis von katholischen und konfessionslosen Gruppen handelt, ­zitiert der Aufruf nicht nur Papst Franziskus’ Waffenstillstandsforderung, sondern erinnert auch daran, dass die italienische Verfassung den Krieg als Mittel zur Lösung von internationalen Streitigkeiten zurückweist. Gruppierungen, die mit ukrainischen Gemeinden in Italien zusammenarbeiten oder mit Hilfskonvois in den Kriegsgebieten unterwegs sind, möchten mit der Demonstration auch ukrainische pazifistische Stimmen stärken, die wegen des russischen Angriffskriegs kaum Gehör fänden.

Dabei geht es »Europe for Peace« nicht allein um den Krieg in der Ukraine. Mit der Aufforderung an den Generalsekretär der Vereinten Nationen, eine internationale Friedenskonferenz einzuberufen, verbinden sich Forderungen nach Abschaffung aller Atomwaffen und Kürzungen der Militärausgaben zugunsten von sozial- und klimapolitischen Investitionsprogrammen.

Umfragen zufolge ist eine Mehrheit der italienischen Bevölkerung für diplomatische Bemühungen und gegen die uneingeschränkte Unterstützung der ukrainischen Armee. Auch die Zustimmung zur internationalen Sanktionspolitik gegen Russland nimmt ab. Begründungen für die jeweiligen Einstellungen wurden nicht erfragt.