Biontech will seinen Vorsprung in der mRNA-Technologie unbedingt wahren

Wer impft, gewinnt

Bei der Diskussion über die Freigabe von Patenten geht es nicht nur um Impfstoffe gegen Sars-CoV-2, sondern auch um Monopole auf zukünftige Technologien. Das deutsche Unternehmen Biontech versucht mit Unterstützung der Bundesregierung, die Konkurrenz auf Abstand zu halten.

Biontech ist ein deutsches Vorzeigeunternehmen. Die Entwicklung, Zulassung und Produktion des ersten mRNA-­Impfstoffs gegen Sars-CoV-2 zusammen mit dem US-amerikanischen Pharmakonzern Pfizer hat die Firma weltweit berühmt gemacht. Für Biontech und dessen Aktionäre war die Pandemie ein Glücksfall. Milliardenbeträge öffentlicher Gelder wurden in das ­Unternehmen investiert und dennoch konnten die Impfstoffe zu hohen Preisen verkauft werden. Wie die Financial Times berichtete, soll der Preis für den ab Dezember vorigen Jahres an EU-Staaten gelieferten Impfstoff von 15,50 auf 19,50 Euro pro Dosis gestiegen sein.

Der derzeitige wirtschaftliche Erfolg verdeckt ein strukturelles Problem: Biontech hat außer einem Impfstoff gegen Covid-19 kein marktreifes Produkt anzubieten.

Biontech/Pfizer sind zusammen mit dem US-amerikanischen Hersteller Moderna zurzeit die einzigen Firmen, die mRNA-Impfstoffe herstellen können. Diese sind besonders gut verträglich und effektiv. Dass die beiden Konzerne die Preise diktieren, hat schwerwiegende Folgen, denn so erhalten die Bewohner reicher Staaten oft schon ihre vierte Dosis, während etwa viele afrikanische Staatsbürger noch nicht einmal die erste erhalten haben.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und in der Gesundheitsversorgung engagierte NGOs weisen seit ­Beginn der Impfkampagne auf die schlechte Versorgung vieler afrikanischer Staaten und deren niedrige Impfquoten hin. Von weltweit fast elf Milliarden Impfdosen wurden nur knapp 600 Millionen in Afrika verteilt. In einigen Staaten, wie Nigeria oder Äthiopien, sind weniger als vier Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft. Da hilft es nur bedingt, wenn die EU sowie europäische und US-amerikanische Pharmafirmen Impfdosen kurz vor deren Verfallsdatum an arme Länder spenden. Da dort nicht die Infrastruktur für eine schnelle Verimpfung auch in entlegenen Regionen besteht, müssen diese Impfstoffe häufig kurz nach der Ankunft vernichtet werden.

Insbesondere Biontech setzt sich dafür ein, dass sich an der Impfstoffpolitik nichts ändert. Entgegen den Versicherungen, man arbeite zusammen mit der WHO an einer gerechten weltweiten Verteilung, engagiert sich die Firma gegen die Freigabe von Patenten und gegen potentielle Konkurrenten, die ebenfalls mRNA-Impfstoffe auf den Markt bringen wollen.

Der US-amerikanische Hersteller Moderna wehrt sich zwar ebenso wie Biontech gegen die Freigabe von wesentlichem Know-how, hat aber angekündigt, zumindest bis zum Ende der Sars-CoV-2-Pandemie nicht gegen Patentrechtsverletzungen vorzugehen. Wenig öffentliche Aufmerksamkeit erregte ein Bericht des British Medical Journal, Biontech habe über die von dem Unternehmen finanzierte Kenup Foundation versucht zu verhindern, dass südafrikanische Pharmafirmen mRNA-Impfstoffe herstellen. Kenup habe auf mögliche Patentrechtsverletzungen hingewiesen und mit Klagen gedroht, sollte die Produktion in Südafrika beginnen.

Die WHO hatte ein Konsortium südafrikanischer Produzenten mit der Entwicklung eines eigenen mRNA-Impfstoffs beauftragt, das kürzlich Erfolg meldete. Das Projekt basierte auf von Moderna zugänglich gemachten Informationen. Es soll eine eigene Produk­tion in Südafrika aufgebaut werden, was allerdings noch viele Monate dauern kann, da die Zulassungsverfahren sehr aufwendig sind. Diese wären überflüssig, sollte sich herausstellen, dass das neue Vakzin die gleiche Struktur hat wie der Impfstoff von Moderna. Das Unternehmen verweigert jedoch die Herausgabe der Informationen, mit denen sich dies feststellen ließe.

Biontech hat sich erfolgreich bemüht, die relativ wenigen negativen Presseberichte durch andere Bilder zu überdecken. Wie unter anderem das deutsche öffentlich-rechtliche Fernsehen zur besten Sendezeit berichtete, sei es Biontech gelungen, eine modulare Fabrik zur Herstellung von Impfstoffen in Standardcontainern zu entwickeln. Diese sollen bis Mitte des Jahres in Ruanda aufgebaut werden, ein Jahr später solle dann die Fertigung der Vakzine beginnen. Geplant sei, zunächst eigenes Personal zu beschäftigen und eventuell später nach und nach Personal an Ort und Stelle zu rekrutieren und auszubilden. Man werde mehrere solcher Impfstofffabriken bereitstellen und exportieren. Statt eine Kampagne zu unterstützen, die Hindernisse für eine schnelle Erhöhung der Impfquote in den ärmsten Ländern aus dem Weg schafft, behält Biontech mit den modularen Fabriken die Kontrolle über Patente, Herstellung und Vertrieb.

Dem Unternehmen geht es dabei mutmaßlich nicht nur darum, mittels der mRNA-Technologie noch weit größere Gewinne zu erzielen, sondern um die Existenz. Der derzeitige wirtschaftliche Erfolg verdeckt ein strukturelles Problem: Biontech hat außer einem Impfstoff gegen Covid-19 kein marktreifes Produkt anzubieten.

Um zu verstehen, warum sich Biontech, unterstützt von der Bundesregierung, derart hartnäckig weigert, auch nur minimale Zugeständnisse bei der Abgabe von Know-how zu machen, ist ein Blick in die Geschichte der Firma hilfreich. Gegründet wurde das Unternehmen als Start-up mit großzügiger staatlicher Unterstützung im Jahr 2008. Die wesentliche Geschäftsidee war und ist, Impfstoffe gegen Krebs zu entwickeln und zu vermarkten. Dabei soll mRNA in die Zellen geschleust werden, die dann Antikörper gegen die Ober­flächenproteine der Krebszellen produzieren würden. Auf diese Weise könnte das Immunsystem die Krebszellen als feindlich erkennen und vernichten. So wäre Heilung ohne gefährliche Therapien möglich. Doch bislang lässt die ­mRNA-Impfung gegen Krebs auf sich warten.

Die Impfstoffe gegen Sars-CoV-2 sind die ersten und bisher einzigen Produkte der mRNA-Technologie, die es zur Marktreife geschafft haben. Ohne die Pandemie wäre Biontech mit hoher Wahrscheinlichkeit noch immer ein ziemlich erfolgloses Start-up. Sieht man sich die in der Entwicklung befindlichen Medikamente des Unternehmens an, hat kein einziges der vollmundig angekündigten Mittel auch nur die Phase drei erreicht, also das Stadium, in dem Wirksamkeit und Verträglichkeit bei einer größeren Zahl von Probandinnen und Probanden erprobt werden, woraufhin dann eine Zulassung beantragt werden kann.

Die Konkurrenz in der Impfstoff­produktion wird wohl zunehmen und die Gewinne dürften schwinden. Schrumpft der Vorsprung Biontechs in der mRNA-Technologie und gelingt es nicht, auf dieser Grundlage weitere Medikamente zu entwickeln, dürfte die Firma in der Bedeutungslosigkeit versinken. Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat das offenbar erkannt. Auf einer Pressekonferenz verkündete er, Patentfreigaben von mRNA-Impfstoffen seien kontraproduktiv. Zu diesem Schluss sei er unter anderem nach Beratungen mit Biontech gekommen.