Die Gasumlage und die russischen Gasgeschäfte deutscher Konzerne

Kapital trifft Schurkenstaat

Kaum ein deutscher Konzern hat mehr vom russischen Gasgeschäft profitiert als BASF. Dieses Jahr rechnet das Unternehmen mit Milliardengewinnen. Unterdessen plant die Bundesregierung, ­steigende Gaspreise auf Privathaushalte abzuwälzen.

Viele machen sich derzeit Sorgen wegen der hohen Heizkosten, die diesen Winter auf sie zukommen werden. Doch nicht für jeden sind die hohen Energiepreise ein Grund, pessimistisch in die Zukunft zu schauen. RWE zum Beispiel hat kürzlich seine Gewinnerwartung für das laufende Jahr stark angehoben. Im ersten Halbjahr lief es ausgezeichnet, nun rechnet der Energiekonzern mit einem Jahresgewinn von fünf bis 5,5 Milliarden Euro.

Ähnlich sieht es bei anderen großen europäischen Energiekonzernen aus. Einige europäische Länder haben deshalb eine Übergewinnsteuer eingeführt, um diese Krisenprofite wenigstens zum Teil abzuschöpfen. Doch hierzulande wird es so eine Steuer nicht geben, das teilte kürzlich ein Sprecher des Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD) mit. ­Politikerinnen der SPD und der Grünen haben dies zwar gefordert, doch offenbar können oder wollen sie sich nicht gegen den kleinsten Koalitionspartner, die FDP, durchsetzen.

Stattdessen hat Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) eine Gasumlage angekündigt. Die Maßnahme soll es Energieunternehmen ab dem 1. Oktober ermöglichen, die stark gestiegenen Gaspreise an Privathaushalte weiterzugeben. Noch steht nicht fest, in welchem Umfang das möglich sein wird, Habeck sprach nur von »einigen Hundert Euro pro Haushalt«. Begründet wird die Maßnahme damit, dass Energieunternehmen derzeit enorme Gaspreise zahlen müssen, die sie wegen laufender Verträge noch nicht an ihre Kunden weitergeben können.

Tatsächlich profitieren Energieunternehmen nur dann von den hohen Rohstoffpreisen, wenn sie gewissermaßen an der Quelle sitzen und das Öl oder das Gas selbst fördern. Wer aber derzeit viel Gas zu Marktpreisen nachkaufen muss, kann durchaus in Bedrängnis geraten – so etwa der Konzern Uniper, der nun von der Bundesregierung mit einer Investition von knapp 15 Milliarden Euro gerettet werden soll, wobei der Staat 30 Prozent der Aktien übernimmt. Man wolle genau ­darauf achten, dass auch tatsächlich nur solche Mehrbeschaffungskosten durch die Gasumlage gedeckt werden, sagte das Bundesministerium für Wirtschaft dem ZDF. So soll wohl verhindert werden, dass Krisenprofiteure wie RWE durch die Gasumlage noch zusätzliche Gewinne einfahren.

BASF ist der größte Gasverbraucher Deutschlands. Allein am Standort Ludwigshafen verbraucht der Konzern so viel Gas wie die Schweiz.

Doch selbst wenn das wirklich klappen sollte: Die Gasumlage ist ein In­strument, um die Kosten einer gescheiterten Geschäftsstrategie deutscher Konzerne auf Verbraucher abzuwälzen. Denn es waren deutsche Unternehmen wie etwa der gigantische Chemiekonzern BASF, die seit langem die ­Abhängigkeit von russischem Gas forciert haben – und die jahrelang und sogar bis heute sehr gut damit verdient haben.

Die Geschäftsbeziehungen zwischen BASF und Gazprom gehen bis in die frühen neunziger Jahre zurück. Die deutsche Firma half Gazprom bei der Gasförderung – in letzter Zeit etwa durch Fracking-Technologie – und beteiligte sich am Bau der Pipeline Nord Stream 1. Im Gegenzug konnte BASF gemeinsam mit Gazprom große Mengen Gas in Europa vermarkten. Davon profitierte nicht nur der Chemiekonzern BASF, der als größter Gasverbraucher Deutschlands allein an seinem Standort Ludwigshafen etwa so viel Gas verbraucht wie die Schweiz, sondern die gesamte deutsche Industrie. »Gazprom hat Deutschland besonders gute ­Gaspreise angeboten – selbst heute bekommt Deutschland russisches Gas zu einem Vorzugspreis«, sagte im April der französische Gasmarktexperte Thierry Bros dem ZDF.

Sogar noch in der derzeitigen Gaskrise profitiert BASF von diesen Wirtschaftsbeziehungen. Die BASF-Tochterfirma Wintershall Dea verkündete für das zweite Quartal 2022 einen Gewinn von 608 Millionen Euro. Vergangenes Jahr waren es im selben Zeitraum nur 168 Millionen Euro gewesen. Grund waren die hohen Energiepreise, denn Wintershall Dea verdient sein Geld vor allem mit der Förderung von Öl und Gas – und im ersten Halbjahr dieses Jahres fand etwa 51 Prozent der Gesamtproduktion von Wintershall Dea in Russland statt, in Kooperation mit dem Staatskonzern ­Gazprom.

2015 erhielt Wintershall in einem Tauschgeschäft Anteile einiger sibirischer Gasfelder von Gazprom. Im ­Gegenzug übergab Wintershall gleichwertige Teile des eigenen Unternehmens an Gazprom. Dazu gehörte Gasinfrastruktur in Deutschland, unter anderem der größte Gasspeicher Deutschlands im niedersächsischen Rehden, der Anfang dieses Jahres praktisch ganz leerstand.

2019 fusionierte Wintershall mit der Firma Dea, die der Investmentfirma Letter One gehört. Hinter Letter One wiederum steht die Alfa Group um die russischen Multimilliardäre Michail Fridman und Pjotr Awen, die seit Februar dieses Jahres auf der Sanktionsliste der EU stehen. Heute ­gehören Letter One 27,3 Prozent von Wintershall Dea; der Rest gehört BASF.

Das profitable Geschäft mit Gazprom will Wintershall Dea auch zukünftig nicht aufgeben. Er sehe »keinen Grund dafür«, sagte kürzlich der Vorstandsvorsitzende Mario Mehren. Schon seine Beteiligung am Gazprom-Projekt Nord Stream 2 hat der Konzern nur widerwillig abgeschrieben. Wintershall Dea hatte in Form eines Kredits 730 Millionen Euro in Nord Stream 2 investiert. Als die Bundesregierung am ersten Tag der russischen Invasion entschied, dass die Pipeline fürs erste nicht in Betrieb gehen kann, forderte Wintershall Dea Kompensationszahlungen. Von dieser Forderung war freilich später nichts mehr zu hören.

Das vorläufige Scheitern von Nord Stream 2 hat BASF zwar ein wenig die Bilanz vermiest, aber ansonsten läuft es ausgezeichnet für Deutschlands größten Chemiekonzern – und das nicht zuletzt wegen der Zusammenarbeit mit Gazprom. Im zweiten Quartal verzeichnete BASF einen Gewinn von 2,34 Milliarden Euro, deutlich mehr als im Vorjahr. Der Anstieg »resultierte insbesondere aus dem deutlich höheren Beteiligungsergebnis von Wintershall Dea«, so BASF.

Angesichts dieser fetten Profite wundert es nicht, dass BASF sich vehement gegen ein mögliches Gasembargo gegen Russland eingesetzt hatte, als das hierzulande noch debattiert wurde. Ein solcher Boykott könnte »die deutsche Volkswirtschaft in ihre schwerste Krise seit Ende des Zweiten Weltkriegs bringen«, sagte der Vorstandsvorsitzende Martin Brudermüller im April dem Focus. »Wollen wir sehenden Auges unsere gesamte Volkswirtschaft zerstören? Das, was wir über Jahrzehnte hinweg aufgebaut haben?«

Solche Horrorszenarien werden auch heute noch gerne an die Wand gemalt, um zu fordern, dass sich Deutschland auf Kosten der Ukraine mit Russland verständige. Kürzlich warnte der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer im Interview mit der Zeit: »Unser gesamtes Wirtschaftssystem droht zu kollabieren.« Man müsse sich eingestehen, dass »wir in den nächsten fünf Jahren nicht auf russisches Gas werden verzichten können. Und wenn das so ist, müssen wir die notwendigen Konsequenzen ziehen.« Auch in der Linkspartei gibt es solche Forderungen, etwa von Sahra Wagenknecht und dem Vorsitzenden des Energieausschusses im Bundestag, Klaus Ernst.

Wagenknecht bedient das Ressentiment, während die Industrie handfestes Interesse daran hegt, die Auswirkungen der Gasknappheit in den düstersten Farben zu malen. In nächster Zeit stehen einige politische Entscheidungen darüber an, wer wie viel Gas zu welchen Preisen erhält. Dabei stehen die einzelnen Unternehmen und Branchen in Konkurrenz zueinander, aber auch zu den Privatlverbrauchern, die mit Gas ihre Wohnung beheizen müssen. Wirtschaftsminister Habeck schlug bereits vor, die durch EU-Recht vorgesehene Bevorzugung von Privathaushalten zugunsten der Industrie aufzuheben. So weit scheint man erst einmal nicht gehen zu wollen, aber die geplante Gas­umlage hat auch den Zweck, Druck auf die Verbraucher auszuüben, damit sie Gas beim Heizen sparen.

Schreckensszenarien, wie sie Indus­trievertreter wie Brudermüller seit Monaten verbreiten, stützen solche politischen Maßnahmen. Es gibt durchaus Gründe, sie mit einer gewissen Skepsis zu betrachten. BASF zum Beispiel hat kürzlich seine Gewinnerwartung trotz der gestiegenen Gaspreise angehoben. Im vergangenen Quartal machte der Konzern 2,34 Milliarden Euro Gewinn, im Gesamtjahr sollen es nun 6,8 bis 7,2 Milliarden Euro werden, deutlich mehr als im Vorjahr. Der Konzern geht offenbar davon aus, die höheren Energiepreise an seine Kunden weitergeben zu können. Auch kann BASF große Mengen Gas einsparen, zum Beispiel indem er den wichtigen Grundstoff Ammoniak statt in Deutschland im amerikanischen BASF-Werk herstellt. Eigenen Angaben zufolge könnte BASF im Notfall seinen Gasverbrauch um die Hälfte reduzieren, ohne seinen Hauptstandort abschalten zu müssen.

Falls Russland weiterhin zwanzig Prozent der maximalen Lieferkapazitäten liefert, wird das Gas hierzulande diesen Winter wohl nicht einmal knapp werden – zu dem Ergebnis kamen Ende Juli mehrere deutsche Wirtschaftsinstitute in einer gemeinsamen Berechnung. Sollte Russland die Liefermengen weiter reduzieren, müssten entweder deutsche Unternehmen Gas einsparen und würden dadurch Marktanteile verlieren – oder private Haushalte müssten ihren Verbrauch reduzieren. Für Letzteres scheint die Bundesregierung mit der Gasumlage sorgen zu wollen. Schön wär’s, könnte man sagen, wenn man für die Freiheit frieren könnte – im Endeffekt friert man wohl eher für BASF.