Die australische Politikerin ­Lidia Alma Thorpe und ihre Vereidigung

Elisabeth II. als Kolonisatorin

Porträt Von

Am Montag voriger Woche sorgte ein Vorfall im australischen Senat für Aufsehen. Lidia Alma Thorpe, die für die Grünen im Oberhaus sitzt, wurde bei der Vereidigung der Parlamentarier aufgefordert, den Eid zu wiederholen, nachdem sie diesen zuvor abgewandelt und Königin Elisabeth II. als Kolonisatorin bezeichnet hatte. Australien gehört zum Commonwealth, laut Verfassung ist die Monarchin des Vereinigten Königreichs das Staatsoberhaupt und muss als solches bei der Vereidigung anerkannt werden. Vor fünf Jahren wurde die Politikerin vom Stamm der Gunditjmara als erste Vertreterin der Aborigines ins Unterhaus des Staatsparlaments von Victoria gewählt und fällt seitdem immer wieder mit Protestaktionen und kontroversen Aussagen auf. Im Juli beschrieb sie Australien als »Kolonialprojekt« und sagte, dass sie sich von der australischen Flagge nicht repräsentiert fühle.

Thorpe wurde 1973 in einem Vorort von Melbourne geboren und wuchs in ärmlichen Verhältnissen als Tochter einer Aborigine-Aktivistin auf. Als 14jährige verließ sie die Schule und wurde mit 17 Jahren Mutter, schaffte es aber als Alleinerziehende, ein Diplom für öffentliche Verwaltung an der Universität Swinburne zu erwerben und als Politikerin Karriere zu machen. Sie bezeichnet sich als Menschenrechts- und Klimaaktivistin und tritt vor allem für die Rechte der australischen Indigenen sowie die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte ein.

Zwar erhielten Aborigines 1992 offiziell alle Rechte, doch nach wie vor grassiert der Rassismus gegen sie. Von 1991 bis Juni 2020 kamen mindestens 437 Aborigines in Polizeigewahrsam ums Leben, was auch damit zusammenhängt, dass sie überproportional häufig inhaftiert werden, oft aufgrund kleinerer Delikte. Als Thorpe 2020 als erste Aborigine in den Senat gewählt wurde, führte sie einen Holzstock mit sich, dessen 441 Kerben an die in Haft ums Leben Gekommenen erinnern sollten. Sie will »die Nation erneuern« und den sogenannten First Nation People eine starke Stimme geben. Inwieweit es da hilft, die heutige Königin als Kolonisatorin zu brandmarken, sei dahingestellt. Eine Diskussion über den Rassismus der australischen Gesellschaft auszulösen, ist Thorpe jedoch gelungen.