Kollegah und andere Deutschrapper reimen gegen Coronamaßnahmen

Bizeps statt Biontech

Auch die Rap-Szene hat ihre »Querdenker«.

Nach dem Ende der Coronamaßnahmen versucht die Kulturbranche und mit ihr die Deutschrap-Szene, langsam zur Normalität zurückzufinden. In den kommenden Monaten sollen erstmals wieder größere Touren stattfinden. Einer, der kaum erwarten kann, dass es wieder losgeht, ist der Deutschrapper Kollegah. Während der Pandemie warb er auf Twitter unverhohlen dafür, die Impfung abzulehnen: »Ein starkes Immunsystem kommt von Sport und gesunder Ernährung, nicht von Bratwurst und Pharmaexperimenten. Bleibt stabil, Alphas.« Im Sommer soll sein Album »Free Spirit« erscheinen. Auf der ­bereits veröffentlichten Single »Diplomatische Immunität« hetzt er unter anderem gegen einen Lieblingsfeind aller »Querdenker«: »Einzige, was hier einen Booster hat, ist der Hura­cán / Und einzige zwei G, was mich juckt, ist der Gucci-Schal / Zeit, dass dieses Land aus seinem Tagtraum erwacht / Guck mal, der Zahn fault fast ab von diesem Karl Lauterbach«.

Über die Impfquoten in verschiedenen Ländern und Regionen, unterschiedlichen Altersstufen und poli­tischen Milieus ist mittlerweile vieles bekannt. Empirische Erkenntnisse über die Impfbereitschaft bei Menschen mit verschiedenen musikalischen Vorlieben liegen jedoch bislang nicht vor. Dass es im HipHop ge­wisse Widerstände gegen die Covid-19-Impfung gibt, lässt sich aber an verschiedenen Anhaltspunkten festmachen – Kollegah ist kein Einzelfall. So schlug Ice Cube im Oktober ein Filmangebot mit einer Gage von neun Millionen US-Dollar aus, weil die Produktionsfirma auf einer verpflichtenden Impfung beharrte. ­Kanye West lehnt die Impfung ab, weil es sich um ein »Zeichen des Teufels« handele. Der australische Ministerpräsident Scott Morrison wies den Rapper deshalb im Januar darauf hin, dass eine geplante Tour in Australien nur mit vollständigem Impfschutz möglich sei.

Leon Lovelock erklärte seinen Fans zu Beginn der Pandemie in einem Video, »wie sie uns langsam lahmlegen«, und forderte die Anhängerschaft auf: »Macht euch ready für den Kampf!«

Auch im deutschen HipHop gibt es weitere Impfgegner. Im Januar ­bekannte Marcus Staiger in einem Podcast, sich nicht impfen zu lassen. »Ich finde, ich habe ganz okaye Gründe«, sagte der Journalist und HipHop-Veteran. Er zweifle an der Impfung insgesamt, »weil diese Wirksamkeit schnell nachlässt«, obwohl die Hersteller zunächst anderes versprochen hätten. »Es gibt wahnsinnig wenig Studien dazu, das muss man einfach wirklich sagen«, ließ er seine Gesprächspartnerin wissen, um dann Kritik an Linken zu üben, die sich als »Moralapostel« gerierten. Es gebe Teile der Linken, die »schon sehr viel Kraft darauf verwenden, Querdenker zu überwachen«.

Staiger ist ein Phänomen. Seine Rapskills lassen sich mit einiger Berechtigung als mäßig bezeichnen, trotzdem gilt er als Sprachrohr der deutschen HipHop-Szene. Als selbsternannter Experte lieferte er jahrelang das Begleitgeplapper zum Aufstieg des Straßen-Rap. Mal reüssierte er als Betreiber des Labels Royal Bunker, dann wieder als Journalist, um zuletzt als publizierender Politaktivist bei der radikalen Linken anzudocken.

Dass Staiger den Errungenschaften der modernen Pandemiebekämpfung skeptisch gegenübersteht, ist nicht wirklich überraschend. Es zeigt, wie wenig er sich trotz allem Kokettieren mit radikalem linkem Denken von ideologischen Mustern im HipHop entfernt hat, vor allem von tradierten Männlichkeitsvorstellungen, die selbst in dem Milieu des Deutschrap bestehen, das sich selbst als rebellisch und antiautoritär versteht. Wie Staiger, der sich öffentlich gern als Kampfsportler im Bereich Mixed Martial Arts präsentiert, pflegen auch andere aus der Deutsch­rap-Nische das soldatische Ideal eines männlichen Körperpanzers. Die größte Angst dieser Personen ist der Verlust eines Gefühls männlicher Souveränität und Wehrhaftigkeit. Wird dieses im kapitalistischen Normalvollzug durch die Abhängigkeit der individuellen Bedürfnisbefriedigung vom Warentausch ohnehin schon erschüttert, so hat es sich in der Pandemie zu dem Wahn gesteigert, den eigenen Körper mittels Impfverweigerung vor einer Schwächung zu schützen. In der Coronakrise stimmten einige Deutschrapper das alte Lied vom bedrohten Körperpanzer an. Leon Lovelock, Rapper, selbsternannter »Skeptiker der Mainstream-Medien« und Fitnessfan mit großem Bizeps, erklärte seinen Fans bereits zu Beginn der Pandemie in ­einem Video, »wie sie uns langsam lahmlegen«, und forderte die Anhängerschaft auf: »Macht euch ready für den Kampf!«

In einem auf Youtube zu sehenden Videochat vom Mai 2020 unterhält sich Lovelock mit dem Hamburger Rapper Nate 57, der in dem von Martin Seeliger und Marc Dietrich herausgegebenen Sammelband »Deutscher Gangsta-Rap« als klassenkämpferischer Vertreter der Margi­nalisierten honoriert wurde. Die beiden plaudern kurz über das »Pumpen« mit Gewichten in der eigenen Wohnung, um dann über einen vermeintlich drohenden »Impfzwang« zu diskutieren. Die Inszenierung von Nate 57 als Rebell war in der Vergangenheit häufig gepaart mit einer antimodernistischen Rhetorik gegen die Verweichlichung durch Medien und US-amerikanisches Fast Food, was diejenigen, die ihn zum Klassenkämpfer erklärten, jedoch ignorierten. Dass Nate 57 später an »Querdenken«-Demonstrationen teilnahm, erscheint da nur konsequent.

Folgerichtig erscheint es auch in anderer Hinsicht: Deutschrapper sind gezwungen, sich selbst als interessantes Produkt zu verkaufen. Etliche verfallen dafür in den Gestus der Rebellion. Sie inszenieren sich als aufrechte Krieger, die sich stellvertretend für ihre Anhängerschaft – oder besser gesagt: für die Konsumenten – zur Wehr setzen. Gegen was sie sich wehren, ist häufig zweitrangig und richtet sich nach aktuellen Trends und gesellschaftlichen Entwicklungen. Stets geht es also auch um die Selbstvermarktung. Rapper sind neoliberale Subjekte, bei denen jede »Kollabo«, jedes »Feature« nichts anderem als dem Ausbau der Geschäftsbeziehungen dient. Im Fall Staigers gehört zum eigenen Branding seit einigen Jahren auch ein abgedroschener antiimperialistischer Jargon, der mit vermeintlicher Subversion über die andauernde Selbstvermarktung hinwegtäuschen soll. Als ML-Nostalgiker mit HipHop-Credibility wurde Staiger über die Jahre zu einer Art Verbindungsmann zwischen der linken und der Deutsch­rap-Szene. Dass er sich als Impfverweigerer outete, kam zwar nicht überall gut an, die Empörten zweifelten aber nicht an Staigers Markenkern. So schrieb Simon Back in einem beim HipHop-Medium mzee.com veröffentlichten offenen Brief, dass Staiger »ansonsten ein authentischer und konstanter Kämpfer für die richtigen Dinge« sei, der seinen Fehler hoffentlich schnellstmöglich erkennen werde. In einer Stellungnahme zu der Kritik schreibt Staiger, dass wissenschaftlich nicht eindeutig geklärt sei, wie stark eine Impfung die Übertragbarkeit des Virus verringere. Während viele Menschen auf eine stetige Weiterentwicklung der Impftechnologie und in der Folge auf umfassenden, langfristigen Schutz für alle und ein Ende der Pandemiemaßnahmen hoffen, ist für Staiger, ganz dem neoliberalen Denken verhaftet, klar, dass als Argument für die Impfung nur noch »der Schutz vor einem schweren Krankheitsverlauf, der sogenannte Eigenschutz«, relevant sei. Staiger beendete die Begründung seiner »abweichenden ­Position« mit einem Blick auf die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen der Corona­krise, mit der Berufung auf Lenin und einer banalen Feststellung: »Für die Pharmaindustrie war Corona also ein echter Booster – im wahrsten Sinne des Wortes. Für das Jugendhaus in eurer Nachbarschaft war Corona verheerend.« So einfach wird aus der Impfverweigerung ein Akt des Widerstands gegen das Kapital. Das ist noch plumper als ein durchschnittlicher Deutschrap-Text.