In Schottland wird ein Fall von rassistischer Polizeigewalt untersucht

Tödliche Polizeigewalt auf Schottisch

Die schottische Regierung lässt den Tod eines schwarzen Mannes in Polizeigewahrsam untersuchen. Die Angehörigen des 2015 getöteten Sheku Bayoh mussten lange dafür kämpfen.

Sieben Jahre hat es gedauert, vergangene Woche ist es in Edinburgh endlich zur ersten Anhörungsphase im Fall Sheku Bayoh gekommen. Untersucht werden folgende Ereignisse: In den Morgenstunden des 3. Mai 2015 rückte eine Polizeieinheit zu einem Einsatz in der schottischen Kleinstadt Kirkcaldy aus. Ausgelöst worden war dieser durch verschiedene Anrufe, denen zufolge ein mit einem Messer bewaffneter Mann auf der Straße herumlaufe und vorbeifahrende Autos attackiere. Mindestens neun Einsatzkräfte trafen schließlich auf den 31jährigen Schwarzen ­Sheku Bayoh, der mit seiner Familie in der Gegend wohnte und eine Ausbildung zum Gasingenieur machte.

Bayoh führte kein Messer mit sich; ein solches wurde laut Untersuchungskommission circa 20 Meter entfernt von der Stelle gefunden, an der die Polizei Bayoh zum ersten Mal konfrontierte. Dennoch wurde er unter Einsatz von Schlagstöcken, Tränengas- und Pfefferspray überwältigt, in Handschellen gelegt, an den Beinen gefesselt sowie auf den Boden gedrückt. Daraufhin verlor er das Bewusstsein und hörte auf zu atmen. Wiederbelebungsversuche scheiterten. Sein Tod wurde zwei Stunden später im lokalen Krankenhaus festgestellt. Eine Polizistin, die von Bayoh angegriffen worden sei, ließ sich im selben Krankenhaus untersuchen, wurde jedoch direkt wieder entlassen. So steht es in einem vorläufigen Bericht der »Sheku Bayoh Inquiry«.

Kadi Johnson, Schwester des getöteten Sheku Bayoh, nannte ihren Bruder »Schottlands George Floyd«.

Nach langjährigen Kämpfen der Angehörigen, die im Juli 2015 die Kampagne »Justice for Sheku Bayoh« initiiert hatten und Unterstützung von dem Bürgerrechtsanwalt Aamer Anwar erhielten, hat dieser Fall große öffentliche Aufmerksamkeit gefunden. Zu den Forderungen der Kampagne gehörten unter anderem ein Strafverfahren gegen die beteiligten Polizistinnen und Polizisten sowie die Aufklärung der Umstände, die zu Bayohs Tod geführt haben.

Zudem wurden die behördlichen Reaktionen auf den Fall scharf kritisiert. Zum Beispiel berichteten Bayohs Lebensgefährtin Collette Bell und seine Schwester Kadi Johnson, dass ihnen in den ersten Stunden mehrere unterschiedliche Tathergänge mitgeteilt worden seien, wie der Guardian 2015 berichtete. Für Aufsehen sorgte, dass der Police Investigations and Review Commissioner, die offizielle Stelle zur Untersuchung polizeilicher Rechtsbrüche in Schottland, sich mehr als einen Monat Zeit ließ, die beteiligten Einsatzkräfte zu verhören.

Bereits in den ersten Wochen nach dem Vorfall kam es zu öffentlichen Auseinandersetzungen zwischen den Angehörigen und der schottischen Polizei. Der Polizeianwalt Peter Watson sagte der Presse, »dass eine zierliche Polizeibeamtin gejagt und dann einem gewaltsamen und grundlosen Angriff eines sehr großen Mannes, der sie schlug und niedertrat, ausgesetzt war«; damit meinte er Bayoh. »Die Beamtin glaubte, dass sie im Begriff war, ermordet zu werden, und ich kann sagen, dass dies ohne die Intervention der anderen Beamten das wahrscheinliche Ergebnis gewesen wäre«, so Watson weiter. Außerdem versuchte er, Bayohs Tod vor allem auf den Einfluss der Partydrogen Ecstasy und Flakka, die auf dessen Totenschein erwähnt werden, zurückzuführen.

Die Angehörigen stellten diese Darstellung grundsätzlich in Frage. Während der Auftaktveranstaltung der Familienkampagne sagte Anwar, dass Bayoh kein überdurchschnittlich großer Mann gewesen sei, während der Polizeikontrolle kein Messer bei sich geführt habe, innerhalb von 45 Sekunden von mehreren Einsatzkräften überwältigt worden und selbst bei seiner Ankunft im Krankenhaus noch an Händen und Füßen fixiert gewesen sei. Außerdem berichtete er, dass während der Obduktion Hinweise auf lagebedingte Erstickung als mögliche Todesursache gefunden worden seien. Die Äußerungen der Polizei bezeichnete er als »bewussten Versuch, Sheku für seinen eigenen Tod verantwortlich zu machen«, und als »von Teilen der ­Polizei eingesetzte Standardtaktik im Bezug auf Todesfälle in Gewahrsam«, wie die gegen Polizeigewalt gerichtete Organisation Scotland Against Criminalising Communities (SACC) berichtete.

Tatsächlich ist ausschließlich die Polizei wiederholt in Erklärungsnot geraten. Im Oktober 2015 wurde einer der beteiligten Polizeibeamten von seiner eigenen Familie in Misskredit gebracht. Berichten des öffentlich-rechtlichen Senders BBC sowie des Guardian zufolge soll er unter anderem mit rassistischen Äußerungen aufgefallen sein. Besonders brisant waren zwei BBC-Reportagen, die im Dezember 2018 und Januar 2021 ausgestrahlt wurden. Auf Grundlage von erstmals ausgestrahlten Videoaufnahmen des Vorfalls sowie eines Interviews mit einem Augenzeugen wurde der Polizei eine verzerrte Darstellung der Ereignisse vorgeworfen. Unter anderem wurde nahegelegt, dass die Einsatzkräfte unverzüglich Gewalt eingesetzt hätten und Bayoh niemals auf eine Polizeibeamte einge­treten habe.

Spätestens nach diesen Enthüllungen wurden die Forderungen nach einem Untersuchungsausschuss lauter. Aus Kreisen der regierenden Scottish National Party (SNP) hieß es erst, man wolle ­abwarten, ob es zu einem Strafverfahren gegen die neun Polizistinnen und Polizisten komme. Nachdem sich die schottische Generalstaatsanwaltschaft im Oktober 2018 dagegen entschieden hatte, kündigte der damalige schottische Justizminister Humza Yousaf (mittlerweile Gesundheitsminister) im November 2019 eine öffentlichen Untersuchung an.

Diese Entscheidung hat durchaus historischen Charakter. In Großbritannien gelten öffentliche Untersuchungen gemäß dem Inquiries Act 2005 als wegweisend, da sie meist ein großes Medienecho hervorrufen und die Beauftragten über besondere rechtliche Befugnisse verfügen; sie können zum Beispiel Zeuginnen und Zeugen verpflichtend vorladen. Bedeutsam ist auch, dass explizit geklärt werden soll, »ob race ein Faktor war«, wie es auf der offiziellen Homepage heißt. Das bislang letzte Mal, dass eine öffentliche Untersuchung institutionellen Rassismus als Problem in der britischen Polizei anerkannt hat, liegt bereits mehr als 20 Jahre zurück: Im Jahr 1999 kam ein Untersuchungsbericht, der sich mit dem Ermittlungsversagen nach dem rassistischen Mord an dem schwarzen Teenager Stephen Lawrence 1993 aus­ein­andersetzte, zu dem Schluss, dass ­institutioneller Rassismus ein weitverbreitetes Problem in der britischen ­Polizei sei.

Der Untersuchungsausschuss zum Fall Bayoh nahm seine Arbeit bereits im November 2020 auf, diese hat sich aber aufgrund der Covid-19-Pandemie sowie rechtlicher Konflikte mit der ­Polizei verzögert. Der erste Sitzungstag der Anhörungen in Edinburgh am 10. Mai, der auch online gestreamt wurde, war dem Gedenken an Bayoh gewidmet. Nach kurzen einleitenden Worten des Vorsitzenden Lord Bracadale kamen ausschließlich Familienmitglieder und Freunde zu Wort. Während ­einer Pressekonferenz am selben Tag warf Anwar den schottischen Sicherheitsbehörden »Unaufrichtigkeit, Rassismus und Inkompetenz« vor. Kadi Johnson nannte ihren Bruder »Schottlands George Floyd«.

Am zweiten Sitzungstag trugen die verschiedenen Konfliktparteien ihre Eröffnungsreden vor. Die neun Polizistinnen und Polizisten, die sich erstmals öffentlich äußerten, wiesen sämtliche Vorwürfe zurück. Einige versuchten, sich als Opfer einer Schmähkampagne darzustellen. An den folgenden Tagen begann die Präsentation von Bild- und Videomaterial sowie die Zeugenanhörung. Bis der Abschlussbericht vorliegt, wird es noch dauern. Die zweite von insgesamt sechs Anhörungsphasen wird voraussichtlich erst im November dieses Jahres beginnen.