Die Christopher-Street-Day-Umzüge sind zu brav, es lohnt sich aber weiterhin, daran ­teilzunehmen

Bunte Fahnen

Die Christopher-Street-Day-Umzüge zeigten, dass öffentliche Institutionen die Forderung nach Gleichberechtigung unterstützen, aber auch, wie entpolitisiert die Umzüge mittlerweile sind.
Kolumne Von

Es ist August, die Christopher-Street-Day-Umzüge sind durch große und ein paar kleinere Städte paradiert, und auch ich bin mit Freundinnen, Sekt und großenteils sehr jungen Menschen um den Leipziger Innenstadtring gezogen.

Seit Jahren verändert sich der Umgang mit den Regenbogenfahnen. Sie flattern hauptsächlich von den Trucks und Bühnen sowie den Ständen von DHL und Rewe, weniger in den Händen der Teilnehmerinnen. Vielmehr liegen sie um deren Schultern wie Hogwarts-Mäntelchen. Die Fahne wird zum persönlichen Accessoire, geschmückt mit Unterschriften von Freundinnen. Entsprechend wird sie individualisiert: Auf jedem CSD sehe ich neue Kombinationen von Farben und Zeichen, mittlerweile kann ich die Asexuellen- von der Nichtbinären-Flagge unterscheiden.

Einmal machte ich mir Sorgen um ein Mädchen. Sie saß allein unter ihrer Pansexuellen-Fahne auf einer Bierbank, aber dann kamen ihre Eltern mit Limo und Bratwürsten. Frieden gilt, so scheint es, nicht nur mit den Familien als möglich und erstrebenswert, sondern auch mit staatlichen und religiösen Institutionen. Nur so ist es zu erklären, dass ein Vertreter der Polizei nicht ausgebuht wird, als er sein Grußwort mit der Mahnung beendet, zu illegalen Partys im Park sollten sich die Homosexuellen aber nicht hinreißen lassen. Auch die städtische Auflage, beim Vorbeiziehen an einer katholischen Kirche sei die Musik runterzudrehen, bleibt fast ohne Widerspruch. Als wären katholische Kirche und Polizei nicht in Geschichte und Gegenwart homofeindliche Einrichtungen, die mindestens ein paar ordentliche Bässe verdient hätten.

Leute wickeln sich in ihre Fahne wie in eine zweite Haut, die vor der kalten Welt schützt – statt sie der homo-, bi- und transfeindlichen Welt kämpferisch entgegenzurecken. Die grundlegenden Forderungen sind dieselben wie beim Stonewall-Aufstand 1969, aber die Form hat sich gewandelt. Der CSD ist ein Treffpunkt für Leute, die sich nicht als cis und hetero verstehen und laut Eigenbeschilderung offen für »free hugs« sind. Später winkt eine Schicht bei Rewe oder ein Besuch bei Oma, ohne die eigene Sexualität verstecken zu müssen. Im globalen Vergleich ist das sehr viel, tröste ich mich.

Die Kritik an der Entpolitisierung und Kommerzialisierung der CSDs ist eine olle Kamelle – aber beides gehört zum aktuellen Stand der Bewegung. Dass sich die radikale Linke in Städten wie Berlin und Leipzig aus der CSD-Orga­nisation zurückgezogen hat, scheint mir ein strategischer Fehler zu sein. Die Leute sind auf der Straße und wollen etwas.

Ich beobachte eine jugendliche Transfrau, die es sich vielleicht nicht jeden Tag erlauben kann, im Rock und mit dem Button »Pronomen: sie/ihr« auf die Straße zu gehen. Zu Helene Fischers Hit »Regenbogenfarben« nimmt sie ihre blau-weiß-rosa gestreifte Fahne von den Schultern und hält sie in den Himmel. Berührt hebe ich mein Becherchen. Wenn die Bewegung heute so aussieht, ist das eben die politische Realität, mit der die Linke arbeiten muss.