Die Linke geht geschwächt in den französischen Präsidentschaftswahlkampf

Eine schlechte Wahl

Vor der Präsidentschaftswahl in Frankreich zeigt sich, wie schwach die französische parlamentarische Linke mittlerweile ist.

Die gute Nachricht für die Partei zuerst: Bei der französischen Präsidentschaftswahl im kommenden April könnte der Kandidat des Parti communiste français (Französische kommunistische Partei, PCF) erstmals seit der Präsidentschaftswahl 1969 mehr Stimmen erhalten als die Kandidatin des sozialdemokratischen Parti socialiste (Sozialistische Partei, PS). Das mutmaßt jedenfalls der liberale Journalist Laurent Neumann.

Die schlechte Nachricht: Der damalige Kandidat des PCF, Jacques Duclos, erhielt 1969 im ersten Wahlgang über 20 Prozent der Stimmen. Für den diesjährigen Kandidaten, den ehemaligen Journalisten Fabien Roussel, dürften im ersten Wahlgang am 10. April Umfragen zufolge nur zwei bis drei Prozent der Wähler stimmen. Die Kandidatin des PS, die Pariser Oberbürgermeisterin Anne Hidalgo, kann demnach ebenfalls nur mit rund drei Prozent der Stimmen rechnen.

Der Amtsinhaber Emmanuel Macron führt in den Umfragen zur französischen Präsidentschafts­wahl seit Monaten, derzeit mit rund 25 Prozent Zustimmung.

Die parlamentarische Linke ist schwach in Frankreich. Ihre Präsidentschaftskandidaten dürften nach Umfragen nur 20 bis 25 Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Neben Hidalgo und Roussel dürfen drei weitere Kan­didaten nennenswerten Stimmenanteilen erwarten: Jean-Luc Mélenchon von der linkspopulistischen Wahlplattform La France insoumise (Das unbeugsame Frankreich, LFI), Yannick Jadot von den französischen Grünen, und die ehe­malige Justizministerin Christiane Taubira, die von der kleinen linksliberalen Partei PRG unterstützt wird. Mélenchon kandidierte schon 2012 und 2017. Bereits 2017 kamen die im weitesten Sinne linken Kandidaten nur auf rund 27 Prozent der Stimmen; Mélenchon erhielt damals 19,6 Prozent. Umfragen sehen ihn dieses Jahr nur noch bei rund zehn Prozent.

In der französischen Öffentlichkeit wird die Linke oft als zerstritten wahrgenommen, was viele als Grund für ihre derzeitige Schwäche ansehen. Tatsächlich dürfte eher das Gegenteil der Fall sein; Neumann hatte vermutlich recht, als er kürzlich in einer Fern­sehsendung sagte: »Die Linke ist nicht schwach, weil sie gespalten, sondern sie ist gespalten, weil sie schwach ist.«

Seit Beginn der Amtszeit des fran­zösischen Präsidenten Emmanuel Macron 2017 sind die linken Parteien Frankreichs nicht aus dem Tief herausgekommen. Hineingeraten sind sie in den Augen vieler der Linken zugeneigter Wähler nicht zuletzt durch die schlechte Bilanz der Amtszeit von Ma­crons Vorgänger François Hollande. Der 2012 zum Präsidenten gewählte PS-Politiker begann früh, eine eher wirtschaftsliberale Politik zu verfolgen, was die Anhängerschaft der Partei spaltete. Macron war während Hollandes Amtszeit zwei Jahre lang Wirtschaftsminister und vertritt eine ähnliche Politik. Seine 2016 gegründete Partei La Répu­blique en marche (Die Republik in Be­wegung, LREM) konnte viele ehemals sozialdemokratische Politiker für sich gewinnen.

Von Donnerstag bis Sonntag dieser Woche findet unter der Bezeichnung primaire populaire (Vorwahl durchs Volk) eine von einer Gruppe parteiunabhängiger Personen organisierte Vorwahl statt, um einen Kandidaten zu bestimmen, der für die gesamte politische Linke antreten soll. Abgestimmt werden kann zwischen sieben im weitesten Sinne linken Kandidaten: Hidalgo, Mélenchon, Jadot, Taubira und drei Kan­didaten, die Umfragen zufolge auf keinen nennenswerten Stimmenanteil hoffen können. Nach Angaben der Organisatoren haben sich bis Sonntag 467 000 Personen registrieren lassen, um an der Abstimmung teilzunehmen. Hidalgo, Mélenchon und Jadot haben allerdings bereits angekündigt, dass sie deren Ergebnis nicht anerkennen ­werden.

Als das wichtigste Thema der Präsidentschaftswahl betrachten die Wahlberechtigen Umfragen zufolge die abnehmende Kaufkraft der Bevölkerung; die Inflation trifft Ärmere hart. Das Thema Migration spielt demnach für Wähler eine deutlich geringere Rolle, obwohl es vor allem der Rechtsextreme Éric Zemmour und die Vorsitzende der rechtsextremen Partei Rassemblement national (Nationale Sammlung, RN), Marine Le Pen, ins Zentrum der Debatte zu rücken versuchen. Le Pen kan­didiert für den RN, Zemmour hat seine Kandidatur bereits angekündigt, muss für diese bis zum 11. März allerdings 500 Unterschriften von gewählten politischen Mandatsträgern – sogenannte Schirmherrschaften – vorlegen. In den Wahlumfragen fiel Zemmour im Laufe dieses Monats hinter Le Pen zurück. Er kommt derzeit auf rund 13 Prozent der Stimmen, Le Pen auf etwa 16 Prozent.

Macron hat seine Kandidatur noch nicht offiziell angekündigt. In den Umfragen führt er seit Monaten, derzeit wird ihm ein Stimmenanteil von rund 25 Prozent prognostiziert. Allerdings sank die Zustimmung zu seiner Amtsführung am Wochenende verglichen mit dem Vormonat um vier Prozentpunkte auf jetzt 37 Prozent. Doch das ist immer noch erheblich mehr als bei ­seinen Amtsvorgängern Hollande, Nicolas Sarkozy und Jacques Chirac in der Schlussphase ihrer jeweiligen Präsidentschaft.

Der Verlust an Zustimmung für Ma­cron dürfte vor allem darauf zurückzuführen sein, dass er am 5. Januar im Gespräch mit der Tageszeitung Le Parisien über Ungeimpfte gesagt hatte: »J’ai très envie de les emmerder.« Die meisten deutschen Medien übersetzten das mit: »Ich habe große Lust, sie zu nerven«, doch das trifft nicht ganz den Sinn des Verbs emmerder. Dieses leitet sich von merde (Scheiße) ab und wäre eher mit »ankacken« zu übersetzen.

Als Macron sich gegen eine Minderheit unbelehrbarer Impfgegner wendete, wollte er wohl die Mehrheit der ­Bevölkerung – rund 92 Prozent der erwachsenen Franzosen sind vollständig geimpft – für sich gewinnen. Das ähnelt der bisherigen Strategie Macrons und seiner Partei LREM, die in den vergangenen Jahren immer wieder versucht hatten, sich als Bollwerk gegen die extreme Rechte darzustellen und sich dadurch vielen Wählern, die ihr eigentlich nicht sonderlich nahestehen, als kleineres Übel anzubieten. Viele Franzosen warfen Macron nun allerdings vor, Streit geschürt zu haben, wo er als »Präsident aller Franzosen« hätte auftreten sollen.

Seit Sommer vorigen Jahres ist es in Frankreich jedes Wochenende zu Demons­trationen von Impfgegnern gegen den im Juni desselben Jahres eingeführten pass sanitaire (Gesundheitspass) gekommen; unter die Bezeichnung fallen Impf- und Genesungsnachweise sowie PCR-Tests mit negativem Ergebnis. Anfangs nahmen nach offiziellen Angaben landesweit über 150 000 Menschen daran teil. Kurz vor Weihnachten sank die Beteiligung auf landesweit 20 000 Personen. Am Wochenende nach Macrons Äußerung über Ungeimpfte stieg sie jedoch wieder auf 105 000 Teilnehmer. An den seither vergangenen Wochenenden sank sie zunächst auf 54 000 und dann auf 38 000 Personen.

Macrons Wahlaussichten werden wohl auch davon abhängen, wie sich die Covid-19-Pandemie in Frankreich bis zur Wahl entwickelt. Mitte dieses Monats streikten Lehrkräfte wegen der in ihren Augen mangelnden Schutzmaßnahmen in den Schulen. Die französische Regierung verfolgt derzeit eine Doppelstrategie. Zum einen haben über 16jährige seit Montag nur noch Zugang zu Restaurants, Bars, Kultureinrichtungen, Sportveranstaltungen und Fernzügen, wenn sie per Impfpass (pass vaccinal) belegen können, vollständig gegen Covid-19 ­geimpft oder genesen zu sein. Auch gegen diese Regelung wurde in den vergangenen Wochen protestiert. Der französische Verfassungsrat billigte sie am Freitag voriger Woche, nachdem er unter anderem von Mélenchons Partei LFI aufgefordert worden war, das entsprechende Gesetz zu prüfen.

Zum anderen kündigte die Regierung am Donnerstag voriger Woche an, die Vorkehrungen zur Eindämmung der Pandemie ab Anfang kommenden Monats schrittweise zu lockern. Bis Mitte Februar sollen demnach alle Beschränkungen für Gaststätten, Sportstadien und Diskotheken fallen. Ein Teil der Ärzteschaft kritisiert das, denn die Zahl der Neuinfektionen mit Sars-CoV-2 ist in den vergangenen ­Wochen stark gestiegen, am Montag betrug die Siebentageinzidenz über 3 700 pro 100 000 Einwohnern.

Die jüngsten Öffnungsbeschlüsse sind den meisten Kommentatoren zufolge nicht gesundheitspolitisch mo­tiviert, vielmehr sollen sie Macron helfen, die Präsidentschaftswahl zu gewinnen. Die Regierung spekuliert darauf, dass die Pandemie binnen kurzem entweder von allein oder durch eine allgemeine Durchseuchung abebbt – und dass im letztgenannten Fall schlimme Folgen ausbleiben, weil die meisten Menschen sich mit der Omikron-Variante von Sars-CoV-2 infizieren, die seltener schwere Krankheitsverläufe zur Folge hat als frühere Varianten des Virus. Sollte dieses Kalkül nicht aufgehen, dürfte das Macron schaden. In Anbetracht der Schwäche der französischen Linken wäre das wohl vor allem eine Chance für die extreme Rechte.