Elon Musk wünscht uneingeschränkte Redefreiheit auf Twitter

Das Recht zu tweeten

Der Multimilliardär Elon Musk hat angekündigt,, Twitter aufzukaufen, um dort angeblich die Meinungsfreiheit zu stärken. Konservative und Rechtsextreme zeigten sich begeistert, Twitter-Werbekunden jedoch besorgt.

Der Kamerawinkel ist schief, der Gefilmte sitzt offenbar nichtsahnend an einem Tisch in einem lärmenden Restaurant – erfahrene Fernsehzuschauer erkennen sofort, dass es sich um ein mit versteckter Kamera aufgenommenes Enthüllungsvideo handeln soll. Und was der angebliche hochrangige Programmierer des Internetkonzerns Twitter erzählt, klingt tatsächlich brisant: Die Belegschaft von Twitter sei »verdammt kommunistisch«, Elon Musk, der Gründer der Konzerne SpaceX und Tesla, der den Microblogging-Dienst kaufen wollte, dagegen »ein Kapitalist«. Auf Twitter würden derzeit »die Rechten zensiert, nicht die Linken«, denn anders als Musk glaube das Unternehmen nicht an freie Meinungsäußerung.

Veröffentlicht hat den allein auf Twitter millionenfach angesehenen Clip die aus dem Umfeld der repu­blikanischen Partei finanzierte Organisation Project Veritas, die seit Jahren mit dubiosen Methoden angebliche Vergehen und Korruption in liberalen ­Institutionen und der Demokratischen Partei aufzudecken vorgibt. Oft stützen die ­manipulativ zusammengeschnittenen Videos, die unter unklaren Bedingungen zustande kamen, rechte Verschwörungstheorien – so wie in diesem Fall die Vorstellung, der Milliardenkonzern Twitter verfolge linke politische Ziele. Musk erscheint in diesem Szenario als Freiheitskämpfer, der mit seinen Übernahmeplänen die Mani­pulation der Öffentlichkeit durch die liberalen Silicon-Valley-Eliten beenden wolle.

Donald Trump von Twitter zu verbannen, nannte Elon Musk eine »unmoralische Entscheidung«, die »einen großen Teil des Landes entfremdet hat«.

Schon seit Jahren kritisiert Musk, dem auf Twitter fast 95 Millionen User folgen, wie das Unternehmen seine Inhalte reguliert. Als er am 25. April einen Vertrag mit Twitter unterzeichnete, dem zufolge er die Firma für über 40 Milli­arden US-Dollar kaufen werde, teilte er in einer Erklärung mit: »Die freie Rede ist die Grundlage einer funktionierenden Demokratie.« Deshalb wolle er unter anderem den Quellcode der Algorithmen, die steuern, welche Posts den Nutzern angezeigt werden, offenlegen und alle menschlichen Nutzer authen­tifizieren, um Bots von der Plattform zu entfernen.

Und noch eine Ankündigung machte er kurz darauf: Er werde dem ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump erlauben, die Plattform wieder zu nutzen. Trumps Account war nach dem Sturm seiner Anhänger auf das US-Kapitol am 6. Januar 2021 gelöscht worden – Musk zufolge eine »unmoralische Entscheidung«, die »einen großen Teil des Landes entfremdet hat«. Twitter hat in den vergangenen Jahren immer mehr Personen unter anderem wegen extremistischer Inhalte von der Plattform entfernt. Doch das solle »extrem ­selten vorkommen«, sagte Musk weiter, nämlich nur bei Bots und Spam-Accounts.

Trump dankte es Musk nicht. Er wolle nicht zu Twitter zurückkehren, sondern weiter am Aufbau seiner ­eigenen Konkurrenzplattform Truth Social ­arbeiten. Dort schrieb Trump vergangene Woche, Musks Versuch, Twitter zu kaufen, sei »wahrscheinlich illegal«. Außerdem habe Musk ihm, Trump, schon in der Vergangenheit gesagt, dass er die Republikanische Partei wähle. Das würde einer Äußerung Musks vom 18. Mai widersprechen, in der er behauptet hatte, er werde von nun an zum ersten Mal in seinem Leben die Republikaner wählen.

Andere Konservative zeigten sich begeistert von Musks Entscheidung, Twitter zu kaufen. Schon am Tag vor der Unterzeichnung des Kaufvertrags sagte der Fox-News-Moderator Tucker Carlson in seiner Sendung, Musk könnte die »letzte Hoffnung« nicht nur für Meinungsfreiheit, sondern auch für »faire und freie Wahlen« und die Demokratie überhaupt sein. Derzeit diene die »Zensur« der IT-Konzerne dazu, die Mächtigen vor Kritik zu schützen. Carlson zufolge würde Twitter auf ­intransparente Weise konservative Stimmen aus der öffentlichen Debatte verbannen, denn »die Algorithmen, die benutzt werden, um zu zensieren und effektive Kritiker der Regierung Biden zu unterdrücken«, seien geheim. Auch andere Rechte bis hin zu Rechtsextremisten reagierten geradezu enthusiastisch auf Musks Kaufankündigung.

Heftige Kritik kam dagegen aus dem Umfeld der Demokratischen Partei. Musks »libertäre Vision eines ›unkontrollierten‹ Internets« sei »gefährlicher Nonsens«, schrieb etwa der linksliberale Ökonom Robert Reich im Guar­dian, »der Traum jedes Diktators, autoritären Herrschers, Demagogen und Räuberbarons unserer Zeit«.

Tatsächlich hat Twitter für die politische Öffentlichkeit durchaus Bedeutung; Politiker, Journalisten, Personen des öffentlichen Lebens und Millionen von Privatnutzern nutzen die Plattform unter anderem, um in Echtzeit politische Entwicklungen zu kommentieren und zu diskutieren. Insbeson­dere nach Trumps Wahlerfolg im Jahr 2016 wurden vermehrt die negativen Aspekte dieser Online-Öffentlichkeit diskutiert: das Potential für Desinformation und Propaganda, die Verbreitung von rechtsextremen oder verschwörungstheoretischen Botschaften und massenhafte, oft anonyme Hetze, Rassismus und Sexismus. Die IT-Unternehmen gingen dazu über, ihre Plattform stärker zu regulieren.

»Mit Musks sich anbahnender Übernahme ist die Zukunft dieses Mode­rationssystems, das die Firma über Jahre mühsam aufgebaut hat, unsicher«, kommentierte die Washington Post. Gesetzliche Vorgaben würden Musks Plänen zur Deregulierung der Plattform allerdings Grenzen setzen. Insbesondere die EU ist darin führend. Im April einigten sich die EU-Institutionen und -Mitgliedstaaten auf ein neues Regelwerk für die großen Plattformen und Suchmaschinen.

In den USA, wo aufgrund der Uneinigkeit zwischen den Demokraten und Republikanern, aber auch wegen des Einflusses der Silicon-Valley-Konzerne die Rechtslage viel lockerer ist, gibt es eine andere Kraft, die sich für eine Regulierung der Social-Media-Plattformen einsetzen: die Unternehmen, die dort ihre Werbung schalten. Es ist vor allem der Wunsch der Werbekunden, ihre Produkte nicht neben rassistischen, extremistischen oder pornographischen Inhalten beworben zu sehen, der die Plattformen dazu zwingt, durch strenge Regulierung für sogenannte brand safety, also Markensicherheit, zu sorgen.

Wie effektiv die Werbekunden die Plattformen disziplinieren können, zeigte sich 2020, als im Rahmen der Kampagne »Stop Hate for Profit« ­Konzerne wie Ford und Coca-Cola drohten, Facebook zu boykottieren. Das führte zu einem temporären Wertverlust der Aktien von Facebook in Höhe von 75 Milliarden US-Dollar. Eine ähnliche Kampagne hatte es 2017 gegen Youtube gegeben. »Die Erwartung ist, dass Musks Kommentare dazu führen werden, dass Twitter toxischer und weniger markenfreundlich werden würde«, zitierte die Financial Times einen Vertreter des britischen Werbe- und Medienkonzerns Group M. Wie die Zeitung berichtete, schickte Twitter Ende April einen Brief an seine Werbekunden, um sie zu beruhigen, dass die Plattform auch in Zukunft eine sichere Umgebung für ihre Anzeigen bleiben werde.

Musk ist bekannt dafür, mit großen Gesten, übertriebenen Ankündigungen und umstrittenen, an trolling grenzenden Twitter-Posts für Aufsehen zu sorgen, meist im Dienst seiner verschiedenen unternehmerischen Projekte. Statt durch Werbeeinnahmen habe er geplant, in Zukunft unter anderem durch Mitgliedsbeiträge Einnahmen für Twitter zu generieren, wie die New York Times berichtete. Sollte er beabsichtigt haben, mit seiner free speech-Rhetorik einen hype für seine geplante Twitter-Übernahme zu erzeugen, hätte er sich verspekuliert. Im Lichte der Kritik, die Musk entgegenschlug, fiel Aktienkurs von Twitter war nach der Bekanntgabe des Vertrags zunächst um 18 Prozent.

Am 13. Mai teilte Musk dann mit, dass er den Aufkauf zunächst aussetze, bis Twitter ihm belegen könne, dass Spam- und Bot-Accounts nicht mehr als fünf Prozent der Twitter-Accounts ausmachten. Es wirkte wie ein Versuch, aus der Übernahme wieder herauszukommen, die sich womöglich als schwieriger und teurer als erhofft erwies. Am 18. Mai schrieb allerdings der Aufsichtsrat von Twitter, dass er nach wie vorher beabsichtige, »die Transaktion abzuschließen« und das mit Musk geschlossene Abkommen durchzusetzen. Sollte sich Musk aus dem Vertrag zurückziehen, könnte ihm eine hohe Strafzahlung drohen.

Auch die Aktien von Tesla haben seit Musks Ankündigung, Twitter zu kaufen, ein Drittel an Wert verloren. Für Musk ist das ein ernstes Problem, weil ein großer Anteil seines Milliardenvermögens in Tesla-Aktien steckt und er sie als Sicherheiten verwendet, um Kredite aufzunehmen – so auch, um die über 40 Milliarden US-Dollar für Twitter aufzubringen.

Dann berichtete auch noch Business Insider, Musk habe vor einigen Jahren 250 000 US-Dollar an eine bei einer seiner Firmen angestellte Stewardess ­gezahlt, die er 2016 sexuell belästigt haben soll. Musk sprach von einem »politisch motivierter Stimmungsmache«. Die Medien hätten es jetzt auf ihn abgesehen, weil er bei den nächsten Wahlen für die Republikanische Partei stimmen wolle. Seine Präferenz für die Republikaner begründete Musk jedoch – aus Sicht eines Besitzers mehrerer Industrieunternehmen – ganz pragmatisch: In der Demokratischen Partei sei mittlerweile der Einfluss der Gewerkschaften und der Anwälte, die Unternehmen verklagen, zu groß geworden.