17.02.2022
Die Arbeitsbedingungen für Erntehelfer sind weiterhin desolat

Schwere Kost

Den Versprechungen der Ampelkoalition zum Trotz bleibt die Lage migrantischer Wanderarbeiter unverändert schlecht. Aufgrund der hohen Verbreitung der Omikron-Variante von Sars-CoV-2 dürfte die sogenannte Arbeitsquarantäne auch in der kommenden Erntesaison wieder vielerorts zum Einsatz kommen.

Während in Teilen Deutschlands noch regelmäßig Schnee geschippt wird, ­bereiten sich landwirtschaftliche Betrieben bereits auf die Erntesaison vor. Im März beginnt die Spargelernte und damit auch der Einsatz der über 300 000 migrantischen Wanderarbeiter, die alljährlich als sogenannte Erntehelfer nach Deutschland kommen. Sie stellen etwa ein Drittel der Beschäftigten im landwirtschaftlichen Sektor.

Auch wenn in der Öffentlichkeit vor allem das Spargelstechen die Wahrnehmung der Saisonarbeitskräfte prägt, greift diese Vorstellung bei weitem zu kurz. Der größte Teil der deutschen Landwirtschaft basiert auf dem Import billiger Arbeitskraft aus Osteuropa. Egal ob es um Hopfen, Erdbeeren, Äpfel oder Weintrauben geht – ohne die temporären Helfer wäre die Ernte schlicht nicht zu bewältigen.

Wegen der schlechten Arbeits­kon­ditionen in Deutschland fällt die Rekrutierung von sogenannten Erntehelfern innerhalb der EU immer schwerer.

Die Bedingungen, unter denen sie in Deutschland leben und arbeiten, sind oft katastrophal: fehlender Arbeitsschutz, überlange Arbeitszeiten, kaum Pausen, menschenunwürdige Unterbringung in überfüllten Mehrbettzimmern, teils auch in Containern und halb verfallenen Ställen. Bezahlt wird die harte körperliche Arbeit auf den Feldern mit einem Hungerlohn. Nicht selten werden die Arbeitsmigranten selbst um diesen geprellt. Verschiedenste Formen des Arbeitszeitbetrugs ge­hören ebenso zu den gängigen Methoden wie die Bezahlung unterhalb des Mindestlohns und überhöhte Abzüge für Kost und Unterkunft. Häufig werden widerrechtlich auch Kosten für Arbeitsmittel und Schutzausrüstung vom Lohn abgezogen.

SPD und Grüne hatten in ihren Programmen zur Bundestagswahl versprochen, die Arbeitsbedingungen für Saisonkräfte in der Landwirtschaft zu verbessern. Man werde sich für »anständige Löhne und gute Arbeitsbedingungen der Beschäftigten« einsetzen und »prekäre Arbeitsbedingungen von Wanderarbeiter:innen bekämpfen«, hieß es bei der SPD. Die Grünen gelobten, Arbeits- und Gesundheitsschutz zu erhöhen und Arbeitnehmerrechte zu stärken. Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Wanderarbeiter hat auch Eingang in den Koalitions­vertrag der neuen Bundesregierung gefunden.

Während konkrete politische Maßnahmen jedoch kurz vor Erntebeginn noch auf sich warten lassen, läuft die Lobbyarbeit der landwirtschaftlichen Unternehmensverbände bereits auf Hochtouren. In den vergangenen beiden Jahren war diese ausgesprochen erfolgreich.

Die landwirtschaftlichen Betriebe konnten die Covid-19-Pandemie nutzen, um die ohnehin schon prekären Verhältnisse, unter denen Saisonkräfte hierzulande arbeiten, weiter zu verschlechtern und die Mechanismen zur Ausbeutung migrantischer Arbeitskraft auszubauen. So wurden die Ernte­helfer zu »systemrelevanten« Beschäftigten erklärt und mit dieser Begründung Teile des Arbeitszeitgesetzes außer Kraft gesetzt. Bis zu 60 Stunden in der Woche und mit Sondergenehmigung sogar mehr als zwölf Stunden pro Tag dürfen sie auf den Feldern eingesetzt werden.

Ein besonderer Coup gelang den landwirtschaftlichen Interessenverbänden mit der Anwendung des Konstrukts der »Arbeitsquarantäne« im Agrarsektor. Prinzipiell wird dabei die häusliche Quarantäne auf den Arbeitsplatz ausgeweitet. Lohnabhängige mit Kontakt zu einer infizierten Person und symptomlos infizierte Beschäftigte fallen hierbei zwar unter alle sonstigen Quarantänemaßnahmen, gehen aber weiterhin zur Arbeit. Öffentlich begründet wurde das epidemiologisch absurde Verfahren, Infizierte und potentielle Überträger einfach weiter arbeiten zu lassen, mit der Notwendigkeit, kritische Infrastruktur aufrechtzuerhalten. In der Diskussion immer wieder angeführt wurden Feuerwehrleute, Polizisten und Krankenhauspersonal.

Anwendung fand die Arbeitsquarantäne jedoch erst mal in einem anderen Bereich. Die ersten Anordnungen zur Arbeitsquarantäne trafen im Frühjahr 2020 Saisonarbeitskräfte aus Osteuropa. So mussten sie zwar zwölf bis 14 Stunden täglich auf den Felder arbeiten, durften jedoch das Betriebsgelände nicht verlassen. Manch findiger Bauer nutzte die sich bietende Gelegenheit, um aus dieser prekären Situation noch ­einen Extraprofit zu erwirtschaften: Da die Saisonarbeitskräfte auch die notwendigsten Einkäufe nicht erledigen durften, wurden in einigen Betrieben Hofläden errichtet, in denen die Saisonarbeitskräfte zu deutlich überhöhten Preisen Hygieneartikel und andere Waren des täglichen Bedarfs einkaufen mussten. Nachdem in den vergangenen beiden Jahren mehrmals Höfe aufgrund von Covid-19-Infektionen mit Zustimmung der Gesundheitsämter auf die Arbeitsquarantäne zurückgriffen, dürfte diese Maßnahme in der kommenden Erntesaison aufgrund der hohen Verbreitung der Omikron-Variante von Sars-CoV-2 vielerorts zum Einsatz kommen.

Erfolgreich war die Lobbyarbeit der landwirtschaftlichen Unternehmensverbände auch an anderer Stelle. Wegen der schlechten Arbeitskonditionen in Deutschland fällt es immer schwerer, innerhalb der EU Erntehelfer zu rekru­tieren. Seit Jahren üben Bauernverbände daher Druck auf die Bundesregierung aus, bilaterale Anwerbeabkommen mit Staaten außerhalb der EU abzuschließen. Im vergangenen Jahr trat ein solches Abkommen mit Georgien in Kraft und georgische Erntehelfer wurden erstmals auf deutschen Feldern eingesetzt. In diesem Jahr greift ein ähnliches Abkommen mit der Republik Moldau. In Nicht-EU-Staaten versuchen die landwirtschaftlichen Betriebe, Arbeitskräfte zu gewinnen, die noch weniger Rechte als EU-Bürger haben und die diese zudem noch schwerer geltend machen können, nicht zuletzt weil ihr Aufenthaltsstatus direkt an ihr Arbeitsverhältnis geknüpft ist. Bereits im vorigen Jahr berichtete die gewerkschaftliche Beratungsstelle für Wanderar­beiter »Faire Mobilität« von zahlreichen Verstößen – etwa gegen das Mindestlohngesetz – beim Einsatz der georgischen Erntehelfer.

Fatale Auswirkungen gerade in der Covid-19-Pandemie hat eine weitere Gefälligkeit, die der Gesetzgeber den landwirtschaftlichen Betrieben erwies. In den vergangenen Jahren wurde die Zeitspanne, in der Saisonarbeitskräfte sozialversicherungsfrei beschäftigt werden können, also weder arbeitslosen-, renten- noch krankenversichert sind, erheblich ausgeweitet. Bereits 2014 wurde die Höchstdauer einer sozial­versicherungsfreien Beschäf­tigung von 50 auf 70 Tage erhöht. 2020 wurde sie gar auf 115 Tage angehoben und 2021 durften die Erntehelfer 102 Tage lang ohne Sozialversicherungsschutz beschäftigt werden. Gerade die fehlende Krankenversicherung hat für die Betroffenen weitreichende Folgen, bleiben sie doch nicht selten auf ihren Behandlungskosten sitzen.

Auch hier hat die neue Regierung Änderungen versprochen. »Für Saisonbeschäftigte sorgen wir für den vollen Krankenversicherungsschutz ab dem ersten Tag«, heißt es im Koalitionsvertrag. Die genaue Ausgestaltung dieses Versicherungsschutzes ist jedoch noch unklar. Bisher sieht es so aus, als ob die Bundesregierung ihr Versprechen nur zum Teil hält. Die Erntehelfer müssen sich wohl mit einer Krankenversicherung light begnügen. Für Unternehmen soll es offenbar ausreichen, ihre Beschäftigten mit einer privaten Gruppenkrankenversicherung abzusichern. Auf diese greifen einige landwirtschaftliche Unternehmen schon heutzutage zurück. Solche Kollektivversicherungen bieten jedoch bei weitem nicht denselben Leistungsumfang wie die gesetzliche Pflichtversicherung. In vielen Fällen wären die Erntehelfer bei Krankheit also erneut auf sich gestellt.

An den ausbeuterischen Verhältnissen in der deutschen Landwirtschaft dürfte sich also auch in der dritten Erntesaison unter Pandemiebedingungen wenig verändern. Vielmehr setzt sich die widersprüchliche Entwicklung der vergangenen beiden Jahre fort. Die zeitweiligen Einreisebeschränkungen im Zuge der Pandemie zeigten, wie sehr die deutsche Landwirtschaft auf migrantische Erntehelfer angewiesen ist; auch die öffentliche Aufmerksamkeit für deren Arbeitskonditionen ist wegen Massenausbrüchen von Covid-19 auf zahlreichen Höfen deutlich gestiegen. Doch hat dieses öffentliche und mediale Interesse zu keiner Verbesserung der Situation von migrantischen Arbeitskräften in Deutschland geführt.