Konkurrenzlos links
Alles oder nichts, heißt es für den Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon. Am Donnerstag voriger Woche kündigte der 70jährige dreimalige Präsidentschaftskandidat (2012, 2017 und 2022) an, nicht wieder als Kandidat bei den französischen Parlamentswahlen anzutreten, die am 12. und 19. Juni dieses Jahres stattfinden werden. Stattdessen wolle er Premierminister werden. Seit 2017 sitzt Mélenchon als Abgeordneter seiner Bewegung La France insoumise (Das unbeugsame Frankreich, LFI) in der Nationalversammlung.
Auf den ersten Blick scheint das widersprüchlich, da Mélenchon schon seit seinem knappen Scheitern in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl am 10. April – er erhielt nur 1,2 Prozentpunkte weniger als Marine Le Pen, die schließlich in die Stichwahl kam – verkündet, er wolle nun Premierminister werden. Bereits Tage vor seinem Kandidaturverzicht rechnete Mélenchon der Presse vor, wie viele Premierminister in der Geschichte der 1958 gegründeten Fünften Republik keine Abgeordneten gewesen seien. Dies trifft auch auf den letzten Amtsinhaber Jean Castex zu. Er war vor seiner Ernennung im Juli 2020 nur Bürgermeister einer 6 000 Einwohner zählenden Gemeinde.
Die konservative Wirtschaftszeitung »Le Figaro« behauptete am 4. Mai, mit dem linken Bündnis drohe eine »Sowjetisierung der französischen Wirtschaft«.
Unmöglich ist es also nicht, dass Mélenchons Wunsch in Erfüllung geht, unwahrscheinlich jedoch schon. Der Staatspräsident hat bei der Ernennung des Regierungschefs im Prinzip freie Hand, auch wenn er sich im Gesetzgebungsprozess mit der Abgeordnetenmehrheit arrangieren muss. Zudem wollen zwar Umfragen zufolge über 60 Prozent der Französinnen und Franzosen eine cohabitation (Zusammenleben), also einen Premierminister, der aus einer anderen Partei kommt als der Präsident. Emmanuel Macron hat die Präsidentschaftswahl weniger aufgrund von Zustimmung zu seinen Vorhaben gewonnen, sondern vielmehr, weil viele die Rechtsextreme Le Pen von der Macht fernhalten wollten. Die erwähnten 60 Prozent verteilen sich aber auf zwei Lager, das links und das rechts von Macron, was einen linken Wahlsieg erschweren dürfte.
Vor der diesjährigen Präsidentschaftswahl hatte LFI ein Bündnis unter dem Namen Union populaire initiiert. Vor der Parlamentswahl wurde dieses nun erheblich erweitert. Die heterogene Allianz heißt nun Nouvelle Union populaire écologique et sociale (Nupes) und umfasst außer LFI und diversen kleineren Parteien die französischen Grünen (Europe Écologie Les Verts, EELV), die Kommunistische Partei Frankreichs (PCF) und die Sozialistische Partei (PS). Diese Parteien sollen die Wahlbezirke je nach den jeweiligen Siegesaussichten untereinander aufzuteilen, um sich keine Konkurrenz zu machen. Verhandlungen mit der links von LFI stehenden, kleineren Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) wurden ebenfalls aufgenommen, scheiterten jedoch an den angebotenen Bedingungen und auch inhaltlich.
Gemäß den Vereinbarungen soll LFI nun Kandidatinnen und Kandidaten in 330 von 577 Wahlkreisen aufstellen, EELV in 100, der PS in 70 und der PCF in 50. Zunächst war vereinbart worden, dass alle Beteiligten Kandidaturen gemäß ihrem Anteil an Stimmen bei der Präsidentschaftswahl – linke Kandidatinnen und Kandidaten erreichten zusammengezählt 33 Prozent – zugesprochen bekommen. So hätte der PS aber nur 30 Kandidaturen bekommen, der NPA hingegen 13. Als letztes Angebot wollte Nupes dem NPA jedoch nur fünf Wahlkreise überlassen, darunter keinen, in dem die Partei hätte gewinnen können.
Auch programmatisch wurden Zugeständnisse an den PS gemacht, die wohl auch Medien und Wirtschaftskreise beruhigen sollen, nachdem die konservative Wirtschaftszeitung Le Figaro am 4. Mai behauptet hatte, mit dem linken Wahlbündnis drohe eine »Sowjetisierung der französischen Wirtschaft«. So forderte die Union populaire im Präsidentschaftswahlkampf, dass alle Lohnabhängigen, die es wünschen, mit 60 in Rente gehen können. In ihrem Abkommen mit dem PS zur Parlamentswahl steht nur noch etwas vom »Recht auf Rente ab 60« – was die Möglichkeit offenlässt, den frühen Renteneintritt an unter Umständen erhebliche Abzüge bei der Pensionshöhe zu knüpfen, wie linke Kritiker befürchten.
Der Vorsitzende des PCF, Fabien Roussel, hat bereits angekündigt, dass die Abgeordneten seiner Partei bei Themen wie Atomenergie ihre Abstimmungsfreiheit behalten würden, obwohl das Wahlabkommen die Beteiligten im Prinzip auf gemeinsame Programmpunkte festlegt. Roussel hatte im Präsidentschaftswahlkampf eine Erhöhung des Atomkraftanteils an der Energieversorgung bis 2050 propagiert, wie es auch Macron gefordert hatte. Die Union populaire forderte einen Atomausstieg bis 2045 und eine Umstellung der Versorgung auf erneuerbare Energien bis 2050.
Streit gab es auch um die Kandidatur des 25jährigen Journalisten Taha Bouhafs (LFI) in Vénissieux bei Lyon. Bouhafs bezog oft deutlich Stellung gegen rechte Positionen zu Einwanderung und Islam und gegen Polizeigewalt, allerdings auch gegen die Islamkritiker von Charlie Hebdo, die er auf Twitter als »Penner« (pouilleux) bezeichnete. Darüber hinaus waren nicht alle Informationen, die er verbreitete, zutreffend – 2018 zog er mit einer Nachricht über einen angeblich bei Protesten getöteten Studenten, die sich nie erhärten ließ, Kritik auf sich. In der Nacht zum 10. Mai verzichtete er auf seine Kandidatur. Zunächst wurde dies als Zugeständnis an den Druck von rechts, aber auch von Roussel aufgefasst, der eine Bürgermeisterin des PCF als Kandidatin für den Wahlkreis favorisierte. Dann wurde jedoch bekannt, dass am Wochenende zuvor gegen Bouhafs Vorwürfe wegen sexueller Übergriffe erhoben und an die Leitung von LFI weitergeleitet worden seien. Der Rückzug von Bouhafs Kandidatur hat die Partei eines Problems enthoben, die Vorwürfe schaden jedoch ihrer Reputation.