Der Bundespolizei wird in Sachsen racial profiling vorgeworfen

Willkommen in Sachsen

Die Bundespolizei kontrolliert derzeit jeden Zug, der von Tschechien aus in Dresden ankommt – und soll dabei gezielt nichtweiße Personen abführen.

Auf dem Gleis 3 des Dresdner Hauptbahnhofs rollt alle zwei Stunden der Euro-City aus Prag zur Weiterfahrt nach Berlin und Hamburg ein. Seit dem 24. August wird die Einfahrt dieser Züge jedoch von einem immer gleichen Schauspiel begleitet: Beamte der Bundespolizei führen Gruppen meist ­junger Menschen, teilweise auch Minderjährige, gegen ihren Willen aus dem Zug ab.

Die Bundestagsabgeordnete Clara Bünger und die Europaparlament­sabgeordnete Cornelia Ernst (beide Linkspartei) haben die Bundespolizei bei ihren Kontrollen begleitet. Sie beobachteten, dass ausschließlich nichtweiße Personen kontrolliert worden seien. Im Gespräch mit der Jungle World bestätigt Bünger, dass die Hautfarbe bei den von ihr beobachteten Kontrollen das ausschlaggebende Element der Auswahl dargestellt habe, und stellt fest: »Diese Polizeipraxis ist diskriminierend und darüber hinaus grundrechtswidrig.« Auch andere Beobachterinnen bestätigen diese Wahrnehmung; Vertreter des Sächsischen Flüchtlingsrats beispielsweise sprachen von racial profiling.

Die Bundespolizeidirektion Pirna sieht sich nicht zum ersten Mal mit dem Vorwurf des racial profiling konfrontiert.

Aus jedem der einfahrenden Züge wird normalerweise eine zweistellige Zahl von Menschen abgeführt. Diese werden von der Bundespolizei in die zweite Etage des Bahnhofsgebäudes gebracht, wo sich bis 1989 der größte Intershop der Stadt befand. Dort ist eine Kontrollstraße aufgebaut. Die Papiere der abgeführten Personen werden überprüft, einige von ihnen werden direkt im Bahnhofsgebäude erkennungsdienstlich behandelt. Anschließend werden einige Personen zur Aufnahme weiterer biometrischer Daten und zur Befragung in andere Einrichtungen gebracht.

Die Deutsche Bahn kooperiert dabei offenbar mit der Bundespolizei. Um die Kontrollen zu optimieren, sollen die Züge aus Prag ab sofort auf das Gleis 12 umgeleitet werden. Die von der Bundespolizei ausgewählten Personen müssen dann nicht mehr durch den Bahnhof eskortiert werden, sondern können direkt in die danebenliegende Kontrollstraße verbracht werden. Die Kontrollen sollen noch mehrere Wochen weiterlaufen.

Die Bundespolizei widerspricht dem Vorwurf des racial profiling vehement. Der Jungle World sagt Marcel Pretzsch von der Bundespolizeidirektion Pirna, es würden »immer wieder falsche Vorwürfe erhoben, die grenzpolizeilichen Maßnahmen der Bundespolizei in Dresden würden mittels diskriminierender Methoden durchgeführt«. Tatsächlich handele es sich um Einreisekontrollen, da alle Staatsbürgerinnen, egal welcher Herkunft, bei der Einreise ­einen gültigen Pass und gegebenenfalls einen Aufenthaltstitel mitführen müssen. Bei den Personen, die die Polizei aus dem Zug abführt, handelt es sich demnach um Menschen, bei denen der Anfangsverdacht einer unerlaubten Einreise nach Deutschland bestehe.

Ob die Polizei bei ihren Kontrollen tatsächlich alle Reisenden unabhängig von ihrer Hautfarbe kontrolliert, beantwortet die Bundespolizei der Jungle World allerdings nicht. In einer Medieninformation erklärt Dieter Romann, der Präsident des Bundespolizeipräsidiums: »Unerlaubt einreisen können grundsätzlich nur Drittstaatsangehörige, Freizügigkeitsberechtigte können grundsätzlich nicht und deutsche Staatsangehörige können überhaupt nicht unerlaubt einreisen.« Ob das ­bedeutet, dass Personen, die nach Einschätzung der eingesetzten Bundes­polizistinnen »deutsch aussehen«, gar nicht erst überprüft werden, bleibt in der Erklärung der Bundespolizei offen.

Würden tatsächlich, wie Clara Bünger behauptet, ausschließlich nichtweiße Reisende kontrolliert, wäre das ein unzulässiges racial profiling. Zu einer anderen Einschätzung kam der Bundestagsabgeordnete Kassem Taher Saleh (Bündnis 90/Grüne), der sich am 30. August zur Begleitung einer Kontrolle der Bundespolizei angemeldet ­hatte. Dabei seien »verschiedene Menschen« kontrolliert worden, berichtete er auf Twitter.

Die Bundespolizeidirektion Pirna sieht sich nicht zum ersten Mal mit dem Vorwurf des racial profiling konfrontiert. Der Leipziger Filmregisseur Kanwal Sethi hatte deswegen bereits ab 2014 drei Jahre lang eine juristische Auseinandersetzung geführt. Am Ende entschied das Gericht, dass die Kontrolle Sethis durch die Bundespolizei rechtswidrig war. Es sollte nicht der letzte Fall dieser Art bleiben. Immer wieder berichteten Beobachterinnen in den vergangenen Jahren, dass in und vor den Bahnhöfen in Sachsen von der Bundespolizei nur diejenigen kontrolliert werden, die nichtweiß sind. Erst im Februar 2022 entschied das Verwaltungsgericht Dresden zugunsten eines aus Guinea stammenden Mannes und erklärte eine von der Bundespolizei­direktion Pirna vorgenommene Personenkontrolle für unzulässig. Einer der Beamten hatte vor Gericht zugegeben, dass die Kontrolle aufgrund der Hautfarbe erfolgt war.

Beschwerden haben jedoch nur selten Konsequenzen, weil Polizisten die Hautfarbe vor Gericht selten als das Kriterium für ihr Vorgehen nennen. Für Betroffene von Rassismus können solche Kontrollen eine dauerhafte Diskriminierung und Belastung im Alltag darstellen. Rund 30 Menschen ­demonstrierten am Samstag unter dem Motto »Racial Profiling stoppen! Sichere Fluchtwege schaffen!« gegen das Vorgehen der Bundespolizei auf dem Hauptbahnhof in Dresden. Wie Bünger und Ernst fordern sie, die Kontrollen in ihrer bisherigen Form sofort zu beenden.