Doppelstaatsbürger in iranischer Gefangenschaft

Der lange Arm der Mullahs

Zahlreiche iranischstämmige Personen mit doppelten Staats­­an­gehörigkeit sitzen im Iran in Gefängnissen. Offenbar setzt die ­iranische Regierung sie auch als Druckmittel in Verhandlungen mit dem Ausland ein.

Jamshid Sharmahd war Ende Juli 2020 beruflich auf einer Geschäftsreise nach Indien unterwegs, als der iranische Geheimdienst ihn bei einem Zwischenstopp in Dubai entführte. Seitdem hält das iranische Regime den Softwareentwickler aus Niedersachsen, der sich als oppositioneller Aktivist auch journalistisch betätige, an einem unbekannten Ort gefangen. Seine Familie, die seit 2003 in den USA lebt, erfuhr von seiner Gefangenschaft durch die iranischen Medien. Der Schauprozess gegen Sharmahd wird im iranischen Staatsfern­sehen übertragen, ebenso werden dort Videoschnipsel verbreitet, die Geständnisse von ihm zeigen sollen. Seit September 2021 ist der Kontakt zu seiner Familie abgebrochen, weswegen Amnesty International (AI) von einem Fall von »Verschwindenlassen« spricht. Zuletzt ist Sharmahd am 6. März vor dem Revolutionsgericht erschienen, die Anklage gegen ihn lautet AI zufolge auf »Verdorbenheit auf Erden« (ifsad fil-arz), was in Medienberichten oft als »Korruption auf Erden« übersetzt wird; darauf steht in der Islamischen Republik Iran die Todesstrafe. Sharmahd wird die Vertretung durch einen Verteidiger seiner Wahl sowie medizinische Versorgung und ärztliche Behandlung verwehrt. Er leidet an einer Herzkrankheit, Diabetes und Parkinson.

Iranische Oppositionelle im Ausland werden immer wieder Opfer von Mordanschlägen und Entführungen, hinter denen die Islamische Republik steht.

Nach Angaben der Taz kam Sharmahd 2004 mit der monarchistischen Exilgruppe Kingdom Assembly of Iran / Tondar in Kontakt, übernahm die Administration ihrer Website und war im Hintergrund als Journalist für ihren ­Radio- und Fernsehsender aktiv. Nachdem seine Arbeit für die Oppositionsgruppe der Öffentlichkeit bekannt wurde, trat er von da an namentlich als ihr Sprecher auf. Laut Berichten des Staatssenders Pars Today sowie der Tageszeitung Tehran Times, die dem iranischen Außenministerium nahesteht, und die sich beide unter anderem auf die Staatsanwaltschaft berufen, wird gegen Sharmahd als Anführer von Tondar und Verantwortlicher für fünf Anschläge auf iranischem Gebiet verhandelt. Er soll darüber hinaus weitere 18 Anschlagspläne sowie die Unterstützung durch die CIA und das FBI zu­gegeben und in Kontakt mit dem US-amerikanischen Präsidenten und dem Mossad gestanden haben. Das Urteil hatte seine Familie bereits für vergangene Woche erwartet. Im Juni 2020 wurde ebenfalls auf Grundlage des Vorwurfs der »Korruption auf Erden« der Regimekritiker Ruholla Zam durch das iranische Regime hingerichtet. Zam hatte zuvor in Frankreich gelebt, er wurde 2019 in den Irak gelockt und dort entführt.

Iranische Oppositionelle im Ausland werden immer wieder Opfer von Mordanschlägen und Entführungen, hinter denen die Islamische Republik steht. Auch auf Sharmahd war 2009 ein Attentäter angesetzt gewesen. Dieser stellte sich jedoch der Polizei in Los Angeles und gab an, mit dem Mord an Sharmahd beauftragt worden zu sein. Die Welt spricht von 160 durch Menschenrechtsorganisationen dokumentierten Fällen von Dissidenten im Ausland, die das iranische Regime ermorden ließ. Als besonders gefährdet, Opfer von Entführungen durch das iranische Regime zu werden, gelten diejenigen, die doppelten Staatsbürgerschaften besitzen, weswegen verschiedene Staaten Reisewarnungen für sie aussprechen.

Aus eigener Entscheidung die iranische Staatsbürgerschaft abzulegen, ist nahezu unmöglich. Die Islamische ­Republik erkennt neu angenommene Staatsbürgerschaften von Iranern nicht an und betrachtet sie weiter als Bürger der Islamischen Republik. Hierfür reicht es bisweilen aus, dass lediglich der Vater oder der Ehemann die iranische Staatszugehörigkeit besitzt.

Diese entführten »Staatsgeiseln«, wie Kritiker sie nennen, würden nicht nur wegen ihrer Oppositionsarbeit aus dem Ausland entführt, sondern auch gezielt als Druckmittel bei internationalen Verhandlungen missbraucht, um Zugeständnisse der Herkunftsländer zu erpressen, kritisieren unter anderem Angehörige und Menschenrechtsorganisationen. Das betraf etwa Nazanin Zaghari-Ratcliffe. Die britisch-iranische Gefangene wurde mit einem britischen Staatsbürger, Anoosheh Ashoori, Mitte voriger Woche nach Verhandlungen mit dem Iran freigelassen. Ihr Ehemann sieht eine Verbindung zwischen der Entführung seiner Frau und der Forderung des iranischen Staats nach Bezahlung von über 524 Millionen US-Dollar durch Großbritannien. Die strittige Summe rührt noch aus der Zeit des Schahs, der Großbritannien für eine Panzerlieferung bezahlt hatte. Das Vereinigte Königreich weigerte sich nach der Revolution, diese Panzer dem Mullah-Regime zu liefern, und behielt das Geld ein.

Ashoori hatte seine Mutter im Iran besucht, als er 2017 gefangen genommen wurde. 2019 befanden ihn iranische Gerichte der Spionage für Israel und der »Erlangung illegalen Reichtums« für schuldig. Die Journalistin Zaghari-Ratcliffe war beim Besuch ­ihrer Mutter im Iran 2016 unter dem Vorwurf der Spionage festgenommen worden. Obwohl die britische Regierung offiziell jeglichen Zusammenhang leugnet, folgte ihrer beider Freilassung auf die britische Zusage, die iranischen finanziellen Forderungen zu erfüllen.