Hat Miguel de Cervantes in ­seinen Don-Quijote-Romanen bereits die postfaktischen Zeiten vorweggenommen?

Kampf der Windmühlen

Verwirrte Wirklichkeit oder verwirrt in der Wirklichkeit? Hat Miguel de Cervantes in seinen Don-Quijote-Romanen, die 1605 und 1615 erschienen, bereits die postfaktischen Zeiten beschrieben, in denen jeder jeden auf Instagram überzeugen möchte, mit Informationen, die er von Instagram hat? Über Ritterlichkeit und Mitläufertum zwischen Eskapismus und Fake News.

Don Quijote und Sancho Panza. Kennste, kennste. Der Ritter von der traurigen Gestalt, der Kampf gegen Windmühlen, »like the circles that you find in the windmills of your mind!« Wir kennen das, logo. Kleiner Landadliger, von romantisierenden Romanen verrückt gemacht, sehnt sich in die Ritterzeit zurück, will stolz sein, edel, prächtig. Aber es ist, wie es ist, er ist nur ein kleiner Landadliger, die Dark Ages sind over, nix Burgfräulein, nix Lanzenkampf. Doch der will nicht sein, was er sein soll, sein Wille ist stärker, der Don erlebt sich daher plötzlich als Ritter, durchlebt einige Abenteuer mit eingebildeten Gegnern, wird verprügelt und schließlich nach Hause gebracht.

Dort zünden Wohlgesinnte seine Romane an, Kampf den schönen Illusionen, es muss alles sein, wie’s auch eigentlich ist. Die Bücherverbrennung als Reinigungsritual zur Läuterung des Landadligen. Klappt aber nicht.

Denn der Ritter ist nicht zu retten, reitet erneut, diesmal begleitet von Sancho Panza, einem gewitzten Bauern, der als Schildknappe dient, kennste, kennste, alle haben den einen Film gesehen oder den anderen. Dann die Windmühlen, Riesen sind’s, sind’s doch nicht, der Ritter scheitert, aber Panza lacht nicht, er erwartet eine Belohnung, die lässt ihn schweigen.

Ich kenn’ mich auch aus, werd’ jetzt Frontverlaufsexperte, was schnell geht, da ich ja schon Experte bin, und zwar in der Virologie, kennste dies, kennste das.

Zehn Jahre nach dem ersten Band veröffentlicht Cervantes 1615 einen zweiten Teil des Quijote-Romans. Darin geht’s nun metafiktional zur Sache. Die Buchfiguren haben den ersten Band gelesen, wissen, wer der ritternde Irre ist, lassen ihn zu ihrem Amüsement herumtollen und Panza wird entlohnt, wird zum Statthalter über eine Insel, doch er wird seiner neuen Rolle schnell überdrüssig und beschließt, wieder dem Dussel zu dienen. Er sucht, sagen wir heute, »eine andere Herausforderung«, kennen wir alle, das Gefühl. Doch der Ritter wird auch in diesem Band wieder nach Hause gebracht, da befällt ihn ein Fieber, erneut soll Hitze reinigen, klappt auch, Don Quijote erkennt seinen Irrtum, Reue, »Sorry« sagen, kennwa alle, nicht nur in der Politik. Der Nebeneffekt ist leider, dass der Herr seinem Fieber erliegt. Na, wenigstens gereinigt. Buch aus, ­Erkenntnis gewonnen, was haben wir ­gelacht.

Doch so, wie’s im Buch ist, ist’s im richtigen Leben, das Metafiktionale mal andersrum. Alle bleiben verrückt, alle verlaufen sich in sich selbst, »like a tunnel that you follow to a tunnel of its own«. Kafka weiß Rat, Kafka weiß immer Rat. Panza »gelang es im Laufe der Jahre, durch Beistellung einer Menge Ritter- und Räuberromane in den Abend- und Nachtstunden seinen Teufel, dem er später den Namen Don Quixote gab, derart von sich abzulenken, dass dieser dann haltlos die verrücktesten Taten aufführte, die aber mangels eines vorbestimmten Gegenstandes, der eben Sancho Pansa hätte sein sollen, niemandem schadeten.« Sagt Kafka, die Wahrheit über den Knappen verkündend: »Sancho Pansa, ein freier Mann, folgte gleichmütig, vielleicht aus einem gewissen Verantwortlichkeitsgefühl dem Don Quixote auf seinen Zügen und hatte davon eine große und nützliche Unterhaltung bis an sein Ende.« Kennste, kennste, von sich ablenken, den Herrn verwirren, der alte Traum der Angestellten, trotzdem immer bei allem mitmachen, logo, Belohnung winkt.

Und wie ist das nun mit den Windmühlen, stehen wir nicht alle davor? Schau dir die abscheulichen Verbrechen von Butscha an, ist es vielleicht nicht mehr so abwegig, sexuelle Perversionen im Kreml zu suchen oder anzunehmen, dass in einer Pizzeria ohne Keller ein Keller ist, in dem Hillary Clinton, Barack Obama und Lady Gaga sich an Kindern vergehen? Warum auch nicht, steht ja im Internet, muss also was dran sein. Nur wie kommt der Keller zu einer Pizzeria ohne Keller, was ist da los? Kennste dich nicht mehr aus, dreht sich alles, »like a wheel within a wheel«.

Bist du nicht mehr du selbst. Setz lieber erst mal die Maske ab im Zugabteil, dir doch egal, was der Schaffner fürchtet, der ja auch nur ein Diener ist, aber nicht deiner, du bist Mario Barth. Der filmt sich gleich selbst fürs Netz dabei, haha, wenn der Büttel den Star rauswerfen lässt, das Private ist nämlich politisch, wenn du bei RTL bist, das muss mit Milliarden Followern geteilt sein. Doch der Handyfilm kommt schlecht an, weil der Star damit angibt, dass er ein Star ist, kapierste echt nicht, wir lieben ihn doch alle, er liebt uns doch alle, und jetzt wendet sich das Glück gegen ihn, jetzt hat der plötzlich so’n Barth, der Unsupermario.

Und der Schaffner Sancho Panza ist ebenso angeschmiert, weil, es ist ja auch heftig, eine öde Spaßkanone rauszuwerfen, ist das nicht irgendwie auch Gewalt? Und freut sich da wer klammheimlich? Freut wer sich etwa, weil Gewalt ausgespielt wird, und man kann zuschauen, ganz von sich abgelenkt, während andere haltlos die verrücktesten Taten aufführen. Aber es muss immer weitergehen, kennste ja, sattel also Rosinante, Sancho!, neuer Aufbruch ins Ungewisse, »like a clock whose hands are sweeping past the ­minutes of its face«.

Und alle wollen alle überzeugen, die sich aber gar nicht überzeugen lassen wollen. Mensch, das sind doch Riesen, das sind doch Windmühlen, das ist doch Zauberei, Hexenwerk, das kann doch nicht real sein, das ist doch nicht anfassbar und hart, ist nicht, wie’s ist, fließt einfach weg. Tsja, ihr habt eure Nachrichten, wir haben unsere Nachrichten, Hauptsache: Informationen, Kontext egal. Es ist, wie es ist, ist, wie ich es sehe, und ich seh’ nun mal Riesen. Panza sagt nichts, egal, was er sieht. Also sag ich’s: Putin, lies meinen Insta-Post, hör mal auf mit dem Krieg, ihr seid doch alle Slawen oder so. Und, hey, Ukrainer, ergebt euch einfach, ich will meinen Frieden haben. Und Afghanistan? Syrien? Bosnien? Nein, das hier jetzt ist der erste Krieg, den ich erlebe, weiß die Außenministerin, die ist ganz nah dran am Geschehen, sie kennt sich aus, auch wenn sie sich in ihrem Buch nicht mehr wiedererkennt in all den Zitaten, die nicht von ihr sind. Und alle hetzen wieder, wie gemein!

Ich kenn’ mich auch aus, werd’ jetzt Frontverlaufsexperte, was schnell geht, da ich ja schon Experte bin, und zwar in der Virologie, kennste dies, kennste das. Also schreib ich, was schafft der russische T-72 so, was nicht, wo können ihn schwere Waffen knacken? Ja, genau, schwere Waffen, die aber nicht wir liefern, sondern die Slowenen, die in Form eines Ringtauschs von uns Waffen kriegen, die wir jedoch nicht an die falsche Stelle geliefert haben, sondern nur an die richtige, beim Ringtausch-Tauschring, »round like a circle in a spiral, like a wheel within a wheel«. Hauptsache, wir kommen am Ende fein raus. Und wir haben den Followern gezeigt, wer die Hosen anhat, so kennwa uns.

Selbst beim Hauen und Stechen ist alles edel und sittsam. Und so heroisch, da heute jeder ein Mann sein muss, auch die Nichtmänner, wir brauchen Helden, Krieg braucht Helden, kennste, kennste, Übermann muss sein, damit der Moskauer Diktator uns nicht verlacht, also weg mit allem Queeren und Weibischen, der Don muss eine Rüstung tragen, schnell, hol sie Sancho! Verbrennt die romantischen Bücher, jetzt ist alles real, ich seh’s doch!

Sancho schafft es derweil, derart von sich abzulenken, dass er sich selbst nicht mehr findet, »and the world is like an apple whirling silently in space«. Dafür hat er aber keine Verantwortung, der Herr spinnt, Sancho nicht. Der ist nur dabei. Die Belohnung, die Insel, braucht einen Statthalter, der er aber nicht sein kann, zu viel Verantwortung, und überhaupt, er muss doch seinem Herrn und Teufel folgen, der sich verirrt und den Panza verwirrt, ablenkend von sich, der doch selbst nur noch durch die Gegend treibt, durch die Gedanken.

Was ist nun mit den »windmills of your mind«, die Bergman und Bergman erdichteten und die Noel Harrison besang, den Riesen und den Rittern, machen wir jetzt weiter? Wer hat recht, Mühle oder Edelmann, wer siegt, Traum oder Wirklichkeit? Was ist das für eine Wirklichkeit, deren einzige Richtigkeit der falsche Don im Sterben erkennt, im Fieberwahn? Was ist das für eine Wirklichkeit, die durch Bücherverbrennungen, kennste, kennste, geschützt werden muss, weil sie die einzige Richtigkeit ist und weil es keine Alternativen mehr gibt. Hoppla, ist Merkel schon wieder alternativlose Kanzlerin, wo ist denn der andere da hin, der da eben noch als trauriger Schatten seiner selbst da war, »half-­remembered names and faces, but to whom do they belong«?

Nee, wir wissen alle nur zu gut, wie’s richtig geht, und erzählen das unseren Kumpels hier, die uns in Demut folgen sollen, wie Diener, oder unserem Hass erliegen, wie die Windmühle. Hauptsache: hier. Hauptsache: wir.

Der Windmühle erliegt allerdings der Ritter, der wiederum wir sind. Nee, sind wir nicht, wir sind der Angestellte, stets daneben, stets ironisch, bekommen große und nützliche Unterhaltung bis an unser Ende geboten, während wir eben nicht einfach Menschen helfen, die hier vor Ort angespült werden, egal ob Ukrainer oder Russinnen, Syrerinnen oder Nachbarn, nee, warte, ich muss noch was posten, wart mal, kennste den schon?