Ruanda hat mit Großbritannien die Übernahme von Asylsuchenden vereinbart

Abkommen zur Abschiebung

Trotz heftiger Kritik hat die britische Innenministerin Priti Patel eine Vereinbarung zur Übernahme von Asylsuchenden mit Ruanda geschlossen.

Debatten über Migrationspolitik dienen oft der Ablenkung von anderen politischen Problemen. Wie das funktioniert, kann man gerade in Großbritannien beobachten. Statt über die sogenannte Partygate-Affäre von Premierminister Boris Johnson – illegale Feiern im Amtssitz während des Lockdowns – wird vehement über Migration über den Ärmelkanal diskutiert. Von Frankreich aus versuchen Asylsuchende, ins Vereinigte Königreich einzureisen.

Früher versteckten sich die meisten von ihnen in LKW, die durch den Eurotunnel fuhren. Die Grenzkontrollen seit dem EU-Austritt erschweren dies jedoch erheblich, so dass immer mehr Asylsuchende auf kleine Boote ausweichen, mit denen sie die lebensgefähr­liche Überfahrt wagen. 2021 sind nach offiziellen Angaben mindestens 28 526 Personen auf diesem Weg eingereist. 2020 waren es lediglich 8 404. Dieses Jahr wurden bereits mehr als 4 500 Personen gezählt, Schätzungen gehen davon aus, dass sich die Gesamtzahl im Vergleich zu 2021 mehr als verdoppeln werde. Voriges Jahr starben mindestens 44 Menschen beim Versuch, den Ärmelkanal zu überqueren.

Ruanda hat eine zweifelhafte Menschenrechtsbilanz, der seit 2000 amtierende Präsident Paul Kagame gilt als autoritär.

Diese Toten nimmt die britische Innenministerin Priti Patel nun als Vorwand, um einen perfiden »Deal« zu rechtfertigen: Am 13.April finalisierte sie ein Abkommen zur Übernahme von Asylsuchenden mit Ruanda. Westliche Staaten versuchen immer wieder, Asylverfahren auszulagern. Der Plan von Patel geht jedoch weit darüber hinaus: Nicht nur das Verfahren soll ausgelagert werden, sondern die gesamte Verantwortung für die betroffenen Asylsuchenden. Demnach können alleinstehende Männer – Paare und Familien sind von der Regelung ausgeschlossen –, die il­legal nach Großbritannien eingereist sind, nach Ruanda überstellt werden; allerdings sind etwa 90 Prozent der illegal Einreisenden eben alleinstehende Männer. Sie sollen dort ihr Asylverfahren durchlaufen; ist dieses erfolgreich, erhalten sie nicht etwa in Großbritannien Asyl, sondern in Ruanda. In einer Parlamentsdebatte am 20. April sagte Patel, das Vorhaben sei ein »massiver Schlag gegen Menschenschmuggel« und diene dem Schutz von Menschenleben. »Die Dinge müssen sich ändern, weil Menschen bei dem Versuch sterben, nach Großbritannien zu kommen«, so Patel.

Die Vereinbarung soll zunächst für fünf Jahre gelten. Damit wird das Recht auf Asyl in Großbritannien faktisch ausgehebelt. Wie in den meisten europäischen Staaten können Asylsuchende (von wenigen Kontingentregelungen abgesehen) dort nur dann Asyl beantragen, wenn sie sich im Land aufhalten. Die wenigsten erhalten jedoch auf legalem Weg ein Visum, weshalb ihnen nur die illegale Einreise bleibt. Diese gilt zukünftig aber als Grund, um nach ­Ruanda umgesiedelt zu werden.

Nach welchen Kriterien entschieden werden soll, welche illegal eingereisten männlichen Asylsuchenden nach Ruanda geschickt werden, ist bisher unklar. Der Fokus soll aber auf alleinreisenden jungen Männern liegen, die seit dem 1. Januar 2022 über den Ärmelkanal eingereist sind. Ruanda akzeptiert nur Erwachsene ohne Vorstrafen. Diese sollen im Land untergebracht werden, bis ihre Asylverfahren abgeschlossen sind. Wenn erfolgreich, erhalten sie einen dauerhaften Aufenthaltstitel für Ruanda und dürfen nicht mehr nach Großbritannien zurückkehren. Ruanda erhält zunächst eine Zahlung von 120 Million Pfund für einen economic transformation and integration fund, aus dessen Mitteln Unterkünfte errichtet und Existenzgründungshilfen gegeben werden sollen, und zusätzlich eine Kostenerstattung pro übernommenem Asylverfahren. Dazu gibt es keine genauen Zahlen, die Tageszeitung The Times geht von 20 000 bis 30 000 Pfund pro Person aus.

Legalität und Umsetzbarkeit des Plans sind umstritten. Abgesehen von den problematischen menschenrechtlichen Aspekten der Vereinbarung ist wegen der hohen Kosten unklar, ob das Auslagern der Asylverfahren für Großbri­tannien finanziell sinnvoll ist. Matthew Rycroft, als höchster Beamter des Innenministeriums verantwortlich für die Genehmigung von Ausgabenplänen, blockierte deshalb die Vereinbarung. Patel ging daraufhin den ungewöhnlichen Weg der ministerial direction, um den Plan dennoch durchzusetzen. Sie übernimmt damit persönlich die Verantwortung für die Vereinbarung, die dann trotz Rycrofts Einspruch in Kraft treten kann. Es ist erst die zweite ministerial direction, die in den vergangenen 30 Jahren im Innenministerium erlassen wurde.

Ruanda hat eine zweifelhafte Menschenrechtsbilanz. Der seit 2000 amtierende Präsident Paul Kagame gilt als autoritär, Menschenrechtsorganisationen kritisieren immer wieder den ­brutalen Umgang mit Oppositionellen. Das hielt den britischen Premierminister Boris Johnson nicht davon ab, Ruanda als »eines der sichersten Länder weltweit« zu bezeichnen – obwohl sich die britische Regierung selbst noch ­Anfang 2021 in einer Stellungnahme bei den UN besorgt über »andauernde Einschränkungen der bürgerlichen und politischen Rechte und der Medien­freiheit« in Ruanda geäußert hatte.

Die Opposition übte heftige Kritik an dem Plan. Keir Starmer, der Vorsitzende der Labour-Partei, bezeichnete ihn als »nicht umsetzbar«, Ian Blackford, der Fraktionsführer der Scottish National Party im britischen Unterhaus, nannte ihn »absolut erschreckend«. Auch unter den regierenden Konservativen ist der Plan ist umstritten. Die ehemalige Premier- und Innenministerin Theresa May äußerte am 20. April in einer Rede vor dem Unterhaus Bedenken hinsichtlich der »Legalität, Praktikabilität und Wirksamkeit«.

Mehrere Bischöfe, darunter der Erzbischof von Canterbury, kritisierten das Vorhaben in ihren Osterpredigten. 160 gemeinnützige Organisationen forderten in einem offenen Brief die Rücknahme der Vereinbarung. Sie bezeichneten Patels Plan als »grausam«, er widerspreche zudem der »der weit verbreiteten öffentlichen Unterstützung für Flüchtlinge im Vereinigten Königreich«.

Laut einer Ipsos-Studie vom Februar – vor dem Beginn des Kriegs in der Uk­raine – befürworten 75 Prozent der Bevölkerung, dass Menschen »in anderen Ländern, einschließlich Großbritannien«, Zuflucht vor Krieg und Verfolgung finden können. 60 Prozent der Befragten sind unzufrieden mit der Migrationspolitik der Regierung, mehr als die Hälfte davon nannte als Hauptgrund, die Regierung unternehme nicht genug gegen Einreisen über den Ärmelkanal.

Der Plan ist auch im Kontext des EU-Austritts zu sehen – eines der zentralen Versprechen war, die Kontrolle über die Grenzen »wiederzugewinnen«. Die Zahl der Einreisen über den Ärmelkanal steigt jedoch. Patels Plan ist eine weitere abstruse Maßnahme der Migrationsverhinderung auf einer langen Liste populistischer Ideen. So gab es Ende 2020 etwa den Vorschlag, Wellenmaschinen gegen Boote einzusetzen. Dieser wurde nie verwirklicht. Es bleibt zu hoffen, dass das Abkommen mit Ruanda das gleiche Schicksal erleidet.